Jabba hieb auf die Taste.
Schon in der nächsten Sekunde hatte auch der Letzte im Raum begriffen, dass es ein Fehler gewesen war.
KAPITEL 119
»Es war der falsche Code!«, schrie Soschi hinten im Raum, während alles vor Schreck verstummte. »Der Wurm legt Tempo zu!«
Vor ihnen auf der Bildwand prangte die Fehlermeldung:
FALSCHE EINGABE NUR ZIFFERN ZULÄSSIG
»Oh, verdammt, nur Ziffern!«, kreischte Jabba. »Wir müssen eine Zahl suchen! Dieser ganze Spruch war Scheiße! Wir sind geliefert!«
»Der Wurm hat sein Tempo verdoppelt!«, schrie Soschi. »Wir müssen zur Strafe eine Extrarunde drehen!«
In der Bildmitte, genau unter der Fehlermeldung, zeichnete die VR ein Furcht erregendes Bild. Beim Zusammenbruch der dritten Schale schoss das halbe Dutzend kurzer schwarzer Linien, die die marodierenden Hacker repräsentierten, gierig dem Kern entgegen. Mit
jedem Augenblick tauchten neue Linien auf.
»Sie schwärmen aus!«, schrie Soschi.
»Wir registrieren Einwahlen aus aller Welt!«, rief ein anderer Techniker. »Die Neuigkeit macht die Runde!«
Susans Blick glitt von der zusammenbrechenden Firewall zum rechten Rand der Bildwand, wo das Attentat als Endlosschleife lief. Immer wieder dasselbe: Tankado greift sich an die Brust, stürzt, ein paar nichts ahnende Touristen rennen herbei, Tankado drängt ihnen mit Panik im Blick seinen Ring auf. Das ergibt einfach keinen Sinn,
räsonierte sie. Er hat doch nicht gewusst, dass wir dahinter stecken ...
Ihre Gedanken liefen im Kreis. Wir müssen etwas übersehen haben.
Auf der Bildwand hatte sich die Zahl der gegen die Schutzwälle anstürmenden Hacker in den letzten Minuten verdoppelt. Von jetzt an schnellte ihre Anzahl exponentiell in die Höhe. Hacker waren wie die Hyänen eine große Sippschaft, stets eifrig darauf bedacht, unter ihren
Artgenossen die Kunde zu verbreiten, wo es etwas zu plündern gab.
Leland Fontaine hatte genug gesehen. »Herunterfahren!«, befahl er. »Fahren Sie die verdammte Anlage herunter!«
Jabba blickte stur geradeaus wie der Kapitän eines sinkenden Schiffs.
»Zu spät, Sir. Wir saufen ab.«
KAPITEL 120
Der Sys-Sec-Abteilungsleiter stand bewegungslos da. Er hatte die Hände auf dem kahlen Kopf verschränkt und bot das Bild von vierhundert Pfund Fassungslosigkeit. Er hatte inzwischen Anweisung zum Abschalten der Stromzufuhr gegeben, aber der Befehl kam gut zwanzig Minuten zu spät. Bis die Maßnahme griff, konnte jeder Hacker mit einem Hochgeschwindigkeits-Modem atemberaubende Mengen von streng geheimem Material aus dem Datenspeicher
herunterladen.
Soschi riss Jabba aus seinem Albtraum. Sie kam mit einem neuen Ausdruck zum Podium gerannt. »Jabba, ich habe etwas entdeckt!«, sprudelte sie aufgeregt hervor. »Im Quellcode sind jede Menge
Kommentarzeilen! Überall Vierer-Buchstabengruppen!«
Jabba war wenig beeindruckt. »Wir sind auf der Suche nach einer Zahl, verdammt nochmal! Keine Buchstaben, der Kill-Code ist eine
Zahl!«
»Aber da sind nun mal diese Kommentarzeilen! Tankado ist zu gut, um überflüssige Zeichen zu hinterlassen, und schon gar nicht so
viele!«
Diese überflüssigen Zeichen hatten für die Funktion des Programms keinerlei Bedeutung. Sie steuerten nichts, bezogen sich auf nichts, führten zu nichts und wurden normalerweise im abschließenden Funktionsprüfungs- und Kompilierungsprozess
gelöscht.
Jabba nahm den Ausdruck zur Hand und studierte ihn. Fontaine stand schweigend dabei.
Susan lugte über Jabbas Schulter auf den Ausdruck. Tatsächlich, nach jeweils ungefähr zwanzig Programmzeilen folgten vier
zusammenhangslose Buchstaben. Sie überflog die Gruppen.
