Dutzend unterschiedlicher Bürgerrechtsfälle und das übliche Quantum an Fällen, bei denen es um Steuern, Bebauungspläne, die Indianer und Kartellsachen ging. Sie hatte Zusammenfassungen sämtlicher Fälle aus dem Computer geholt und alle zweimal gelesen. Sie hatte eine Liste möglicher Verdächtiger aufgestellt, aber auf die würde jedermann stoßen. Die Liste lag bereits im Papierkorb.
Callahan war sicher, dass es die Arier gewesen waren oder die Nazis oder der Ku Klux Klan; irgendeine leicht identifizierbare Gruppe inländischer Terroristen; irgendwelche Radikale. Es mussten Leute von der äußersten Rechten gewesen sein, das lag doch auf der Hand, fand er. Darby war da nicht so sicher. Die Radikalengruppen waren zu offensichtlich. Sie hatten zu viele Drohungen ausgesprochen, zu viele Steine geworfen, zu viele Paraden veranstaltet, zu viele Reden gehalten. Sie brauchten Rosenberg lebendig, weil er ein so verlockendes Ziel für ihren Hass war. Rosenberg hielt sie beschäftigt. Sie glaubte, dass jemand dahintersteckte, der wesentlich gefährlicher war.
Callahan saß in einer Bar an der Canal Street, inzwischen betrunken, und wartete auf sie, obwohl sie nicht versprochen hatte, dass sie kommen würde. Sie hatte am Mittag bei ihm hereingeschaut und ihn auf dem Balkon angetroffen, betrunken und in seinem Buch mit Rosenberg-Urteilen lesend. Er hatte sich entschlossen, seinen Kurs über Verfassungsrecht für eine Woche abzusagen; hatte gesagt, dass er jetzt, da sein Held tot war, vielleicht nie mehr würde unterrichten können. Sie hatte ihm gesagt, er sollte zusehen, dass er wieder nüchtern würde, und war gegangen.
Kurz nach zehn ging sie in den Computerraum im vierten Stock der Bibliothek und setzte sich vor einen Bildschirm. Der Raum war leer. Sie tippte auf der Tastatur herum, fand, was sie wollte, und wenig später spuckte der Drucker Seite um Seite von Berufungen aus, die bei den elf Bundesberufungsgerichten des Landes anhängig waren. Eine Stunde später hörte der Drucker auf, und sie hatte einen fünfzehn Zentimeter dicken Stapel von Zusammenfassungen der Fälle, mit denen es die elf Gerichte zu tun hatten. Sie schleppte sie in ihre Arbeitsnische hinauf und legte sie auf den bereits vollen Schreibtisch. Es war nach elf, und außer ihr hielt sich niemand im fünften Stock auf. Durch ein schmales Fenster hatte man einen wenig anregenden Blick auf den Parkplatz und ein paar Bäume.
Sie schlüpfte wieder aus den Schuhen und betrachtete den roten Lack auf ihren Zehennägeln. Sie trank eine warme Fresca und starrte leeren Blicks auf den Parkplatz. Die erste Folgerung war einfach — die Morde waren von ein und derselben Gruppe aus ein und demselben Grund begangen worden. Die zweite Folgerung war schwierig — das Motiv war nicht Hass oder Rache, sondern vielmehr Manipulation. Irgendwo gab es einen Fall, der unterwegs war zum Obersten Bundesgericht, und jemand wollte andere Richter. Die dritte Folgerung war ein wenig einfacher — bei dem Fall ging es um eine Menge Geld.
In den vor ihr liegenden Ausdrucken war die Antwort nicht zu finden. Sie las in ihnen bis Mitternacht und ging erst, als die Bibliothek geschlossen wurde.
ACHT
Am Donnerstagmittag brachte eine Sekretärin eine große Tüte, mit Fettflecken dekoriert und gefüllt mit Sandwiches und Zwiebelringen, in einen überheizten Konferenzraum im fünften Stock des Hoover Building, in der Mitte des quadratischen Raums saßen leitende FBI-Beamte aus dem ganzen Land auf den je zwanzig Stühlen an beiden Längsseiten eines Mahagonitisches. Alle hatten die Krawatten gelockert und die Hemdsärmel aufgekrempelt. Der billige Behörden-Kronleuchter anderthalb Meter über dem Tisch war von einer dünnen Wolke aus blauem Dunst umgeben.
