Fassade hinüber.
»Gleich kommt's«, kündigte Smith an. »Hulohot ist ein Profi. Er erledigt die Sache mit einem einzigen Schuss.«
Smith hatte nicht zu viel versprochen. Hinter den Bäumen links im Bild blitzte es auf. Im nächsten Moment griff sich Tankado taumelnd an die Brust. Die Kamera schwenkte auf ihn und zoomte ihn heran.
Das wackelige Bild wurde unscharf und wieder scharf.
Smith setzte seine kühle Kommentierung des schnellen Bilddurchlaufs fort. »Wir können beobachten, dass es augenblicklich
zu einer schweren Herzinsuffizienz kommt.«
Susan wurde von den Bildern übel. Tankado hatte die verkrüppelten Hände an die Brust gepresst. Verwirrung und
Schrecken sprachen aus seinen Zügen.
»Wie Sie sehen, richtet sich Tankados Blick nach unten, auf ihn selbst«, kommentierte Smith. »Er hebt kein einziges Mal den Blick
und schaut sich um.«
»Und darauf kommt es an?«, sagte Jabba in einer Mischung aus Frage und Feststellung.
»Ganz entscheidend«, bestätigte Smith. »Wenn Tankado auch nur den leisesten Verdacht einer Fremdeinwirkung gehabt hätte, würde sein Blick instinktiv die Umgebung abgesucht haben. Aber wie Sie
sehen, tut er es nicht.«
Auf dem Bildschirm brach Tankado in die Knie, die Hände immer noch an die Brust gepresst. Sein Blick hob sich kein einziges Mal. Ensei Tankado war ein sich selbst überlassener Mann, der einsam und
allein eines vermeintlich natürlichen Todes starb.
»Der rapide Eintritt des Todes ist ungewöhnlich«, sagte Smith leicht irritiert. »So schnell töten Traumageschosse normalerweise
nicht. Bei größeren Zielen sind sie oft noch nicht einmal tödlich.«
»Er hatte einen Herzfehler«, bemerkte Fontaine ungerührt.
Smith hob beeindruckt die Brauen. »Dann war die Waffe ausgezeichnet gewählt.«
Susan sah Tankado aus dem Kniestand auf die Seite kippen, bis er schließlich auf dem Rücken lag. Die Hände an die Brust gepresst, starrte er nach oben. Plötzlich schwenkte die Kamera zurück zu der Baumgruppe. Ein Mann mit Nickelbrille kam ins Bild. Er trug einen etwas zu groß geratenen Aktenkoffer. Während er über die Promenade auf den sich windenden Tankado zuschritt, begannen seine
Fingerspitzen in stummem Tanz gegeneinander zu trommeln.
»Er gibt jetzt in seinen Monocle-Computer die Meldung ein, dass Tankado ausgeschaltet ist«, erläuterte Smith. Er streifte Becker mit einem Seitenblick. »Mir scheint, Hulohot hatte die schlechte Gewohnheit, Vollzug zu melden, bevor das Opfer den letzten
Atemzug getan hat.«
Collander ließ die Aufzeichnung noch etwas schneller laufen. Die Kamera verfolgte Hulohot auf dem Weg zu seinem Opfer. Plötzlich platzte aus einer nahe gelegenen Arkade ein älterer Herr heraus, lief zu Tankado und kniete sich neben ihm auf die Erde. Unmittelbar darauf traten aus der gleichen Arkade zwei weitere Personen – ein fettleibiger Mann und eine rothaarige Frau, die sich ebenfalls zu
Tankado begaben.
»Ungünstige Wahl des Tatorts«, bemerkte Smith. »Hulohot hat fälschlich geglaubt, sein Opfer isoliert zu haben.«
Auf dem Bildschirm sah man Hulohot einen Moment innehalten, worauf er sich wieder hinter die Bäume zurückzog – offenbar, um
abzuwarten.
»Jetzt kommt die Übergabe des Rings«, soufflierte Smith. »Wir
haben es beim ersten Mal selbst nicht bemerkt.«
Susan schaute hinauf zu den schrecklichen Bildern. Nach Luft ringend, versuchte Tankado sich den neben ihm knienden barmherzigen Samaritern verständlich zu machen. Schließlich stieß er die linke Hand dem alten Herrn beinahe ins Gesicht und wedelte ihm mit seinen nach außen abstehenden missgebildeten Fingern verzweifelt vor der Nase herum. Die Kamera ging auf die drei deformierten Finger. An einem von ihnen glänzte in der spanischen Sonne unübersehbar ein goldener Ring. Tankado stieß erneut den Arm hoch. Der alte Mann prallte zurück. Tankado probierte es nun bei der Frau. Auch ihr hielt er beschwörend seine drei verkrüppelten Finger dicht vors Gesicht. Der Ring gleißte in der Sonne. Die Frau wandte den Blick ab. Tankado, inzwischen offenbar unfähig, einen Laut von
sich zu geben, machte bei dem Fettleibigen einen letzten Versuch.
