Fontaine war tief in Gedanken und antwortete nicht. Susan Fletchers Ankündigung, dass der Kill-Code in Spanien war, schien ihn zu beschäftigen. Susan hatte sich in den Hintergrund zurückgezogen. Fontaine bedachte sie mit einem schnellen Blick. Den Kopf in die Hände gestützt, hockte sie zusammengekauert auf ihrem Stuhl. Fontaine konnte sich den Grund für ihr Verhalten nicht zusammenreimen, aber was auch immer es war, er hatte jetzt keine
Zeit, darauf einzugehen.
»Chef, Ihre Entscheidung bitte!«, forderte Jabba. »Und zwar sofort!«
Fontaine sah hoch. »Okay, da haben Sie meine Entscheidung«, sagte er ruhig. »Wir werden die Datenbank nicht herunterfahren. Wir
werden abwarten.«
Jabbas Kiefer klappte nach unten. »Wie bitte? Aber das bedeutet...«
»Dass wir uns auf ein Pokerspiel einlassen«, vollendete Fontaine den Satz, »welches wir aber durchaus gewinnen können.« Er griff nach Jabbas Mobiltelefon und drückte ein paar Tasten. »Midge«,
sagte er, »hier spricht Leland Fontaine. Hören Sie gut zu...«
KAPITEL 112
Hoffentlich wissen Sie, was Sie da tun, Chef«, zischte Jabba. »Unser Hebel zum Abschalten wird mit jeder Minute kürzer.«
Fontaine antwortete nicht.
Plötzlich ging hinten im Kontrollraum die Tür auf, und Midge stürzte herein. Atemlos erklomm sie das Podium. »Chef, die
Vermittlung ist dabei durchzustellen!«
Fontaine wandte sich erwartungsvoll dem Bildschirm an der Stirnwand zu, der fünfzehn Sekunden darauf aktiv wurde. Das Bild war anfangs noch wackelig und verschneit, aber die digitale QuickTime Übertragung mit lediglich fünf Bildern pro Sekunde wurde schnell schärfer. Das Bild zeigte zwei Männer. Der eine war blass und hatte einen Bürstenhaarschnitt, der andere sah aus wie der Junge von nebenan. Sie saßen vor der Kamera wie zwei
Nachrichtensprecher, die darauf warten, dass die Sendung losgeht. »Was soll denn das nun wieder?«, wollte Jabba wissen.
»Warten Sie's gefälligst ab!«, wies ihn Fontaine zurecht.
Die beiden Männer saßen von einem Kabelgewirr umgeben in einer Art Kastenwagen. Knatternd baute sich die Audioverbindung
auf. Hintergrundgeräusche wurden hörbar.
»Audiosignal kommt«, rief ein Techniker von unten herauf. »Noch fünf Sekunden bis zum Aufbau der Wechselsprechverbindung.«
»Wer ist das denn?«, erkundigte sich Brinkerhoff unbehaglich. »Himmelsaugen«, beschied ihn Fontaine und schaute hinauf zu
den beiden Männern. Er hatte sie für den Fall des Falles nach Spanien abkommandiert. Fast jeder Aspekt von Strathmores Plan hatte ihn zu überzeugen vermocht – die bedauerliche, aber unvermeidliche Ausschaltung von Ensei Tankado, das Umprogrammieren von Diabolus, das war alles hieb- und stichfest. Aber es gab eine Kleinigkeit, die ihn nervös gemacht hatte: Der Einsatz von Hulohot. Hulohot war kein schlechter Mann, aber er war ein Söldner. Er arbeitete für Geld. War er wirklich vertrauenswürdig? Was, wenn er sich den Schlüssel unter den Nagel riss? Fontaine hatte Hulohot beschatten lassen – nur zur Sicherheit und zu seiner eigenen
Beruhigung.
KAPITEL 113
Völlig ausgeschlossen!«, schrie der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt in die Kamera. »Wir haben den strikten Befehl, nur
Direktor Leland Fontaine persönlich zu berichten!«
»Sie scheinen mich nicht zu kennen«, sagte Fontaine amüsiert.
»Sie mögen sein, wer Sie wollen. Das ist mir völlig egal!«, verwahrte sich der Blonde entrüstet.
»Dann werde ich es Ihnen erklären«, sagte Fontaine. »Nur zur Klarstellung.«
Sekunden später waren die beiden Agenten rot angelaufen und bereit, dem Direktor der National Security Agency alles zu erzählen.
»Herr Di ... Di ... Direktor, ich bin Agent Collander«, stotterte der
Blonde. »Und das ist Agent Smith.«
»Ausgezeichnet«, sagte Fontaine knapp. »Berichten Sie.«
Susan Fletcher saß im Hintergrund. Eine lähmende Einsamkeit drückte sie nieder, auch wenn sie dagegen ankämpfte. Sie hatte die Augen geschlossen und weinte. Ihr Körper war gefühllos geworden. Das wilde Durcheinander des Kontrollraums erreichte sie nur als
gedämpftes Murmeln.
