»Er läuft absolut sauber.«
»Aber dann muss der Schlüssel riesig sein!«
Strathmore schüttelte den Kopf. »Es ist ein handelsüblicher Schlüssel. Ein Vierundsechzig-Bit-Key, nehme ich an.«
Susan schaute durch einen Spalt in den Vorhängen hinunter zum TRANSLTR. Diese Maschine konnte einen Vierundsechzig-Bit-Schlüssel erfahrungsgemäß in weniger als zehn Minuten knacken. »Es
muss doch eine Erklärung geben!«
Strathmore nickte. »Die gibt es auch. Aber sie wird Ihnen nicht gefallen.«
Susan sah ihn unbehaglich an. »Ist mit dem TRANSLTR etwas nicht in Ordnung?«
»Er funktioniert tadellos.«
»Haben wir uns einen Virus eingefangen?«
Strathmore verneinte kopfschüttelnd. »Keinesfalls. Lassen Sie mich erklären.«
Susan war sprachlos. Der TRANSLTR hatte es noch nie mit einem Code zu tun bekommen, den er nicht in weniger als einer Stunde entschlüsselt hätte. Normalerweise spie Strathmores Druckermodul den Klartext schon innerhalb von Minuten aus! Sie warf einen Blick auf den Hochgeschwindigkeitsdrucker hinter Strathmores
Schreibtisch. Der Ausgabeschacht war leer.
»Susan«, begann Strathmore ruhig, »Sie werden mir wahrscheinlich nicht glauben, aber bitte hören Sie mir jetzt eine Minute lang zu.« Er kaute auf seiner Unterlippe herum. »Dieser Code, an dem der TRANSLTR jetzt arbeitet – er ist einzigartig. Er ist mit nichts von dem zu vergleichen, was uns bisher begegnet ist.« Strathmore zögerte, als ob der nächste Satz nicht über seine Lippen
kommen wollte. »Dieser Code ist nicht dechiffrierbar.«
Susan schaute ihn entgeistert an. Fast hätte sie laut losgeprustet. Nicht dechiffrierbar? Was sollte das denn heißen? Es gab keinen nicht dechiffrierbaren Code – bei dem einen dauerte es eben etwas länger als beim anderen, aber knacken konnte man sie alle. Der TRANSLTR musste früher oder später den richtigen Schlüssel erraten, das garantierte ein mathematisches Gesetz! »Habe ich Sie richtig
verstanden?«
»Dieser Code ist unentschlüsselbar«, wiederholte Strathmore ungerührt.
Unentschlüsselbar? Susan konnte kaum glauben, dass einem Mann mit siebenundzwanzigjähriger Berufserfahrung in der Analyse von Verschlüsselungsverfahren ein solches Wort über die Lippen
gekommen war.
»Unentschlüsselbar, Sir? Und was ist mit dem Bergofsky-Prinzip?«
Susan hatte schon ganz zu Anfang ihrer Karriere mit dem Bergofsky-Prinzip, dem Grundstein der Brute-Force-Technologie, Bekanntschaft gemacht. Schließlich hatte es Strathmore zum Bau des TRANSLTR inspiriert! Es sagte aus, dass ein Computer mit mathematischer Sicherheit den richtigen Schlüssel finden musste, wenn er nur eine ausreichende Zahl von Möglichkeiten durchprobierte. Die Sicherheit eines Code-Schlüssels bestand nicht in seiner Unauffindbarkeit, sondern darin, dass die meisten Leute weder
die Zeit noch die Mittel hatten, ihn zu suchen.
Strathmore schüttelte den Kopf. »Bei diesem Code ist es anders.«
»Inwiefern anders?« Susan musterte Strathmore verstohlen. Ein unentschlüsselbarer Code ist mathematisch unmöglich. Das muss er
doch wissen!
Strathmores Hand glitt über seinen schweißnassen Schädel. »Dieser Code basiert auf einem völlig neuen Algorithmus. So etwas
ist uns noch nie begegnet.«
Susans Skepsis wuchs. Verschlüsselungs-Algorithmen waren lediglich mathematische Formeln, Rezepte zur Verwandlung von Klartext in chiffrierten Text. Mathematiker und Programmierer entwickelten täglich neue Algorithmen. Sie waren zu Hunderten auf dem Markt – PGP, Diffie-Hellman, ZIP, IDEA, El Gamal. Der TRANSLTR knackte die mit ihrer Hilfe erzeugten Codes Tag für Tag ohne Probleme. Für diesen Megarechner sahen alle Codes gleich aus,
egal, mit welchem Algorithmus sie geschrieben waren.
