Выбрать главу

musste. Hulohot lächelte.

ZIELPERSON: DAVID BECKER – ELIMINIERT

Es war so weit. Er überprüfte die Waffe.

Mit ein paar energischen Sprüngen jagte er die restlichen Stufen nach oben. Die Aussichtskammer kam ins Blickfeld. Die linke Ecke war leer. Hulohot wechselte plangemäß nach links, sprang nach rechts aus der Wendeltreppe heraus und schoss in die rechte Ecke. Das Geschoss prallte am nackten Mauerwerk ab. Der Querschläger verfehlte ihn nur um ein Haar. Mit einem krächzenden Aufschrei wirbelte Hulohot um die eigene Achse. Niemand da. Becker war

verschwunden.

Wie ein Mann, der sich am Fensterbrett mit Klimmzügen ertüchtigt, hing David Becker drei Stockwerke tiefer ungefähr sechzig Meter über dem Patio de los Naranjos außen an der Giralda. Hulohot

war noch nach oben unterwegs, als Becker drei Wendel weit herabgerannt war, sich gerade noch rechtzeitig durch eine Fensteröffnung geschoben und außen herabgelassen hatte. Der Killer war unmittelbar darauf vorbeigehastet, hatte es aber viel zu eilig gehabt, um die von außen an den Sims geklammerten weißen Knöchel zu bemerken.

Becker dankte Gott, dass sein tägliches Squash-Trainingsprogramm auch zwanzig Minuten an der Nautilus-Maschine zur Stärkung des Bizeps für einen härteren Aufschlag umfasste. Doch ungeachtet seiner kräftigen Arme hatte er nun die größte Mühe, sich

wieder ins Innere zu ziehen. Seine Schultern brannten. Seine Seite fühlte sich an, als würde sie Stück für Stück auseinander gerissen. Der roh behauene Sims bot zwar Halt, aber die Kanten schnitten ihm wie

Glasscherben in die Finger.

Beckers Verfolger konnte jeden Moment wieder von oben heruntergerannt kommen – und von oben würden ihm die an den

Fenstersims geklammerten Finger kaum entgehen.

Becker schloss die Augen und spannte die Muskeln. Er wusste, dass er dem Tod jetzt nur noch durch ein Wunder von der Schippe springen konnte. Seine Finger verloren allmählich den Halt. Er schaute an seinen baumelnden Beinen entlang nach unten. Über die Länge eines knappen Fußballfelds ging es senkrecht nach unten. Diesen Absturz konnte keiner überleben. Der Schmerz in seiner Seite wurde schlimmer. Schritte dröhnten über ihm auf derTreppe. Becker kniff die Augen zusammen. Jetzt oder nie! Mit zusammengebissenen

Zähnen machte er einen Klimmzug, was das Zeug hielt.

Rauer Stein schürfte über seine Handgelenke. Die Schritte kamen schnell näher. Becker konnte die Innenseite der Brüstung packen. Sein Körper kam ihm vor wie aus Blei. Es gelang ihm, sich auf die Ellbogen hochzustemmen. Er war jetzt völlig ungedeckt. Sein Kopf ragte durch die Fensteröffnung ins Treppenhaus wie das Haupt eines Mannes auf der Guillotine. Schlangelnd arbeitete er sich weiter in die Öffnung. Die Schritte waren ganz nah. Er war jetzt zur Hälfte durch

und hing mit dem ganzen Oberkörper über der Treppe. Er stemmte die Arme gegen die Flanken der Maueröffnung, hievte den Rest des Körpers ins Turminnere und landete hart auf den Stufen.

Hulohot entging nicht, dass Becker einen Wendel tiefer auf die Treppe fiel. Mit gezogener Pistole sprang er voran. Eine Fensteröffnung schwang ins Blickfeld. Als Hulohot zur Außenseite der Wendeltreppe wechselte und nach unten zielte, sah er Becker gerade noch um die Kurve flitzen. Enttäuscht drückte er ab. Die Kugel

jaulte als Querschläger das Treppenhaus hinunter.

Um ein größtmögliches Blickfeld zu haben, rannte Hulohot an der Außenwand weiter. Becker schien stets knapp außer Sichtweite eine ganze Umdrehung vor ihm zu liegen. Er hatte die Innenseite gewählt, wo er wegen der Verkürzung der Tritte jeweils vier bis fünf Stufen auf einmal nehmen konnte, aber Hulohot ließ sich nicht abhängen. Ein einziger Schuss würde genügen. Hulohot konnte ein klein wenig aufholen. Becker war geliefert, selbst wenn er es bis ganz nach unten schaffen sollte, denn wohin hätte er laufen sollen, wenn nicht auf den offenen Patio hinaus, wo ihn Hulohot immer noch von hinten erschießen konnte? Der verzweifelte Wettlauf schraubte sich nach

unten.

