Der Präsident hörte aufmerksam zu.»Bademantel?«
«Das nicht gerade. Aber wie wäre es mit einer Strickjacke und einer bequemen Hose? Keine Krawatte. Weißes Hemd. Eine Art Großvater- Image.«
«Sie wollen, dass ich der Nation in dieser Stunde der Krise im Pullover gegenübertrete?«
«Ja. Es gefällt mir. Eine braune Strickjacke und ein weißes Hemd.»
«Ich weiß nicht recht.«
«Das Image ist gut. Vergessen Sie nicht, Chef, im nächsten Jahr ist Wahl. Dies ist unsere erste Krise seit drei Monaten, und was für eine wunderbare Krise! Die Leute müssen Sie in etwas anderem sehen, zumal um sieben Uhr morgens. Sie müssen salopp aussehen, häuslich, aber Herr der Lage. Das wird uns in den Meinungsumfragen fünf, vielleicht sogar zehn Punkte einbringen. Vertrauen Sie mir, Chef.«
«Ich kann Pullover nicht ausstehen.«
«Vertrauen Sie mir einfach.«
«Ich weiß nicht recht.«
FÜNF
Darby Shaw erwachte in der frühmorgendlichen Dunkelheit mit dem Anflug eines Katers. Nach fünfzehn Monaten Jurastudium weigerte sich ihr Verstand, länger als sechs Stunden zu ruhen. Sie war oft schon vor Tagesanbruch auf, weil sie mit Callahan nicht gut schlafen konnte. Der Sex war grandios, aber das Schlafen war oft ein Tauziehen mit Kissen und Laken.
Sie betrachtete die Zimmerdecke und hörte zu, wie er in seinem von Scotch hervorgerufenen Koma gelegentlich schnarchte. Die Laken hatten sich wie Taue um seine Knie gewickelt. Sie hatte keine Decke, aber ihr war nicht kalt. In New Orleans ist auch der Oktober noch schwül und warm. Die schwere Luft stieg von der Dauphine Street herauf, über den kleinen Balkon vor dem Schlafzimmer und durch die offenstehende Terrassentür. Sie brachte den ersten Strahl Morgenlicht mit. Darby stand auf, zog Callahans Bademantel über und trat an die Tür. Die Sonne ging auf, aber die Dauphine Street war noch dunkel. Im French Quarter nahm niemand den Tagesanbruch zur Kenntnis. Dir Mund war trocken.
Unten in der Küche kochte Darby eine Kanne dicken Zichorienkaffee vom French Market. Den blauen Ziffern an der Mikrowelle zufolge war es zehn Minuten vor sechs. Für jemanden, der nicht viel trank, war das Leben mit Callahan ein ununterbrochener Kampf. Ihr Limit waren drei Glas Wein. Sie hatte weder ein bestandenes Anwaltsexamen noch einen Job und konnte es sich nicht leisten, sich jede Nacht zu betrinken und lange zu schlafen. Und sie wog sechsundfünfzig Kilo und war entschlossen, ihr Gewicht zu halten. Callahan kannte kein Limit.
Sie trank drei Gläser Eiswasser, dann füllte sie einen großen Becher mit Zichorienkaffee. Sie schaltete das Licht ein, als sie die Treppe hinaufging und sich wieder ins Bett legte. Sie drückte auf die Tasten der Fernbedienung, und auf dem Bildschirm erschien der Präsident, der an seinem Schreibtisch saß und ziemlich merkwürdig aussah in einer braunen Strickjacke und ohne Krawatte. Es war eine Sondersendung von NBC News.
«Thomas!«Sie rüttelte ihn an der Schulter. Er rührte sich nicht.»Thomas! Wach auf!«Sie drückte auf einen Knopf, und die Lautstärke schwoll an. Der Präsident sagte Guten Morgen.
«Thomas!«Sie beugte sich dem Fernseher entgegen. Callahan befreite sich von den Liken und setzte sich auf, rieb sich die Augen und versuchte, zu sich zu kommen. Sie reichte ihm den Kaffee.
Der Präsident hatte Tragisches zu vermelden. Seine Augen waren müde, er wirkte betrübt, aber sein voller Bariton verströmte Zuversicht. Er hatte Notizen, benutzte sie aber nicht. Er blickte tief in die Kamera und informierte das amerikanische Volk über die bestürzenden Ereignisse der vergangenen Nacht.
«Was ist los?«murmelte Callahan. Nachdem er die Todesfälle bekanntgegeben hatte, lieferte der Präsident einen blumigen Nachruf auf Rosenberg. Eine überragende Legende nannte er ihn. Es fiel ihm nicht leicht, aber er verzog keine Miene, während er sich in Lobesworten über einen der meistgehassten Männer in Amerika erging.
