Stilllegungsprozedur einleiten! Los, Beeilung!«
»Das schaffen wir nie!«, jammerte Soschi. »Wir brauchen mindestens eine halbe Stunde. Wenn wir mit dem Herunterfahren
fertig sind, ist es zu spät!«
Jabba öffnete den Mund, um zu antworten, doch ein gequälter Aufschrei aus dem Hintergrund ließ ihn verstummen.
Alles fuhr herum. Susan Fletcher, die zusammengekauert hinten auf dem Podium gehockt hatte, erhob sich bleich wie ein Gespenst und starrte gebannt auf die Standbild-Einstellung des gegen die
Rückwand des Lieferwagens gelehnten David Becker.
»Ihr habt ihn umgebracht!«, stammelte sie. »Ihr habt ihn umgebracht!«
Fontaine begriff gar nichts mehr. »Sie kennen diesen Mann?«
Auf unsicheren Beinen wankte Susan vom Podium herab. Ein kleines Stück vor der Bildwand blieb sie stehen. Wie betäubt starrte sie fassungslos zu der riesigen Projektion hinauf und rief wieder und
wieder den Namen des Mannes, den sie liebte. »David, David!«
KAPITEL 115
In David Beckers Kopf herrschte absolute Leere. Du bist tot. Aber da war dieser ferne Klang, der Klang einer Stimme.
»David!«
Das entsetzliche Brennen unter seinen Armen ließ ihn keinen klaren Gedanken fassen. Das Blut rollte wie Feuer durch seine Adern. Das ist nicht dein Körper! Aber er hörte diese Stimme, die nach ihm rief. Sie war dünn und fern, und doch war sie ein Teil von ihm. Es gab auch noch andere Stimmen, unvertraute und belanglose. Er bemühte sich, die anderen Stimmen auszublenden. Nur diese eine Stimme
bedeutete ihm etwas. Sie wurde klarer und verschwamm wieder.
»David ... was haben sie mit dir gemacht ... »
Ein flackerndes Licht war zu sehen, ganz schwach nur, nicht mehr als ein hellgrauer Fleck. Becker wollte sich bewegen. Quälender Schmerz. Er versuchte, etwas zu sagen. Ohnmächtiges Schweigen.
Und immer noch rief diese Stimme.
Jemand war zu ihm getreten, hob ihn hoch. Becker bewegte sich auf die Stimme zu – oder wurde er bewegt? Die Stimme rief. Becker glotzte ohne zu begreifen auf ein leuchtendes Viereck. Ein Bildschirm. Eine Frau war darauf zu erkennen, die aus einer anderen
Welt zu ihm emporschaute. Will sie zusehen, wie du stirbst?
»David...«
Er kannte die Stimme. Es war die Stimme eines Engels. Der Engel war gekommen. »David, ich liebe dich!«, sagte der Engel.
Und plötzlich war ihm alles wieder präsent.
Susan streckte die Arme nach der Bildwand aus. Vom Ansturm der Gefühle hin und her gerissen, lachte und weinte sie zugleich. »David!
Ich ... ich habe gedacht, du wärst ...«
Feldagent Smith hatte David Becker auf den Klappstuhl vor dem kleinen Monitor gehievt. »Er ist noch ein bisschen neben der Spur,
Ma'am. Geben Sie ihm noch ein paar Sekunden.«
»A ... aber«, stammelte Susan, »ich habe doch die Meldung gesehen, dass er ...«
Smith nickte. »Haben wir auch gesehen, aber Hulohot war wohl etwas voreilig.«
»Aber das Blut...«
»Nur eine Fleischwunde. Wir haben ihm einen Schnellverband angelegt.«
Susan rang nach Worten.
Agent Collander ließ sich aus dem Off vernehmen. »Wir mussten ihm eins mit der neuen J23 verpassen – ein lang wirkendes Betäubungsgeschoss. Das brennt vermutlich wie die Hölle, aber
anders konnten wir ihn nicht aus dem Verkehr ziehen.«
»Keine Bange, Ma'am«, pflichtete Smith bei. »Er ist gleich wieder auf den Beinen.«
David Becker starrte auf den Monitor vor seiner Nase. Er war desorientiert und benommen. Der Bildschirm zeigte einen Raum. Einen Raum, in dem es drunter und drüber ging. Susan war auch da.
Sie stand auf einer freien Bodenfläche und schaute gleichzeitig lachend und weinend zu ihm herauf.
»Oh David, Gott sei Dank! Ich habe gedacht, ich hätte dich für immer verloren!«
David rieb sich die Schläfen. Er rutschte näher an den Bildschirm heran und zog das Schwanenhals-Mikrofon dicht vor seinen Mund.