Agent Smith begann seinen Bericht. Die auf dem Podium Versammelten hörten ihm unruhig zu.
»Auf Ihre Anordnung, Sir, halten wir uns seit zwei Tagen in Sevilla auf. Unser Auftrag lautet: Beschattung von Mr Hulohot.«
»Lassen Sie uns gleich zum Attentat kommen!«, sagte Fontaine ungeduldig.
Smith nickte. »Wir konnten es aus etwa fünfzig Metern Entfernung von unserem Fahrzeug aus beobachten. Es verlief absolut glatt. Hulohot ist offensichtlich ein Profi. Im weiteren Verlauf bekam er allerdings Schwierigkeiten, weil Passanten am Tatort aufgetaucht
sind. Hulohot konnte den Gegenstand nicht an sich bringen.«
Fontaine nickte. Seine Agenten hatten ihn in Südamerika von den Problemen verständigt, worauf er seine Reise verkürzt hatte.
»Ihren neuerlichen Instruktionen gemäß sind wir an Hulohot drangeblieben«, übernahm Smith den Bericht. »Das Leichenschauhaus hat ihn allerdings überhaupt nicht interessiert. Dafür hat er sich einem Zivilisten an die Fersen geheftet. Der Mann
sah nach einem Privatmann aus, mit Jackett und Krawatte.«
»Ein Privatmann?« Fontaine wurde nachdenklich. Das hörte sich sehr nach Strathmore an – die NSA immer schön außen vor halten.
»Die zweite Schutzschale gibt auf!«, rief ein Techniker in den Raum.
»Wir brauchen diesen Gegenstand«, drängte Fontaine. »Wo hält sich Hulohot derzeit auf?«
Smith schaute unsicher über seine Schulter. »Na ja... er ist hier bei uns, Sir.«
Fontaine atmete auf. Das war die beste Nachricht des Tages. »Und wo?«
Smith griff nach dem Objektiv der Kamera und hantierte daran
herum. Die Kamera machte einen Schwenk durch den Kastenwagen und blieb an zwei gegen die Rückwand gelehnten schlaffen Körpern hängen. Der eine war ein großer Kerl mit einer verbogenen Nickelbrille, der andere ein junger Mann mit dunklem
Haarschopf und blutverschmiertem Hemd. »Der Linke ist Hulohot«, erläuterte Smith. »Hulohot ist tot?«, wunderte sich Fontaine.
»Jawohl, Sir.«
Fontaine warf einen Blick auf das Schaubild mit den dünner werdenden Schutzschilden. Der Bericht über Hulohots Todesumstände mochte warten. »Agent Smith, lassen Sie uns jetzt zu
dem Gegenstand kommen. Ich brauche ihn«, sagte er mit Nachdruck.
Smith sah ihn verlegen an. »Sir, wir haben bislang noch keine Ahnung, worum es sich bei diesem Gegenstand überhaupt handelt.
Diesbezüglich herrscht bei uns noch Aufklärungsbedarf.«
KAPITEL 114
»Dann untersuchen Sie eben alles noch einmal!«, ordnete Fontaine an.
Tief beunruhigt betrachtete Fontaine das verwaschene Bild der beiden Agenten, die im Hintergrund die zwei schlaffen Gestalten nach einem Gegenstand mit einer zufälligen Zeichenfolge aus Zahlen und
Buchstaben durchsuchten.
Jabba war blass geworden. »Oh mein Gott, wenn sie den Code nicht finden, sind wir im Eimer!«
»Der zweite Schild ist weg!«, schrie eine Stimme. »Der dritte Schutzschild liegt jetzt frei.« Eine neue Welle der Betriebsamkeit
rauschte auf.
Auf dem Bildschirm sah man den Agenten mit dem Bürstenhaarschnitt. Er hob entschuldigend die Arme. »Sir, der Code kann nicht hier sein. Wir haben beide Männer sorgfältig durchsucht. Taschen, Kleidung, Brieftasche. Es war nichts zu finden. Hulohot führt einen Monocle-Computer mit sich, den wir ebenfalls überprüft haben. Er scheint damit aber nichts übertragen zu haben, was auch nur entfernt nach einem Zufallscode aussieht. Wir sind lediglich auf eine
Liste seiner Auftragsmorde gestoßen.«
»Verdammt aber auch!«, zischte Fontaine. Seine stoische Fassade begann zu bröckeln. »Der Kill-Code muss einfach bei Ihnen irgendwo
sein! Weitersuchen!«
Jabba hatte offenbar genug mitbekommen – Fontaine hatte hoch gepokert und verloren. Als Sys-Sec-Leiter übernahm er das Ruder seines Schiffs. Wie ein Sturm aus dem Gebirge fuhr er von seinem Podium herunter und fiel Kommandos brüllend in die Armee seiner Techniker ein. »Peripherieaggregate herunterfahren!