PRER
UARE
RSRO
»Vierer-Buchstabengruppen?«, rätselte sie. »Eindeutig keine Bestandteile des Programms.«
»Vergessen Sie's«, grollte Jabba. »Sie greifen nach einem Strohhalm.«
»Vielleicht auch nicht«, gab Susan zurück. »Es gibt zahllose Kodierungsverfahren, die mit Vierergruppen arbeiten. Das könnte ein
Code sein.«
»Oh ja«, grunzte Jabba, »und ich weiß auch, was da steht: ›Ätsch, ihr seid im Arsch!‹« Er blickte hoch zur VR. »In ungefähr zehn
Minuten ist es so weit.«
Susan achtete nicht auf Jabbas Kommentar. »Wie viele Buchstabengruppen haben wir denn?«, fragte sie Soschi.
Soschi zuckte die Achseln, aber dann machte sie sich an Jabbas Terminal breit und tippte alle Buchstabengruppen ab. Als sie fertig war und sich mit ihrem Bürostuhl vom Tisch abstieß, betrachteten alle
verständnislos die Zeichen auf der Bildwand:
PRER UARE RSRO NKBL ICFS DILE M HUC NVIM UIEH AECE NERI GRHN TDHM ADET EDIA SENE
Susan wer die Einzige, die lächelte. »Das kommt mir bekannt vor«, sagte sie. »Viererblöcke – wie bei der Enigma.«
Fontaine nickte knapp. Die Enigma, die zwölf Tonnen schwere
monströse Chiffriermachine der Nazis im Zweiten Weltkrieg, war der berühmteste mechanische Verschlüsselungsapparat aller Zeiten. »Großartig«, stöhnte er. »Hat hier vielleicht jemand zufällig eine Enigma dabei?«
»Das ist nicht der Punkt«, sagte Susan, die auf einmal aktiv wurde. Jetzt ging es um ihr Spezialgebiet. »Der Punkt ist, dass wir es mit einem Code zu tun haben. Tankado hat uns einen Fingerzeig hinterlassen! Er spielt mit uns, fordert uns auf, den Kill-Code auszuknobeln. Er hat Spuren gelegt, wir können sie nur noch nicht
richtig lesen.«
»Ach was!«, schnauzte Jabba. »Tankado hat uns nur einen einzigen Ausweg gelassen – zuzugeben, dass wir den TRANSLTR haben. Das wär's gewesen. Das war unsere Chance. Aber die haben
wir uns selber versaut!«
»Da muss ich Jabba leider Recht geben«, sagte Fontaine. »Ich bezweifle, dass Tankado gewillt war, uns mit dem Ausstreuen von
Hinweisen auf seinen Kill-Code aus der Patsche zu helfen.«
Susan nickte diffus. Sie erinnerte sich an Tankados Anagramm mit NDAKOTA. Sie betrachtete die Buchstaben auf dem Bildschirm. War
das vielleicht wieder eines von seinen Wortspielen?
»Vierte Schale zur Hälfte abgestürzt«, rief ein Techniker.
Auf dem Bildschirm fraß sich die Masse der schwarzen Maden tiefer in die letzten beiden verbliebenen Schutzringe hinein.
David hatte ruhig dagesessen und auf dem Monitor die Entwicklung des Dramas mitverfolgt. »Susan«, meldete er sich, »mir ist ein Gedanke gekommen. Besteht dieser Text vielleicht aus
sechzehn Vierergruppen?«
»Oh, mein Gott«, schniefte Jabba, »jetzt wollen auf einmal alle ihren Senf dazugeben.«
Susan achtete nicht auf ihn. Sie zählte die Gruppen durch. »Ja, es sind sechzehn.«
»Du musst die Zwischenräume eliminieren«, sagte Becker bestimmt.
»David«, sagte Susan etwas pikiert, »ich glaube nicht, dass du verstehst, worum es hier geht. Diese Vierergruppen sind ...«
»Zwischenräume löschen«, beharrte David.
Susan zögerte, doch dann nickte sie Soschi zu, die behände alle Zwischenräume eliminierte. Das Ergebnis war allerdings auch nicht
erhellender als zuvor.
PRERUARERSRONKBLICFSDILEMHUCNVIMUIEHAECEN
Jabba fuhr aus der Haut. »Jetzt reicht's mir aber! Schluss mit der Spielerei! Der Wurm wühlt mit doppeltem Tempo. Wir haben vielleicht noch acht Minuten! Wir sind auf der Suche nach einer Zahl
und nicht nach irgendwelchen schlauen Sprüchen!«
»Sechzehn mal vier«, sagte Becker ruhig. »Susan, rechne das mal aus.«
Susan schaute hinauf zu David auf dem Bildschirm. Rechne das mal aus! Er kann doch überhaupt nicht rechnen. Vokabeln und Konjugationen – ja, die konnte er reproduzieren wie ein Fotokopierer,
aber rechnen?
»Denk an eine Multiplikationstabelle«, sagte David.
Jetzt auch noch eine Multiplikationstabelle!, staunte Susan. Was geht in ihm vor?
»Sechzehn mal vier«, sagte Susan leichthin, »ergibt vierundsechzig – na, und?«