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»Noch dreißig Sekunden!«

»Legen Sie los!«, flüsterte Fontaine. »Voneinander abziehen! Schnell!«

Jabba hatte schon den Taschenrechner in der Hand und tippte die Zahlen ein.

»Was bedeutet das Sternchen?«, wunderte sich Susan. »Hinter den Zahlen steht ein Sternchen.«

Jabba, der hektisch auf seinen Taschenrechner eintippte, achtete nicht auf sie.

»Langsam, keine Fehler«, mahnte Soschi. »Wir brauchen eine ganz genaue Zahl!«

»Was ist mit dem Sternchen?«, beharrte Susan. »Verweist es vielleicht auf eine Fußnote?«

Soschi sah am Seitenende nach.

Eine Fußnote. Susan las und erbleichte. »Oh, mein Gott!«

Jabba blickte auf. »Was ist?«

Alle lehnten sich vor und blickten auf den Bildschirm. Ein Seufzer der Verzweiflung löste sich aus der Runde. Die Fußnote lautete:

* Die Angaben variieren von Labor zu Labor. Fehlermarge 1,2 Promille

KAPITEL 127

Über das Podium senkte sich jäh eine ehrfürchtige Stille. Es war, als wären die dort Versammelten Zeugen einer Sonnenfinsternis oder eines Vulkanausbruchs geworden – Zeugen einer unglaublichen und ihrem Einfluss völlig entzogenen Kette von Ereignissen. Die Zeit

hatte sich zum Schneckentempo verlangsamt.

»Wir gehen baden!«, schrie ein Techniker. »Wir werden angezapft. Auf allen Kanälen!«

In der linken Ecke des Großbildschirms sah man David Becker und die Agenten Smith und (Hollander ausdruckslos in die Kamera starren. Von der letzten Schale der Firewall war in der graphischen Darstellung der VR nur noch ein Hauch zu erkennen, um den eine dichte schwarze Masse herumquirlte – die bildliche Wiedergabe der Hundertschaften von Hackern, die darauflauerten, sich endlich einloggen zu können. Rechts davon lief die flackernde Endlosschleife von Tankados letzten Augenblicken. Verzweiflung sprach aus seinem Gesicht und der Geste der ausgestreckten Finger. An einem davon

blitzte der Ring in der Sonne.

Susan betrachtete die scharf und wieder unscharf werdenden Einstellungen. Sie betrachtete Ensei Tankados Augen, in denen sie ein tiefes Bedauern wahrzunehmen glaubte. Er hat nie gewollt, dass es so weit kommt, sagte sie zu sich selbst. Er wollte uns einen Rettungsring

zuwerfen. Und doch, immer wieder streckte Tankado die Finger aus, um seinen Helfern den Ring vor die Nase zu halten. Man sah, dass er etwas sagen wollte, aber nicht konnte. Und immer wieder ruckten seine Finger hoch.

David Becker wendete immer noch das Problem in seinem Kopf von rechts nach links. »Wie war das nochmal mit diesen Isotopen«, fragte er sich. »U-238 und U -... ?« Er seufzte. Ach, egal. Er war

Philologe und kein Physiker.

»Die ankommenden Verbindungen sind praktisch schon authentifiziert!«

»Scheiße!«, schrie Jabba frustriert, »wo liegt denn bloß der verdammte Unterschied von diesen verfluchten Isotopen? Weiß denn keiner, worin sie sich unterscheiden?« Niemand gab eine Antwort. Der ganze Raum war voll von Technikern, die hilflos zur Graphik hinaufschauten. »Wenn man einmal im Leben einen Kernphysiker

braucht, ist natürlich keiner da!«, fluchte Jabba.

Auch für Susan war die Sache gelaufen. Sie betrachtete immer noch die Endlosschleife auf der Bildwand. Mal um Mal sah sie Tankado in Zeitlupe sterben. Er versuchte etwas zu sagen, brachte

kein Wort heraus, hielt die deformierte Hand hoch ... versuchte verzeifelt, sich verständlich zu machen. Er wollte unsere Datenbank

retten, sinnierte sie, aber wir werden nie erfahren, wie.

»Sie hämmern an unsere Tür!«

Jabba starrte auf die Bildwand. »Das war's dann.« Schweiß lief ihm übers Gesicht.

