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dass es diese Behörde überhaupt gab.

»NSA«, witzelte der Freund, »ist die Abkürzung von ›niemand soll's ahnen‹.«

Mit einer Mischung aus Neugier und Unbehagen hatte Becker den Auftrag der mysteriösen Behörde angenommen. Er war gut fünfzig Kilometer weit zu dem über dreieinhalbtausend Hektar großen NSA­Hauptquartier hinausgefahren, das sich diskret in den bewaldeten Hügeln von Fort Meade in Maryland verbarg. Nach schier endlosen Sicherheitskontrollen hatte man ihm einen auf sechs Stunden ausgestellten holographischen Besucherausweis ausgehändigt und ihn in eine üppig ausgestattete Forschungseinrichtung geführt. Dort wurde ihm eröffnet, die Kryptographen – ein Eliteteam von mathematischen Genies, die sich salopp Codeknacker nannten – bräuchten ihn in den

kommenden Mittagsstunden für eine »blinde Zuarbeit«.

Während der ersten Stunde schienen sie Beckers Anwesenheit nicht einmal wahrzunehmen. Um einen riesigen Tisch geschart, unterhielten sie sich in einem Becker völlig fremden Vokabular über Datenstromchiffren, selbstdezimierende Geber, Rucksackvariablen, Blindprotokolle und Eindeutigkeitspunkte. Becker spitzte die Ohren und verstand gar nichts. Man kritzelte Symbole auf Millimeterpapier, brütete über Computerausdrucken und deutete immer wieder auf das

von einem Overhead-Projektor an die Wand geworfene Textgewirr:

JHDJA3JKHDHMADO/ERTWTJLW+JGJ328

5JHALSFNHKHHHFAFOHHDFGAF/FJ37WE

OH I93450S9DJFD2H/HHRTYFHLF89303

95JSPJF2J0890IHJ98YHFI080EWRT03

JOJR845H0R0Q+JT0EU4TQEFQE//OUJW

08UYOIHO94JTPWFIAJE0D9QUJR9GU

IVJP$DUW4H95PE8RTUGVJW3P4E/IKKC

MFFUERHFGV0Q394KJRMG+UNHVS9OER

IRK/0956Y7U0POIKI0JP9F876DQWERQI

Irgendwann wurde Becker mitgeteilt, was er sich ohnehin schon längst gedacht hatte: Das Textgewirr war ein Code – ein verschlüsselter Text aus Zahlen und Buchstabengruppen, die für verschlüsselte Wörter standen. Die Kryptographen sollten den Code analysieren und die ursprüngliche Botschaft – den »Klartext« – wiederherstellen. Da man annahm, dass die ursprüngliche Botschaft in Mandarin-Chinesisch abgefasst war, hatte man Becker herbeigerufen, um die von den Kryptographen entzifferten Schriftzeichen ins

Englische zu übertragen.

Zwei Stunden lang übersetzte Becker eine endlose Reihe von Mandarin-Schriftzeichen, aber die Kryptographen schüttelten jedes Mal entmutigt den Kopf und konnten offenbar keinen Sinn erkennen. Um den Leuten zu helfen, erklärte Becker schließlich, dass alle ihm bisher vorgelegten Schriftzeichen eines gemeinsam hätten – sie

würden auch in der japanischen Kanji-Schrift benutzt. Schlagartig wurde es still. Der Leiter der Gruppe, ein schlaksiger Kettenraucher

namens Moranti, sah Becker konsterniert an.

»Sie meinen, diese Schriftzeichen können zweierlei bedeuten?«

Becker nickte. Er erläuterte, Kanji sei ein japanisches Zeichensystem, das mit modifizierten chinesischen Schriftzeichen arbeite. Er habe allerdings auftragsgemäß bisher immer nur ins

Mandarin-Chinesisch übersetzt.

»Ach du lieber Gott!«, schniefte Moranti. »Dann wollen wir es doch mal mit Kanji versuchen.«

Wie durch ein Wunder fiel auf einmal alles wie von selbst an seinen Platz.

Die Kryptographen waren tief beeindruckt – was sie jedoch keineswegs dazu veranlasste, Becker die Schriftzeichen in der richtigen Reihenfolge vorzulegen. »Zu Ihrer eigenen Sicherheit«, erläuterte Moranti. »Auf diese Weise wissen Sie nicht, was Sie für uns

übersetzen.«

Becker lachte, aber außer ihm lachte keiner.

Als der Code komplett entschlüsselt war, hatte Becker keine Ahnung, welche dunklen Geheimnisse er ans Tageslicht zu fördern geholfen hatte, aber eines war gewiss – die NSA betrieb das Dechiffrieren nicht zum Spaß. Der Scheck in seiner Tasche war jedenfalls mehr wert als das Monatsgehalt eines

Universitätsprofessors.

