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„Mein Herr,“ sprach der Kleine, „ich mag Ihnen im Keller wohl recht toll und ausgelassen vorgekommen sein, schieben Sie mein Betragen darauf, daß mich, wie ich nicht leugnen kann, zuweilen ein toller Spuk befängt, der mich aus allen Kreisen des Sittigen und Gehörigen hinaustreibt. Sollte Ihnen denn nicht zuweilen Gleiches widerfahren?“ - „Ach Gott ja,“ erwiderte ich kleinmütig, „nur noch heute abend, als ich Julien wiedersah.“ - „Julia?“ krächzte der Kleine mit widriger Stimme, und es zuckte über sein Gesicht hin, das wieder plötzlich alt wurde. „O lassen Sie mich ruhen - verhängen Sie doch gütigst den Spiegel, Bester!“ - dies sagte er, ganz matt aufs Kissen zurückblickend. „Mein Herr,“ sprach ich, „der Name meiner auf ewig verlornen Liebe scheint seltsame Erinnerungen in Ihnen zu wecken, auch variieren Sie merklich mit Dero angenehmen Gesichtszügen. Doch hoffe ich mit Ihnen ruhig die Nacht zu verbringen, weshalb ich gleich den Spiegel verhängen und mich ins Bett begeben will.“ Der Kleine richtete sich auf, sah mich mit überaus milden, gutmütigen Blicken seines Jünglingsgesichts an, faßte meine Hand und sprach, sie leise drückend: „Schlafen Sie ruhig, mein Herr, ich merke, daß wir Unglücksgefährten sind. - Sollten Sie auch? - Julia - Giulietta - Nun dem sei, wie ihm wolle, Sie üben eine unwiderstehliche Gewalt über mich aus - ich kann nicht anders, ich muß Ihnen mein tiefstes Geheimnis entdecken - dann hassen, dann verachten Sie mich.“ Mit diesen Worten stand der Kleine langsam auf, hüllte sich in einen weißen weiten Schlafrock und schlich leise und recht gespensterartig nach dem Spiegel, vor den er sich hinstellte. Ach! - rein und klar warf der Spiegel die beiden Lichter, die Gegenstände im Zimmer, mich selbst zurück, die Gestalt des Kleinen war nicht zu sehen im Spiegel, kein Strahl reflektierte sein dicht herangebogenes Gesicht. Er wandte sich zu mir, die tiefste Verzweiflung in den Mienen, er drückte meine Hände: „Sie kennen nun mein grenzenloses Elend,“ sprach er, „Schlemihl, die reine, gute Seele, ist beneidenswert gegen mich Verworfenen. Leichtsinnig verkaufe er seinen Schlagschatten, aber ich! - ich gab mein Spiegelbild ihr - ihr! - oh - oh - oh!“ - So tief aufstöhnend, die Hände vor die Augen gedrückt, wankte der Kleine nach dem Bette, in das er sich schnell warf. Erstarrt blieb ich stehen, Argwohn, Verachtung, Grauen, Teilnahme, Mitleiden, ich weiß selbst nicht, was sich alles für und wider den Kleinen in meiner Brust regte. Der Kleine fing indes bald an, so anmutig und melodiös zu schnarchen, daß ich der narkotischen Kraf dieser Töne nicht widerstehen konnte. Schnell verhing ich den Spiegel, löschte die Lichter aus, warf mich so wie der Kleine ins Bett und fiel bald in tiefen Schlaf. Es mochte wohl schon Morgen sein, als ein blendender Schimmer mich weckte. Ich schlug die Augen auf und erblickte den Kleinen, der im weißen Schlafrock, die Nachtmütze auf dem Kopf, den Rücken mir zugewendet, am Tische saß