«Aber weshalb Jensen?«
«Er war ein wunder Punkt. Und allem Anschein nach eine leichte Zielscheibe.«
«Ja, aber im Grunde war er ein Gemäßigter, der gelegentlich nach links ausscherte. Und er war von einem Republikaner nominiert worden.«
«Möchtest du eine Bloody Mary?«
«Gute Idee. In einer Minute. Ich versuche nachzudenken.«
Darby lehnte sich auf dem Bett zurück, trank ihren Kaffee und sah zu, wie das Sonnenlicht den Balkon erreichte.»Überleg doch mal, Thomas. Das Timing ist wunderbar. Wiederwahl, Nominierungen, Politik, all das. Aber denk an die Gewalttätigkeiten und die Radikalen, die Eiferer, die Abtreibungsgegner und die Schwulenhasser, die Arier und die Nazis, denk an all die Gruppen, die imstande sind, jemanden umzubringen, und an all die Drohungen gegen das Gericht. Für eine unbekannte, unauffällige Gruppe ist es genau der richtige Moment, um sie zu beseitigen. Es ist grausig, aber das Timing ist grandios.«
«Und was für eine Gruppe soll das sein?«
«Wer weiß.«
«Die Underground Army?«
«Die ist nicht gerade unauffällig. Sie hat Richter Fernandez in Texas umgebracht.«
«Arbeitet die nicht mit Bomben?«
«Ja. Experten im Umgang mit Plastiksprengstoff.«
«Die kannst du streichen.«
«Im Augenblick streiche ich überhaupt niemanden. «Darby stand auf und band den Bademantel wieder zu.»Komm mit. Ich mach dir eine Bloody Mary.«
«Nur, wenn du mit mir trinkst.«
«Thomas, du bist Professor. Du kannst deine Seminare absagen, wann immer du willst. Ich bin Studentin und…«
«Ich weiß, in welchem Verhältnis wir zueinander stehen.«
«Ich kann keine Seminare schwänzen.«
«Ich lasse dich in Verfassungsrecht durchfallen, wenn du nicht schwänzt und dich mit mir betrinkst. Ich habe ein Buch mit Urteilsbegründungen von Rosenberg. Wir wollen sie lesen, Bloody Marys trinken, dann Wein, dann irgend etwas anderes. Ich vermisse ihn schon jetzt.«
«Ich habe um neun Verfahrensrecht, das kann ich nicht schwänzen.«
«Ich werde den Dekan anrufen und dafür sorgen, dass er alle Vorlesungen und Seminare ausfallen lässt. Wirst du dann mit mir trinken?«
«Nein. Nun komm schon, Thomas. «Er folgte ihr die Treppe hinunter in die Küche, zum Kaffee und zum Alkohol.
SECHS
Ohne den Hörer von der Schulter zu nehmen, drückte Fletcher Coal auf einen weiteren Knopf an dem Telefon auf dem Schreibtisch im Oval Office. Drei Lämpchen blinkten bereits, wartende Gesprächspartner. Er wanderte langsam vor dem Schreibtisch herum und hörte zu, während er einen zweiseitigen Bericht von Justizminister Horton überflog. Er ignorierte den Präsidenten, der geduckt vor einem der Fenster stand, mit behandschuhten Händen seinen Golfschläger umklammerte, zuerst den gelben Ball anstarrte und dann den Blick langsam. über den blauen Teppich zu dem drei Meter entfernten Messingloch wandern ließ. Coal knurrte etwas in den Hörer. Der Präsident, der den Ball leicht anschlug und zusah, wie er exakt in das Loch rollte, bekam nichts davon mit. Das Loch klickte und leerte sich selbst, und der Ball rollte einen Meter zur Seite. Der Präsident rückte auf Strümpfen an den nächsten Ball heran; er war orange. Er tippte ihn an, und der Ball rollte direkt ins Loch. Acht hintereinander. Siebenundzwanzig von dreißig.
«Das war Chief Runyan«, sagte Coal und knallte den Hörer auf die Gabel.»Er ist ziemlich aufgeregt. Er möchte Sie heute nachmittag sprechen.«
«Sagen Sie ihm, er soll warten, bis er dran ist.«
«Ich habe ihm gesagt, er soll morgen früh um zehn kommen. Halb elf haben Sie eine Kabinettssitzung und um halb zwölf den Nationalen Sicherheitsrat.«
Ohne aufzusehen, packte der Präsident den Schläger wieder fester und betrachtete den nächsten Ball.»Ich kann es gar nicht erwarten. Was ist mit den Umfragen?«Er holte bedächtig aus und ließ den Ball nicht aus den Augen.