»Susan?«
Susan konnte es nicht fassen. Davids kräftige Züge füllten die ganze Wand vor ihr. Seine Stimme dröhnte.
»Susan, ich muss dich unbedingt etwas fragen.« Die Klangfülle und die Lautstärke seiner Stimme brachten die Hektik in der Datenbank vorübergehend zum Erliegen. Die Leute ließen alles liegen
und stehen und schauten auf den Bildschirm.
»Susan Fletcher«, dröhnte die Stimme, »willst du mich heiraten?«
Es wurde still im Raum. Ein Clipboard samt einem Becher mit Bleistiften schepperte auf den Boden. Keiner machte Anstalten, die Bescherung aufzuheben. Nur das leise Surren der Lüfter in den Terminals und David Beckers vom Mikrofon aufgefangener
regelmäßiger Atem waren zu hören.
»Dav... David«, stammelte Susan, die nicht merkte, dass siebenunddreißig Leute mit angehaltenem Atem hinter ihr standen und zuhörten. »Das hast du mich doch schon einmal gefragt, vor fünf
Monaten. Ich habe damals Ja gesagt, weißt du das denn nicht mehr?«
»Oh doch.« David Becker lächelte. »Aber diesmal...« Er streckte die linke Hand der Kamera entgegen. Am Ringfinger schimmerte ein
goldener Reif. »Aber diesmal habe ich auch einen gravierten Ring!«
KAPITEL 116
»Einen gravierten Ring? Mr Becker, bitte lesen Sie uns die Inschrift vor!«, verlangte Fontaine.
Jabba saß vor seiner Tastatur und schwitzte. »Ja«, bekräftigte er, »lesen Sie uns die vermaledeite Inschrift vor.«
Susan Fletcher stand mit weichen Knien und glühenden Wangen dabei. Kein Mensch kümmerte sich mehr um die Arbeit. Alle starrten hinauf zu der riesigen Projektion von David Becker, der den Ring abgezogen hatte und zwischen den Fingern drehte, um die Gravierung
zu lesen.
»Und lesen Sie bitte fehlerfrei«, sagte Jabba. »Ein Fehler, und wir sind im Arsch!«
Fontaine sah Jabba missbilligend an. Wenn es etwas gab, womit der Direktor der NSA Erfahrung hatte, dann waren es Stresssituationen. Es war nie gut, zusätzlichen Druck zu machen. »Ganz ruhig, Mr Becker«, sagte er. »Wenn wir einen Fehler machen,
geben wir den Code eben noch einmal ein, bis er stimmt.«
»Vergessen Sie diesen Rat, Mr Becker!«, fauchte Jabba, »und machen Sie es gefälligst gleich beim ersten Mal richtig. Kill-Codes reagieren auf Fehlversuche meist mit einer Strafe, damit man nicht mit Herumprobieren weiterkommt. Eine fehlerhafte Eingabe, und die Programmschleife läuft schneller. Zwei Fehler, und es heißt: Klappe
zu, Affe tot!«
Fontaine runzelte die Stirn. Er wandte sich dem Bildschirm zu. »Mein Fehler, Mr Becker. Lesen Sie also bitte sorgfältig – sehr, sehr sorgfältig.«
Becker nickte. Er studierte noch einmal die Inschrift und begann,
ruhig und konzentriert von dem Ring abzulesen. »Q. ... U... I... S... Leerzeichen ... C...«
Jabba und Susan fielen ihm gleichzeitig ins Wort. »Leerzeichen?« Jabba hatte aufgehört zu tippen. »Da gibt es einen Zwischenraum?«
Achselzuckend sah Becker noch einmal nach. »Ja, und es ist auch nicht der einzige.«
»Warum geht es nicht weiter?«, erkundigte sich Fontaine. »Bekomme ich hier etwas nicht mit?«
»Sir«, sagte Susan, der man die Verwunderung ansehen konnte, »es ist... es ist nur...«
»Ganz meine Meinung«, sagte Jabba. »Sehr merkwürdig. Passwörter haben niemals Zwischenräume.«
Brinkerhoff schluckte vernehmlich. »Und das heißt?«
»Jabba will sagen«, schaltete Susan sich ein, »dass das vielleicht gar nicht der Kill-Code ist.«
»Natürlich ist es der Kill-Code!«, trumpfte Brinkerhoff auf. »Was denn sonst? Wieso hätte Tankado den Ring denn sonst loswerden wollen? Wer zum Teufel lässt sich schon eine zufällige Folge von