Hulohot wechselte zur schnelleren Innenseite. Jedes Mal, wenn eine Fensteröffnung kam, sah er Beckers Schatten. Plötzlich hatte Hulohot den Eindruck, dass Becker ins Stolpern geraten war. Der Schatten machte einen unvermuteten Ausfall nach rechts, schien sich mitten in der Luft zu drehen und schnellte wieder zurück zur

Innenseite. Triumphierend sprang Hulohot voran. Du hast ihn!

Um die Spindel herum blitzte etwas Metallenes auf. Wie ein Degenstoß fuhr es in Knöchelhöhe durch die Luft. Hulohot versuchte nach rechts auszuweichen, doch zu spät. Der Gegenstand geriet ihm zwischen die Beine und schlug hart gegen sein Schienbein. Seine Arme schnellten Halt suchend vor, aber sie griffen ins Leere. Er

machte einen Salto durch die Luft.

Hulohot stürzte über den bäuchlings an die Stufen geklammerten David Becker hinweg und krachte gegen die Mauer. Er prallte ab und begann eine unaufhaltsame Schussfahrt den steilen Treppenschacht hinunter. Kerzenhalter und Pistole schepperten hinterher. Nach fünf kompletten Wendeldrehungen fand Hulohots Höllenfahrt ein Ende, und er blieb regungslos liegen. Noch zwölf Stufen, und er wäre auf

dem Patio gelandet.

KAPITEL 101

David Becker hatte noch nie eine Pistole in der Hand gehabt. Er presste den Lauf der Waffe an die Schläfe des Attentäters, der zerschunden und verrenkt in der Düsternis des Treppenhauses der Giralda lag. Bei der geringsten Bewegung hätte er abgedrückt, aber

der Mörder rührte sich nicht mehr. Hulohot war tot.

Becker ließ die Waffe sinken. Ermattet setzte er sich auf eine Stufe. Seit einer Ewigkeit spürte er zum ersten Mal wieder den Drang zu weinen, doch er kämpfte ihn nieder. Für Gefühle war später noch Gelegenheit. Jetzt war es an der Zeit, nach Hause zu gehen. Becker versuchte aufzustehen, aber er war viel zu erschöpft, um sich zu

bewegen. Lange hockte er auf der steinernen Wendeltreppe.

Geistesabwesend betrachtete er den verrenkten Leichnam. Die ins Ungewisse glotzenden Augen des Killers wurden allmählich starr. Merkwürdigerweise hatte er die Brille noch auf. Eine seltsame Brille, dachte Becker, mit diesem Draht, der da hinten aus dem Bügel kommt und zu diesem flachen Kästchen am Gürtel hinunterführt. Doch die

Erschöpfung war größer als seine Neugier.

Beckers Blick fiel auf den Ring an seinem Finger. Sein Sehvermögen war wieder einigermaßen zurückgekehrt. Endlich konnte er die Inschrift lesen. Wie vermutet, war sie nicht Englisch. Lange betrachtete er die eingravierten Buchstaben. Und dafür lohnt es

sich zu morden? Von der Morgensonne geblendet, trat Becker aus der Giralda in den Patio de los Naranjos hinaus. Die Schmerzen in seiner Seite hatten sich gelegt. Einen Augenblick lang hielt er wie betäubt inne und genoss den Duft der blühenden Orangenbäume. Langsam

setzte er sich über den Innenhof in Bewegung.

Als er den Patio hinter sich ließ, kam ein Lieferwagen mit quietschenden Reifen in der Nähe zum Stehen. Zwei Männer in militärischen Overalls sprangen heraus. Mit der Präzision eines

Uhrwerks marschierten sie heran.

»David Becker?«, schnarrte der eine.

Becker blieb wie angewurzelt stehen. Woher kennen die deinen Namen? »Wer ... wer sind Sie?«

»Bitte folgen Sie uns unverzüglich.«

Die Situation hatte etwas Irreales. Beckers Nerven begannen wieder zu flattern. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.

Der Jüngere der beiden sah ihn mit eisigem Blick an. »Mr Becker, bitte folgen Sie uns! Unverzüglich!«

Becker wandte sich zur Flucht. Er kam nur einen Schritt weit. Einer der Männer zog eine Waffe. Ein Schuss bellte.