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„Kalt! - kalt - o wie kalt! In Italia ist es anders, anders!“ Endlich setzte er sich zwischen mir und dem Großen, sprechend:

„Das ist ein entsetzlicher Dampf - Tabak gegen Tabak - hätt’ ich nur eine Prise!“ - Ich trug die spiegelblank geschliffne Stahldose in der Tasche, die du mir einst schenktest, die zog ich gleich heraus und wollte dem Kleinen Tabak anbieten. Kaum erblickte er die, als er mit beiden Händen darauf zufuhr und, sie wegstoßend, rief: „Weg - weg mit dem abscheulichen Spiegel!“ Seine Stimme hatte etwas Entsetzliches, und als ich ihn verwundert ansah, war er ein andrer worden. Mit einem gemütlichen jugendlichen Gesicht sprang der Kleine herein, aber nun starrte mich das totenblasse, welke, eingefurchte Antlitz eines Greises mit hohlen Augen an. Voll Entsetzen rückte ich hin zum Großen. „Um ’s Himmels willen, schauen Sie doch“, wollt’ ich rufen, aber der Große nahm an allem keinen Anteil, sondern war ganz vertief in seine Tschimborasso-Pflanzen, und in dem Augenblick forderte der Kleine: „Wein des Nordens“, wie er sich preziös ausdrückte. Nach und nach wurde das Gespräch lebendiger. Der Kleine war mir zwar sehr unheimlich, aber der Große wußte über geringfügig scheinende Dinge recht viel Tiefes und Ergötzliches zu sagen, unerachtet er mit dem Ausdruck zu kämpfen schien, manchmal auch wohl ein ungehöriges Wort einmischte, das aber of der Sache eben eine drollige Originalität gab, und so milderte er, mit meinem Innern sich immer mehr befreundend, den übeln Eindruck des Kleinen. Dieser schien wie von lauter Springfedern getrieben, denn er rückte auf dem Stuhle hin und her, gestikulierte viel mit den Händen, und wohl rieselte mir ein Eisstrom durch die Haare über den Rük-ken, wenn ich es deutlich bemerkte, daß er wie aus zwei verschiedenen Gesichtern heraussah. Vorzüglich blickte er of den Großen, dessen bequeme Ruhe sonderbar gegen des Kleinen Beweglichkeit abstach, mit dem alten Gesicht an, wiewohl nicht so entsetzlich, als zuvor mich. - In dem Maskenspiel des irdischen Lebens sieht of der innere Geist mit leuchtenden Augen aus der Larve heraus, das Verwandte erkennend, und so mag es geschehen sein, daß wir drei absonderliche Menschen im Keller uns auch so angeschaut und erkannt hatten. Unser Gespräch fiel in jenen Humor, der nur aus dem tief bis auf den Tod verletzten Gemüte kommt. „Das hat auch seinen Haken“, sagte der Große. „Ach Gott,“ fiel ich ein, „wie viel Haken hat der Teufel überall für uns eingeschlagen, in Zimmerwänden, Lauben, Rosenhecken, woran vorbeistreifend wir etwas von unserm teuern Selbst hängen lassen. Es scheint, Verehrte, als ob uns allen auf diese Weise schon etwas abhanden gekommen, wiewohl mir diese Nacht vorzüglich Hut und Mantel fehlte. Beides hängt an einem Haken in des Justizrats Vorzimmer, wie Sie wissen!“ Der Kleine und der Große fuhren sichtlich auf, als träfe sie unversehens ein Schlag. Der Kleine schaute mich recht häßlich mit seinem alten Gesichte an, sprang aber gleich auf einen Stuhl und zog das Tuch fester über den Spiegel, während der Große sorgfältig die Lichter putzte. Das Gespräch lebte mühsam wieder auf, man erwähnte eines jungen wackern Malers, namens Philipp, und des Bildes einer Prinzessin, das er mit dem Geist der Liebe und dem frommen Sehnen nach dem Höchsten, wie der Herrin tiefer heiliger Sinn es ihm entzündet, vollendet hatte. „Zum Sprechen ähnlich und doch kein Porträt, sondern ein Bild“, meinte der Große. „Es ist so ganz wahr,“ sprach ich, „man möchte sagen, wie aus dem Spiegel gestohlen.“ Da sprang der Kleine wild auf; mit dem alten Gesicht und funkelnden Augen mich anstarrend, schrie er: „Das ist albern, das ist toll, wer vermag aus dem Spiegel Bilder zu stehlen? - wer vermag das? meinst du, vielleicht der Teufel? - Hoho Bruder, der zerbricht das Glas mit der tölpischen Kralle, und die feinen weißen Hände des Frauenbildes werden auch wund und bluten. Albern ist das. Heisa! - zeig’ mir das Spiegelbild, das gestohlene Spiegelbild, und ich mache dir den Meistersprung von tausend Klafer hinab, du betrübter Bursche!“ - Der Große erhob sich, schritt auf den Kleinen los und sprach: „Mache Er sich nicht so unnütz, mein Freund! sonst wird Er die Treppe hinaufgeworfen, es mag wohl miserabel aussehen mit Seinem eignen Spiegelbilde.“ - „Ha ha ha ha!“ lachte und kreischte der Kleine in tollem Hohn, „ha ha ha - meinst du? meinst du? Hab’ ich doch meinen schönen Schlagschatten, o du jämmerlicher Geselle, hab’ ich doch meinen Schlagschatten!“ - Und damit sprang er fort, noch draußen hörten wir ihn recht hämisch meckern und lachen: „hab’ ich doch meinen Schlag-schatten!“ Der Große war, wie vernichtet, totenbleich in den Stuhl zurückgesunken, er hatte den Kopf in beide Hände gestützt, und aus der tiefsten Brust atmete schwer ein Seufzer auf. „Was ist Ihnen?“ fragte ich teilnehmend. „O mein Herr,“ erwiderte der Große, „jener böse Mensch, der uns so feindselig erschien, der mich bis hieher, bis in meine Normalkneipe verfolgte, wo ich sonst einsam blieb, da höchstens nur etwa ein Erdgeist unter dem Tisch aufduckte und Brotkrümchen naschte - jener böse Mensch hat mich zurückgeführt in mein tiefstes Elend. Ach - verloren, unwiderbringlich verloren habe ich meinen - Leben Sie wohl!“ - Er stand auf und schritt mitten durch die Stube zur Tür hinaus. Alles blieb hell um ihn - er warf keinen Schlagschatten. Voll Entzücken rannte ich nach - „Peter Schlemihl - Peter Schlemihl!“ rief ich freudig, aber der hatte die Pantoffeln weggeworfen. Ich sah, wie er über den Gendarmesturm hinwegschritt und in der Nacht verschwand.