Auf dem Rückweg durch den Raster der Sicherheitskontrollen verstellte ihm im Hauptflur ein Wachmann, der soeben das Telefon

aufgelegt hatte, den Weg. »Mr Becker, bitte warten Sie hier einen Augenblick.«

»Gibt es ein Problem?« Becker hatte nicht damit gerechnet, dass der Auftrag so lange dauern würde. Für sein regelmäßiges Squash-Match am Samstagnachmittag war er schon ziemlich spät dran.

Der Wachmann zuckte die Schultern. »Die Abteilungsleiterin der Crypro möchte Sie sprechen. Sie geht gerade nach Hause und ist

schon unterwegs.«

»Eine Frau?«, wunderte sich Becker und grinste. Bei der NSA war ihm bislang noch keine Frau begegnet.

»Haben Sie damit ein Problem?«, fragte eine weibliche Stimme hinter ihm.

Becker drehte sich um. Er spürte das Blut jäh in seine Wangen schießen. Er starrte auf den an die Bluse der Frau gehefteten Hausausweis. Die Chefin der kryptographischen Abteilung war

zweifellos eine Frau, und eine attraktive obendrein.

»Nein«, stammelte Becker, »ich habe nur...«

»Susan Fletcher«, stellte sich die Abteilungsleiterin lächelnd vor und streckte ihm eine schlanke Hand entgegen.

Becker nahm sie in die seine. »David Becker.«

»Meinen Glückwunsch, Mr Becker. Man hat mir von Ihrer beachtlichen Leistung berichtet. Ich würde mich mit Ihnen gern ein

bisschen darüber unterhalten.«

Becker zögerte. »Um ehrlich zu sein, ich habe es im Moment leider etwas eilig.«

Er hoffte, dass es keine allzu große Dummheit war, einer leitenden Mitarbeiterin der mächtigsten Geheimdienstbehörde der Welt einen Korb zu geben, aber sein Squash-Match sollte in einer Dreiviertelstunde losgehen, und er hatte schließlich einen Ruf zu verlieren. Zum Squash kam David Becker niemals zu spät – zur

Vorlesung vielleicht, aber zum Squash? Niemals!

»Es wird nicht lange dauern«, sagte Susan Fletcher lächelnd. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen...?«

Fünf Minuten später saß Becker im Kasino der NSA der NSA-Chefkryptographin Susan Fletcher gegenüber und ließ sich einen Eierpfannkuchen mit Preiselbeersoße schmecken. Schnell wurde ihm klar, dass die Achtunddreißigjährige ihre hohe Stellung keineswegs irgendwelchen Kungeleien verdankte – sie war eine der intelligentesten Frauen, die er je kennen gelernt hatte. Becker bekam bei der Unterhaltung über Codes und Dechiffriermethoden die größten Schwierigkeiten, ihr zu folgen – für ihn eine völlig neue und durchaus

anregende Erfahrung.

Eine Stunde später – Becker hatte unwiderruflich sein Squash-Match verpasst, und Susan Fletcher hatte dreimal ohne mit der Wimper zu zucken ihren piepsenden Pager ignoriert – mussten sie beide lachen. Da saßen sie nun, zwei hochgradig analytisch geschulte Köpfe, mit ihrer vor sich hergetragenen Immunität gegen die Anfechtungen des Irrationalen, aber irgendwie, während sie sich über linguistische Morphologie und die Fallstricke von Zufallsgeneratoren

unterhielten, kamen sie sich vor wie zwei turtelnde Teenager.

Susan kam die ganze Zeit nicht dazu, David Becker den eigentlichen Grund zu nennen, weshalb sie ihn hatte sprechen wollen: um ihm eine Probeanstellung in der Abteilung für asiatische Kryptographie anzubieten. Bei der Begeisterung, mit der der junge

Professor über seinen Lehrberuf sprach, war ohnehin klar, dass er der Universität nicht den Rücken kehren würde.

Susan wollte die unbeschwerte Atmosphäre nicht verderben, indem sie das Gespräch auf Berufliches lenkte. Nichts sollte die schöne

Stimmung trüben. Und nichts trübte sie.

Das gegenseitige Näherkommen verlief langsam und romantisch, mit verstohlenen Ausbrüchen aus der Tagesroutine, wann immer ihre knapp bemessene Freizeit es zuließ, mit langen Spaziergängen auf dem Campus der Georgetown Universität, einem nächtlichen Cappuccino bei Merlutti und gelegentlichen Besuchen von Vorträgen und Konzerten. Susan bemerkte, dass sie mehr lachte, als sie es jemals für möglich gehalten hatte. Es gab anscheinend nichts, dem David nicht eine witzige Seite abzugewinnen vermochte. Sie genoss es als willkommene Abwechslung von der Beanspruchung, die ihr