»Das verstehe ich nicht«, wandte Susan ein. »Wir reden hier nicht vom Aufdröseln einer komplexen mathematischen Funktion, wir reden hier von der Brute-Force-Methode. PGP, Lucifer, DSA — darauf kommt es doch gar nicht an! Der Algorithmus generiert einen
Schlüssel, den er für unentschlüsselbar hält, und unser TRANSLTR probiert einfach so lange sämtliche Kombinationen
durch, bis er den richtigen Schlüssel gefunden hat!«
Strathmore antwortete mit der schwer zu erschütternden Geduld eines guten Pädagogen. »Richtig, Susan, unser TRANSLTR wird den Schlüssel immer finden – egal, wie groß er ist.« Strathmore machte
eine bedeutungsschwere Pause. »Es sei denn...«
Susan wollte etwas einwenden, aber es war klar, dass Strathmore gleich die Bombe platzen lassen würde. Es sei denn... was?
»Es sei denn, er merkt nicht, wann er es geschafft hat.«
»Wie bitte?« Susan wäre fast vom Stuhl gefallen.
»Ja, der Computer errät zwar den richtigen Schlüssel, rechnet dann aber trotzdem weiter, weil er nicht erkennt, dass er ihn schon hat.« Strathmore machte ein undurchdringliches Gesicht. »Ich glaube,
dieser Algorithmus hat einen rotierenden Klartext.«
Susan blieb wieder einmal der Mund offen stehen.
Die Idee eines rotierenden Klartexts war zum ersten Mal 1987 in einem obskuren Artikel des ungarischen Mathematikers Josef Harne aufgetaucht. Da die nach der Brute-Force-Methode arbeitenden Computer den Text auf identifizierbare Wortmuster durchsuchten, mittels deren sie ihn Stück für Stück in Klartext zurückverwandeln konnten, schlug Harne einen Verschlüsselungs-Algorithmus vor, der zusätzlich zur üblichen Verschlüsselung bereits verschlüsselte Textbestandteile längs einer Zeitvariablen verschob. In der Theorie bewirkte diese kontinuierliche Mutation, dass der angreifende Computer nie auf erkennbare Muster stieß, anhand deren er feststellen konnte, wann er den richtigen Schlüssel gefunden hatte. Die Idee erinnerte ein wenig an die Kolonisierung des Mars – als intellektuelles
Planspiel durchaus denkbar, aber praktisch noch weit außerhalb jeglicher Möglichkeiten.
»Wo haben Sie dieses Programm denn her?«, wollte Susan wissen.
»Ein kommerzieller Programmierer hat es geschrieben.«
»Wie bitte?« Susan war völlig perplex. »In unserem Laden arbeiten die besten Programmierer der Welt! Und keiner hat es bisher auch nur im Ansatz geschafft, ein Programm mit rotierender Klartextfunktion zu entwickeln. Wollen Sie mir etwa erzählen,
irgendein kleiner Hacker mit einem PC hätte es zusammengebastelt?«
Strathmore senkte die Stimme, als gälte es, Susan zu beruhigen. »Einen kleinen Hacker würde ich diesen Urheber nicht unbedingt
nennen.«
Susan hörte ihm gar nicht zu. Sie war überzeugt, dass es eine andere Erklärung geben musste: eine Macke im Rechner, einen Virus.
Alles war wahrscheinlicher als ein nicht dechiffrierbarer Code!
Strathmore sah sie bedeutungsvoll an. »Diesen Algorithmus hat einer der brillantesten Kryptographien aller Zeiten entwickelt.«
Susans Zweifel wurden noch größer. Die brillantesten Kryptographen aller Zeiten saßen in ihrer Abteilung! Wenn einer von ihnen einen solchen Algorithmus entwickelt hätte, wäre sie längst im
Bilde.
»Und wer?«, wollte sie wissen.
»Ich denke, Sie werden von alleine darauf kommen«, sagte Strathmore. »Es handelt sich um jemand, der uns nicht besonders
wohl gesinnt ist.«
»Na, wer soll denn da noch übrig bleiben?«, sagte sie sarkastisch.
»Er hat am TRANSLTR-Projekt mitgearbeitet, aber sich nicht an die Regeln gehalten. Er hätte um ein Haar einen nachrichtendienstlichen Super-GAU losgetreten. Ich habe ihn in die
Wüste schicken müssen.«
Susans anfangs noch ausdrucksloses Gesicht wurde schneeweiß. »Oh, mein Gott...«
Strathmore nickte. »Er hat sich schon das ganze vergangene Jahr gebrüstet, er hätte einen Algorithmus in der Mache, dem mit Brute-Force nicht beizukommen sei.«
»A... aber«, stammelte Susan, »ich habe immer gedacht, das wären alles nur Hirngespinste. Dann hat er es tatsächlich geschafft?«