Als ich in den Keller zurück wollte, warf mir der Wirt die Tür vor der Nase zu, sprechend: „Vor solchen Gästen bewahre mich der liebe Herrgott!“ -

3. Erscheinungen

Herr Mathieu ist mein guter Freund, und sein Türsteher ein wachsamer Mann. Der machte mir gleich auf, als ich im „Goldnen Adler“ an der Hausklingel zog. Ich erklärte, wie ich mich aus einer Gesellschaf fortgeschlichen ohne Hut und Mantel, im letztern stecke aber mein Hausschlüssel, und die taube Aufwärterin herauszupochen, sei unmöglich. Der freundliche Mann (den Türsteher mein’ ich) öffnete ein Zimmer, stellte die Lichter hin und wünschte mir eine gute Nacht. Der schöne breite Spiegel war verhängt, ich weiß selbst nicht, wie ich darauf kam, das Tuch herabzuziehen und beide Lichter auf den Spiegeltisch zu setzen. Ich fand mich, da ich in den Spiegel schaute, so blaß und entstellt, daß ich mich kaum selbst wiedererkannte. - Es war mir, als schwebe aus des Spiegels tiefstem Hintergrunde eine dunkle Gestalt hervor; sowie ich fester und fester Blick und Sinn darauf richtete, entwickelten sich in seltsam magischem Schimmer deutlicher die Züge eines holden Frauenbildes - ich erkannte Julien. Von inbrünstiger Liebe und Sehnsucht befangen, seufzte ich laut auf: „Julia! Julia!“ Da stöhnte und ächzte es hinter den Gardinen eines Bettes in des Zimmers äußerster Ecke. Ich horchte auf, immer ängstlicher wurde das Stöhnen. Juliens Bild war verschwunden, entschlossen ergriff ich ein Licht, riß die Gardinen des Bettes rasch auf und schaute hinein. Wie kann ich dir denn das Gefühl beschreiben, das mich durchbebte, als ich den Kleinen erblickte, der mit dem jugendlichen, wiewohl schmerzlich verzogenen Gesicht dalag und im Schlaf recht aus tiefster Brust aufseufzte: „Giulietta! Giulietta!“ - Der Name fiel zündend in mein Inneres - das Grauen war von mir gewichen, ich faßte und rüttelte den Kleinen recht derb, rufend: „He - guter Freund, wie kommen Sie in mein Zimmer, erwachen Sie und scheren Sie sich gefälligst zum Teufel!“ - Der Kleine schlug die Augen auf und blickte mich mit dunklen Blicken an: „Das war ein böser Traum,“ sprach er, „Dank sei Ihnen, daß Sie mich weckten.“ Die Worte klangen nur wie leise Seufzer. Ich weiß nicht, wie es kam, daß der Kleine mir jetzt ganz anders erschien, ja daß der Schmerz, von dem er ergriffen, in mein eignes Innres drang und all mein Zorn in tiefer Wehmut verging. Weniger Worte bedurfe es nur, um zu erfahren, daß der Türsteher mir aus Versehen dasselbe Zimmer aufgeschlossen, welches der Kleine schon eingenommen hatte, daß ich es also war, der, unziemlich eingedrungen, den Kleinen aus dem Schlafe aufstörte.