Direktor Voyles redete. Erschöpft und wütend paffte er an seiner vierten Zigarre an diesem Vormittag und wanderte langsam vor dem Bildschirm an seinem Ende des Tisches herum. Die Hälfte der Männer hörte zu. Die andere Hälfte hatte Papiere aus dem Stapel in der Mitte des Tisches gezogen und las die Autopsieberichte, den Laborbericht über das Nylonseil, Berichte über Nelson Muncie und ein paar weitere Personen, über die man schnelle Recherchen angestellt hatte. Die Berichte waren ziemlich dünn.
Jemand, der gleichzeitig aufmerksam zuhörte und genau las, war Special Agent Eric East, erst seit zehn Jahren dabei, aber ein brillanter Ermittler. Sechs Stunden zuvor hatte Voyles sich dafür entschieden, ihn mit der Leitung der Untersuchung zu beauftragen. Der Rest des Teams war im Laufe des Vormittags ausgewählt worden, und dies war die Versammlung, auf der alles organisiert werden sollte.
East hörte zu und erfuhr, was er bereits wusste. Die Untersuchung würde Wochen, vielleicht Monate dauern. Abgesehen von den Kugeln, neun an der Zahl, dem Seil und der
Stahlstange, mit der es zugedreht worden war, gab es keinerlei Beweismaterial. Die Nachbarn in Georgetown hatten nichts gesehen; keine verdächtigeren Typen als sonst im Montrose. Keine Fingerabdrücke. Keine Fasern. Nichts. Es gehört eine beträchtliche Begabung dazu, so sauber zu morden, und es kostet eine Menge Geld, eine derartige Begabung anzuheuern. Voyles hatte wenig Hoffnung, dass sie die Killer finden würden. Sie mussten sich auf den- oder diejenigen konzentrieren, die sie angeheuert hatten.
Voyles redete und paffte.»Auf dem Tisch liegt ein Memo über einen gewissen Nelson Muncie, einen Millionär aus Jacksonville, Florida, der angeblich Drohungen gegen Rosenberg geäußert hat. Die Behörden in Florida sind überzeugt, dass Muncie einen Haufen Geld für die Ermordung des Vergewaltigers und seines Anwalts bezahlt hat. Das steht in dem Memo. Zwei unserer Leute haben heute morgen mit Muncies Anwalt gesprochen; er war überaus feindselig. Seiner Aussage zufolge ist Muncie nicht im Lande, und natürlich hat er keine Ahnung, wann er zurückzukommen gedenkt. Ich habe zwanzig Männer mit Nachforschungen über ihn beauftragt.«
Voyles zündete seine Zigarre wieder an und betrachtete ein Blatt Papier auf dem Tisch.»Nummer Vier ist eine Gruppe, die sich White Resistance nennt, eine kleine Gruppe von Leuten mittleren Alters, die wir seit ungefähr drei Jahren beobachten. Auch darüber haben Sie ein Memo. Im Grunde keine ernstzunehmenden Verdächtigen. Sie ziehen es vor, Molotow-Cocktails zu werfen und Kreuze zu verbrennen. Nicht viel Finesse. Und, was noch wichtiger ist, nicht viel Geld. Ich bezweifle sehr, dass sie imstande wären, Killer dieses Formats zu bezahlen. Aber ich habe trotzdem zwanzig Männer auf sie angesetzt.«
East wickelte ein dickes Sandwich aus, roch daran und beschloss, darauf zu verzichten. Die Zwiebelringe waren kalt.
Ihm war der Appetit vergangen. Er hörte zu und machte sich
Notizen. Nummer Sechs auf der Liste war ein bisschen ungewöhnlich. Ein Psychopath namens Clinton Lane hatte den Homosexuellen den Krieg erklärt. Sein einziger Sohn hatte die Familienfarm in Iowa verlassen, um das Schwulendasein zu genießen, war aber sehr schnell an AIDS gestorben. Lane drehte durch und steckte das Büro der Gay Coalition in Des Moines in Brand. Er wurde erwischt und zu vier Jahren verurteilt, konnte aber 1989 ausbrechen und war bisher nicht gefunden worden. Dem Memo zufolge hatte er eine große KoksschmuggelOrganisation aufgebaut und Millionen gescheffelt. Und er benutzte das Geld für seinen Privatkrieg gegen Schwule und Lesben. Das FBI versuchte seit Jahren, seiner habhaft zu werden, vermutete aber, dass er von Mexiko aus operierte. Seit Jahren hatte er Hassbriefe an den Kongress, das Oberste Bundesgericht, den Präsidenten geschrieben. Voyles hielt nicht viel von Lane als Verdächtigem. Er war ein Spinner und ziemlich weit links außen, aber man würde nichts unversucht lassen. Er setzte nur sechs Agenten auf ihn an.