«Ich habe gerade mit Nellson gesprochen. Er hat zwei durchgeführt, die erste am Mittag. Der Computer verdaut sie gerade, aber er meint, die Zustimmungsrate dürfte irgendwo in der Nähe von zweiundfünfzig oder dreiundfünfzig Prozent liegen.«
Der Golfspieler schaute kurz auf und lächelte, dann kehrte er zu seinem Spiel zurück.»Wo lag sie vorige Woche?«
«Bei vierundvierzig. Es war die Strickjacke ohne Krawatte. Genau, wie ich gesagt habe.«
«Ich dachte, es wären fünfundvierzig gewesen«, sagte der Präsident, während er einen gelben Ball anschlug und zusah, wie er genau ins Loch rollte.
«Sie haben recht. Fünfundvierzig.«
«Das ist das höchste seit…«
«Elf Monaten. Seit Flug 402 im November vorigen Jahres sind wir nicht mehr über fünfzig gewesen. Das ist eine wunderbare Krise, Chef. Die Leute sind schockiert, aber viele sind selig darüber, dass Rosenberg tot ist. Und Sie sind der Mann in der Mitte. Einfach wunderbar. «Coal drückte auf einen der blinkenden Knöpfe und griff wieder nach dem Hörer. Dann knallte er ihn wieder auf die Gabel, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Er rückte seine Krawatte zurecht und knöpfte sein Jackett zu.
«Es ist halb sechs, Chef. Voyles und Gminski warten.«
Der Präsident schlug und beobachtete den Ball. Er rollte zwei Zentimeter zu weit nach rechts, und er verzog das Gesicht.»Sie sollen ruhig warten. Wir halten morgen früh um neun eine Pressekonferenz ab. Ich nehme Voyles mit, aber er muss den Mund halten. Und hinter mir stehen. Ich liefere ein paar weitere Details und beantworte ein paar Fragen. Die Fernsehstationen werden sie bestimmt live übertragen, meinen Sie nicht auch?«
«Natürlich. Gute Idee. Ich werde es veranlassen.«
Der Präsident zog die Handschuhe aus und warf sie in eine
Ecke.»Holen Sie sie herein. «Er lehnte seinen Schläger an die Wand und schlüpfte in seine Bally-Schuhe. Wie gewöhnlich hatte er sich seit dem Frühstück sechsmal umgezogen und trug jetzt einen zweireihigen Glencheck-Anzug mit einer rot und blau gepunkteten Krawatte. Amtstracht. Das Jackett hing an einem Ständer neben der Tür. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und betrachtete stirnrunzelnd einige Papiere. Er nickte Voyles und Gminski zu, stand aber nicht auf und bot ihnen auch nicht die Hand. Sie ließen sich auf der anderen Seite des Schreibtisches nieder, und Coal nahm seine übliche Haltung ein, wie ein Wachtposten, der es nicht abwarten kann, drauflos zu schießen. Der Präsident griff sich an den Nasenrücken, als hätten die Strapazen des Tages eine Migräne ausgelöst.
«Das war ein langer Tag, Mr. President«, sagte Bob Gminski, um das Eis zu brechen. Voyles sah zum Fenster hinaus.
Coal nickte, und der Präsident sagte:»Ja, Bob. Ein sehr langer Tag. Und ich habe heute abend ein Essen mit ein paar Äthiopiern, also wollen wir es kurz machen. Fangen wir mit Ihnen an, Bob. Wer hat sie umgebracht?«
«Ich weiß es nicht, Mr. President. Aber ich versichere Ihnen — wir hatten damit nichts zu tun.«
«Ihr Ehrenwort, Bob?«Er hörte sich fast flehentlich an.
Gminski hob die rechte Hand so, dass die Handfläche dem Schreibtisch zugewendet war.»Ich schwöre es. Beim Grabe meiner Mutter.«
Coal nickte beifällig, als ob er ihm glaubte und als ob es auf seine Zustimmung ankäme.
Der Präsident richtete den Blick auf Voyles, dessen gedrungene Figur den Stuhl ausfüllte und nach wie vor mit einem formlosen Trenchcoat bekleidet war. Der Direktor kaute langsam auf seinem Gummi herum und musterte den Präsidenten verächtlich.
«Ballistik? Autopsie?«
«Habe ich«, sagte Voyles und öffnete seinen Aktenkoffer.
«Lassen Sie hören. Die Berichte lese ich später.«
«Die Waffe war ein kleines Kaliber, vermutlich eine.22er. Wurde, den Pulverspuren nach zu urteilen, auf Rosenberg und den Pfleger aus allernächster Nähe abgeschossen. Bei Ferguson wissen wir es nicht genau, aber die Entfernung dürfte nicht mehr als dreißig Zentimeter betragen haben. Schließlich waren wir bei der Schießerei nicht zugegen. Drei Kugeln in jeden Kopf. Aus dem von Rosenberg haben sie zwei herausgeholt, die dritte wurde in seinem Kopfkissen gefunden. Allem Anschein nach haben er und der Pfleger geschlafen. Der gleiche Patronentyp, die gleiche Waffe, offensichtlich der gleiche Schütze. Eingehende Autopsieberichte sind noch in Arbeit, aber es gab keine Überraschungen. Schließlich sind die Todesursachen eindeutig.«