Der ältere Herr stand plötzlich auf und lief davon wie jemand, der Hilfe holen will. Tankado, dessen Kräfte rapide zu schwinden schienen, hielt dem Dicken immer noch den Ring vors Gesicht. Schließlich ergriff der Dicke stützend das emporgereckte Handgelenk des Sterbenden. Tankado starrte hinauf zu seinen Fingern, seinem Ring, und dann in die Augen des Dicken. Er nickte dem Dicken fast unmerklich wie zur Bestätigung zu. Es sah aus, als hätte der Dicke
ihm einen letzten Wunsch erfüllt.
Dann fiel Ensei Tankado schlaff in sich zusammen.
Jabha stöhnte auf. »Gütiger Gott.«
Die Kamera schwenkte auf Hulohots Versteck. Der Attentäter war nicht mehr da. Ein Motorradpolizist kam die Avenida Firelli heraufgebraust. Die Kamera ging hastig zurück auf Tankado. Die Frau, die neben ihm kniete, schaute sich nervös um. Sie hatte offenbar die Polizeisirene gehört. Sie sprang auf und zerrte an ihrem fettleibigen Begleiter, um ihn zum Gehen zu bewegen, worauf die
beiden sich eilends entfernten.
Die Kamera holte Tankado groß ins Bild. Seine Hände lagen gefaltet auf der leblosen Brust.
Der Ring war fort.
KAPITEL 118
Da haben wir den Beweis«, sagte Fontaine mit Nachdruck. »Tankado wollte den Ring loswerden. Der Ring sollte verschwinden –
damit wir ihn nicht finden können.«
»Aber, Sir, das ergibt doch keinen Sinn«, wandte Susan ein. »Wozu hätte Tankado den Kill-Code verschwinden lassen sollen, wenn er nicht mitbekommen hat, dass er das Opfer eines
Mordanschlags war?«
»Ganz meine Meinung«, sagte Jabba. »Er war ein Rebell, aber ein Rebell mit Grundsätzen. Uns zu zwingen, dass wir mit der Wahrheit über den TRANSLTR herausrücken, ist eine Sache – aber unsere streng geheime zentrale Datenbank zum öffentlichen Jahrmarkt zu
machen ist eine andere.«
Fontaine starrte wenig überzeugt vor sich hin. »Sie glauben doch nicht etwa, dass Tankado daran gelegen war, diesen Wurm aufzuhalten? In seiner Todesstunde soll sein letzter Gedanke der
armen NSA gegolten haben?«
»Vierte Schale verliert an Wirkung«, schrie ein Techniker. »In maximal fünfzehn Minuten sind wir allseits verwundbar!«
Fontaine nahm das Heft in die Hand. »Ich will Ihnen einmal etwas sagen«, erklärte er. »In fünfzehn Minuten wird sich jeder Schurkenstaat dieser Erde informieren können, wie man eine Atomrakete baut! Falls jemand in diesem Raum einen besseren Kandidaten für den Kill-Code vorzuschlagen hat als diesen Ring, bin ich ganz Ohr.« Er machte eine abwartende Pause, doch keiner sagte ein Wort. Fontaine blickte Jabba fest in die Augen. »Jabba, Tankado hat diesen Ring nicht ohne Grund verschwinden lassen. Ob er ihn aus dem Verkehr ziehen wollte, oder ob er gedacht hat, dass der Dicke zur nächsten Telefonzelle rennt und uns anruft, ist mir herzlich egal. Mein Entschluss steht jedenfalls fest. Wir werden dieses Zitat eingeben, und
zwar sofort!«
Jabba holte tief Luft. Natürlich hatte Fontaine Recht – eine aussichtsreichere Alternative gab es ja nicht. Außerdem wurde die Zeit allmählich knapp. Jabba setzte sich und rollte mit seinem Stuhl zur Tastatur. »Mr Becker, bitte die Inschrift! Aber langsam und
deutlich.«
David Becker las von dem Ring ab, und Jabba tippte. Am Ende überprüften sie noch einmal, ob alles richtig geschrieben war, und löschten sämtliche Wortzwischenräume. Am oberen Rand des
zentralen Segments der Bildwand standen nun die Buchstaben:
QUISCUSTODIETIPSOSCUSTODES
»Mir gefällt das nicht«, murmelte Susan. »Es ist einfach nicht stimmig.«
Jabba zögerte. Sein Finger schwebte über der Enter-Taste.
»Nun machen Sie schon«, drängte Fontaine.