und bei beiden angezündeten Lichtern emsig schrieb. Er sah recht spukhaf aus, mir wandelte ein Grauen an; der Traum erfaßte mich plötzlich und trug mich wieder zum Justizrat, wo ich neben Julien auf der Ottomane saß. Doch bald war es mir, als sei die ganze Gesellschaf eine spaßhafe Weihnachtsausstellung bei Fuchs, Weide, Schoch oder sonst, der Justizrat eine zierliche Figur von Dragant mit postpapiernem Jabot. Höher und höher wurden die Bäume und Rosenbüsche. Julie stand auf und reichte mir den kristallnen Pokal, aus dem blaue Flammen emporleckten. Da zog es mich am Arm, der Kleine stand hinter mir mit dem alten Gesicht und lispelte: „Trink nicht, trink nicht - sieh sie doch recht an! - hast du sie nicht schon gesehen auf den Warnungstafeln von Breughel, von Callot oder von Rembrandt?“ - Mir schauerte vor Julien, denn freilich war sie in ihrem faltenreichen Gewande mit den bauschigen Ärmeln, in ihrem Haarschmuck so anzusehen, wie die von höllischen Untieren umgebenen lockenden Jungfrauen auf den Bildern jener Meister. „Warum fürchtest du dich denn,“ sprach Julie, „ich habe dich und dein Spiegelbild doch ganz und gar.“ Ich ergriff den Pokal, aber der Kleine hüpfe wie ein Eichhörnchen auf meine Schultern und wehte mit dem Schweife in die Flammen, widrig quiekend: „Trink nicht - trink nicht.“ Doch nun wurden alle Zuckerfiguren der Ausstellung lebendig und bewegten komisch die Händchen und Füßchen, der dragantne Justizrat trippelte auf mich zu und rief mit einem ganz feinen Stimmchen: „Warum der ganze Rumor, mein Bester? warum der ganze Rumor? Stellen Sie sich doch nur auf Ihre lieben Füße, denn schon lange bemerke ich, daß Sie in den Lüfen über Stühle und Tische weg-schreiten.“ Der Kleine war verschwunden, Julie hatte nicht mehr den Pokal in der Hand. „Warum wolltest du denn nicht trinken?“ sprach sie, „war denn die reine herrliche Flamme, die dir aus dem Pokal entgegenstrahlte, nicht der Kuß, wie du ihn einst von mir empfingst?“ Ich wollte sie an mich drücken, Schlemihl trat aber dazwischen, sprechend: „Das ist Mina, die den Raskal geheiratet.“ Er hatte einige Zuckerfiguren getreten, die ächzten sehr. - Aber bald vermehrten diese sich zu Hunderten und Tausenden und trippelten um mich her und an mir herauf im bunten häßlichen Gewimmel und umsummten mich wie ein Bienenschwarm. - Der dragantne Justizrat hatte sich bis zur Halsbinde heraufgeschwungen, die zog er immer fester und fester an. „Verdammter dragantner Justiz-rat!“ schrie ich laut und fuhr auf aus dem Schlafe. Es war heller lichter Tag, schon eilf Uhr mittags. „Das ganze Ding mit dem Kleinen war auch wohl nur ein lebhafer Traum“, dachte ich eben, als der mit dem Frühstück eintretende Kellner mir sagte, daß der fremde Herr, der mit mir in einem Zimmer geschlafen, am frühen Morgen abgereiset sei und sich mir sehr empfehlen lasse. Auf dem Tische, an dem nachts der spukhafe Kleine saß, fand ich ein frisch beschriebenes Blatt, dessen Inhalt ich dir mitteile, da es unbezweifelt des Kleinen wundersame Geschichte ist.

4. Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde

Endlich war es doch so weit gekommen, daß Erasmus Spik-her den Wunsch, den er sein Leben lang im Herzen genährt, erfüllen konnte. Mit frohem Herzen und wohlgefülltem Beutel setzte er sich in den Wagen, um die nördliche Heimat zu verlassen und nach dem schönen warmen Welschland zu reisen. Die liebe fromme Hausfrau vergoß tausend Tränen, sie hob den kleinen Rasmus, nachdem sie ihm Nase und Mund sorgfältig geputzt, in den Wagen hinein, damit der Vater zum Abschiede ihn noch sehr küsse. „Lebe wohl, mein lieber Eras-mus Spikher,“ sprach die Frau schluchzend, „das Haus will ich dir gut bewahren, denke fein fleißig an mich, bleibe mir treu und verliere nicht die schöne Reisemütze, wenn du, wie du wohl pflegst, schlafend zum Wagen herausnickst.“ - Spikher versprach das. - In dem schönen Florenz fand Erasmus einige Landsleute, die voll Lebenslust und jugendlichen Muts in den üppigen Genüssen, wie sie das herrliche Land reichlich darbot, schwelgten. Er bewies sich ihnen als ein wackrer Kumpan, und es wurden allerlei ergötzliche Gelage veranstaltet, denen Spikhers besonders muntrer Geist und das Talent, dem tollen Ausgelassenen das Sinnige beizufügen, einen eignen Schwung gaben. So kam es denn, daß die jungen Leute (Erasmus, erst siebenundzwanzig Jahr alt, war wohl dazu zu rechnen) einmal zur Nachtzeit in eines herrlichen, dufenden Gartens erleuchtetem Boskett ein gar fröhliches Fest begingen. Jeder, nur nicht Erasmus, hatte eine liebliche Donna mitgebracht. Die Männer gingen in zierlicher altdeutscher Tracht, die Frauen waren in bunten leuchtenden Gewändern, jede auf andere Art, ganz phantastisch gekleidet, so daß sie erschienen wie liebliche wandelnde Blumen. Hatte diese oder jene zu dem Saitengelispel der Mandolinen ein italienisches Liebeslied gesungen, so stimmten die Männer unter dem lustigen Geklingel der mit Syrakuser gefüllten Gläser einen kräfigen deutschen Rundgesang an. - Ist ja doch Italien das Land der Liebe. Der Abendwind säuselte wie in sehnsüchtigen Seufzern, wie Liebeslaute durchwallten die Orange- und Jasmindüfe das Boskett, sich mischend in das lose neckhafe Spiel, das die holden Frauenbilder, all die kleinen zarten Buffonerien, wie sie nur den italienischen Weibern eigen, aufbietend, begonnen hatten. Immer reger und lauter wurde die Lust. Friedrich, der glühendste vor allen, stand auf, mit einem Arm hatte er seine Donna umschlungen, und das mit perlendem Syrakuser gefüllte Glas mit der andern Hand hoch schwingend, rief er: „Wo ist denn Himmelslust und Seligkeit zu finden als bei euch, ihr holden, herrlichen italienischen Frauen, ihr seid ja die Liebe selbst. - Aber du, Erasmus,“ fuhr er fort, sich zu Spikher wendend, „scheinst das nicht sonderlich zu fühlen, denn nicht allein, daß du, aller Verabredung, Ordnung und Sitte entgegen, keine Donna zu unserm Feste geladen hast, so bist du auch heute so trübe und in dich gekehrt, daß, hättest du nicht wenigstens tapfer getrunken und gesungen, ich glauben würde, du seist mit einem Mal ein langweiliger Melancholikus geworden.“ - „Ich muß dir gestehen, Friedrich,“ erwiderte Erasmus, „daß ich mich auf die Weise nun einmal nicht freuen kann. Du weißt ja, daß ich eine liebe, fromme Hausfrau zurückgelassen habe, die ich recht aus tiefer Seele liebe, und an der ich ja offenbar einen Verrat beginge, wenn ich im losen Spiel auch nur für einen Abend mir eine Donna wählte. Mit euch unbeweibten Jünglingen ist das ein andres, aber ich als Familienvater“ - Die Jünglinge lachten hell auf, da Erasmus bei dem Worte „Familienvater“ sich bemühte, das jugendliche gemütliche Gesicht in ernste Falten zu ziehen, welches denn eben sehr possierlich herauskam. Friedrichs Donna ließ sich das, was Erasmus deutsch gesprochen, in das Italienische übersetzen, dann wandte sie sich ernsten Blickes zum Erasmus und sprach, mit aufgehobenem Finger leise drohend: „Du kalter, kalter Deutscher! - verwahre dich wohl, noch hast du Giulietta nicht gesehen!“