Callahan starrte auf den Bildschirm, ebenso Darby.»Das ist wirklich rührend«, sagte sie. FBI und CIA hätten ihm Bericht erstattet, erklärte der Präsident, und man ginge davon aus, dass die Morde zusammenhingen. Er hatte eine sofortige, gründliche Untersuchung gefordert, und die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen werden.
Callahan saß aufrecht im Bett und bedeckte sich mit den Laken. Er blinzelte und kämmte mit den Fingern sein zerzaustes Haar.»Rosenberg? Ermordet?«murmelte er, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. Sein benebelter Kopf war sofort klar geworden, und die Schmerzen waren da, aber er spürte sie nicht.
«Sieh dir die Strickjacke an«, sagte Darby, trank Kaffee und betrachtete das orangefarbene Gesicht mit dem dicken Makeup und das silbrige, sorgfältig frisierte Haar. Er war ein wundervoll gutaussehender Mann mit einer beruhigenden Stimme; dieser Tatsache verdankte er seine politischen Erfolge. Die Falten auf seiner Stirn pressten sich zusammen, und er war jetzt noch betrübter, als er von seinem guten Freund Richter Glenn Jensen sprach.
«Im Montrose Theatre, um Mitternacht«, wiederholte Callahan.
«Wo ist das?«fragte sie. Callahan hatte sein Jurastudium in Georgetown abgeschlossen.
«Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es liegt im Schwulenviertel.«
«War er schwul?«
«Ich habe Gerüchte gehört. Offensichtlich. «Jetzt saßen sie beide am Ende des Bettes mit den Laken über den Beinen. Der Präsident ordnete eine Woche Nationaltrauer an. Flaggen auf Halbmast. Bundesbehörden morgen geschlossen. Die Vorbereitungen für die Beisetzungen waren im Gange. Er redete noch ein paar Minuten weiter, immer noch tief betrübt, sogar schockiert, sehr menschlich, aber dennoch der Präsident und eindeutig Herr der Lage. Er verabschiedete sich mit seinem patentierten Großvaterlächeln voller Zuversicht, Weisheit und Trost.
Ein NBC-Reporter erschien auf dem Rasen des Weißen Hauses und füllte die Lücken. Die Polizei schwieg sich aus. Im Augenblick schien es keine Verdächtigen zu geben und keine Anhaltspunkte. Ja, beide Richter hatten unter cbm Schutz des FBI gestanden, das keinen Kommentar gegeben hatte. Ja, das
Montrose war ein Ort, der von Homosexuellen besucht wurde. Ja, es hatte zahlreiche Drohungen gegen beide Männer gegeben besonders gegen Rosenberg. Und es konnte sein, dass es viele Verdächtige geben würde, bevor alles vorbei war.
Callahan schaltete den Apparat aus und trat an die Terrassentür, wo die frühmorgendliche Luft zunehmend dicker wurde.»Keine Verdächtigen«, murmelte er.
«Mir fallen mindestens zwanzig ein«, sagte Darby.
«Ja, aber weshalb diese Kombination? Rosenberg, das ist einleuchtend, aber weshalb Jensen? Warum nicht McDowell oder Yount, die beide wesentlich liberaler sind als Jensen? Es ergibt keinen Sinn. «Callahan setzte sich auf einen Korbstuhl neben der Tür und raufte sich das Haar.
«Ich hole dir mehr Kaffee«, sagte Darby.
«Nein, nein. Ich bin wach.«
«Wie geht es deinem Kopf?«
«Gut, wenn ich drei Stunden länger hätte schlafen können. Ich glaube, ich werde das Seminar absagen. Mir ist nicht danach.«
«Großartig.«
«Verdammt, ich kann es einfach nicht glauben. Dieser Schwachkopf kann zwei neue Richter ernennen. Und das bedeutet, dass acht der neun von den Republikanern vorgeschlagen wurden.«
«Vorher müssen sie bestätigt werden.«
«In zehn Jahren wird die Verfassung nicht mehr wiederzuerkennen sein. Es ist zum Kotzen.«
«Genau deshalb wurden sie umgebracht, Thomas. Irgendeine Person oder irgendeine Gruppe möchte ein anderes Gericht haben, eines mit einer eindeutig konservativen Mehrheit. Nächstes Jahr ist Präsidentschaftswahl. Ibsenberg ist oder war einundneunzig. Manning ist vierundachtzig, Yount knapp achtzig. Sie können bald sterben oder noch zehn Jahre leben.
Ein Demokrat könnte zum Präsidenten gewählt werden. Weshalb ein Risiko eingehen? Bringt sie jetzt um, ein Jahr vor der Wahl. Völlig einleuchtend für jemanden, der so denkt.«