Im zentralen Bildsegment war der letzte Rest der Firewall so gut wie verschwunden. Eine halb durchsichtige pulsierende Masse von schwarzen Linien wimmelte um den Kern herum. Midge wandte sich ab. Fontaine stand stocksteif da, den Blick stur geradeaus gerichtet.

Brinkerhoff sah aus, als müsste er sich gleich übergeben.

»Noch zehn Sekunden!«

Susans Blick wich nicht von Tankado. Diese Verzweiflung, dieses Bedauern! Er streckte die Hand aus, wieder und wieder, der Ring blitzte auf, drei deformierte Finger krümmten sich vor dem Gesicht

fremder Leute. Er will ihnen etwas begreiflich machen! Aber was?

David war tief in Gedanken. Der Unterschied, sagte er sich immer wieder, der Unterschied von U-238 und U-235. Etwas ganz Einfaches

muss es sein!

Der Countdown eines Technikers drang aus dem Lautsprecher. »Fünf Vier! Drei ...«

Das Wörtchen drang bis nach Spanien. Es brauchte dafür nur knapp eine zehntel Sekunde. Drei ... drei!

David Becker kam sich vor, als hätte ihn schon wieder ein Betäubungsgeschoss getroffen. Um ihn herum blieb alles stehen.

Drei ... drei ... drei – 238 minus 235! Der Unterschied ist drei! Wie in

Zeitlupe griff er zum Mikrofon.

Im gleichen Augenblick starrte Susan auf Tankados Hand. Der Ring, der gravierte Goldreif glitt für sie plötzlich aus dem

Brennpunkt. Sie sah das Fleisch darunter, die Finger ... die drei Finger. Es ging gar nicht um den Ring, sondern um die Finger! Tankado konnte nicht mehr sprechen, also benutzte er die Zeichensprache! Er zeigte sein Geheimnis, offenbarte den Kill-Code! Er flehte darum, verstanden zu werden, betete darum, dass sein

Geheimnis beizeiten den Weg zur NSA finden möge! »Drei!«, flüsterte Susan fassungslos. »Drei!«, kreischte Beckers Stimme in Spanien. In all dem Chaos schien es niemand zu hören. »Wir sind geliefert!«, schrie ein Techniker.

Die Graphik begann unkontrolliert zu flackern. Der Kern verschwand in einer Woge von Schwarz. Sirenengeheul setzte ein.

»Feindliche Downloads!«

»Hochgeschwindigkeits-Downloads auf allen Sektoren!«

Wie in Trance flog Susan zu Jabbas Tastatur. Ihr Blick traf den Blick ihres Verlobten. Wieder platzte seine Stimme aus den

Lautsprechern.

»Drei! Der Unterschied zwischen 238 und 235 ist drei!«

Sämtliche Köpfe fuhren hoch.

»Drei«, schrie Susan in die Kakophonie des Sirenengeheuls und des Geschreis der Techniker. Sie zeigte auf die Bildwand. Alle Blicke folgten ihrem ausgestreckten Zeigefinger, der auf Tankados hochgereckte Hand mit den drei verzweifelt in der Sonne von Sevilla

wedelnden Fingern wies.

Jabba erstarrte. »Oh mein Gott!« Schlagartig begriff er. Die verkrüppelten Finger hatten ihnen schon die ganze Zeit die Antwort

gezeigt!

»Drei ist eine Primzahl!«, rief Susan, »eine Primzahl!«

Fontaine war völlig verblüfft. »So einfach war das?«

»Illegale Downloads!«, schrie ein Techniker. »Umfang rasch zunehmend!«

Alle hechteten gleichzeitig zur Tastatur. Es war ein Wald von

ausgestreckten Händen. Aber Susan war wie ein geschickter Verteidiger am schnellsten am Ball. Sie tippte auf die Taste mit der Drei. Alle Köpfe fuhren hoch zur Bildwand. In all dem Chaos stand

dort oben ganz schlicht:

BITTE DEN CODE EINGEBEN: 3

»Jawohl!«, befahl Fontaine. »Tun Sie's!«

Mit angehaltenem Atem ließ Susan den Finger auf die Enter-Taste sinken. Das Terminal gab einen Pieps von sich.

Keiner bewegte sich.

Drei entsetzliche Sekunden lang geschah gar nichts.

Die Sirenen heulten weiter. Fünf Sekunden... sechs Sekunden ...

»Downloads!«

»Keine Veränderung!«

Plötzlich deutete Midge wild gestikulierend auf die Bildwand. »Da!« Eine Meldung leuchtete auf.