«Mein Vater war Halbschotte.«
«Das reicht nicht. «Callahan legte die Füße auf dem Couchtisch übereinander und entspannte sich. Er rieb sanft ihre Knöchel.»Darf ich deine Zehennägel lackieren?«
Sie sagte nichts. Was ihre Zehen anging, war er Fetischist; mindestens zweimal im Monat bestand er darauf, die Nägel mit leuchtendrotem Lack zu überziehen. Sie hatten das in Bull Durham gesehen, und obwohl er nicht so gut aussah und so nüchtern war wie Kevin Costner, hatte sie sich inzwischen so daran gewöhnt, dass sie die Intimität dieser Handlung genoss.
«Keine Zehen heute abend?«fragte er.
«Vielleicht später. Du siehst müde aus.«
«Ich entspanne mich, aber ich stehe unter männlicher Hochspannung, und du wirst mich nicht los, indem du mir sagst, ich sähe müde aus.«
«Trink noch ein Glas Wein.«
Callahan trank noch ein Glas Wein und versank tiefer in der Couch.»Also, Ms. Shaw, wer hat es getan?«
«Profis. Hast du die Zeitungen nicht gelesen?«
«Doch, natürlich. Aber wer steckt hinter den Profis?«
«Ich weiß es nicht. Nach den Vorgängen der letzten Nacht scheinen sich alle einig zu sein, dass es die Underground Army war.«
«Aber du bist nicht überzeugt?«
«Nein. Es ist noch niemand verhaftet worden. Ich bin nicht überzeugt.«
«Und du hast irgendeinen obskuren Verdächtigen, von dem niemand im Lande eine Ahnung hat?«
«Ich hatte einen, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Ich habe drei Tage damit verbracht, der Sache nachzugehen, habe sogar alles fein sauber und ordentlich in meinen kleinen Computer eingegeben und den Entwurf eines Dossiers ausgedruckt, den ich ad acta gelegt habe.«
Callahan sah sie fassungslos an.»Du hast drei Tage lang alle Vorlesungen geschwänzt, mich ignoriert, rund um die Uhr gearbeitet, um Sherlock Holmes zu spielen, und jetzt willst du es in den Papierkorb werfen?«
«Es liegt drüben auf dem Tisch.«
«Ich kann es einfach nicht glauben. Die ganze Woche über, während ich meine Einsamkeit mannhaft ertrug, wusste ich, dass ich es für einen guten Zweck tat. Ich wusste, dass ich zum Wohle des Landes litt, weil du die Zwiebel schälen und mir heute abend oder vielleicht morgen sagen würdest, wer es getan hat.«
«Es ist unmöglich, jedenfalls mit juristischen Recherchen. Bei den Morden ist kein Muster erkennbar, kein gemeinsamer Nenner. Ich habe fast die Fakultäts-Computer durchbrennen lassen.«
«Ha! Das habe ich dir doch gesagt. Du vergisst, meine Liebe, dass ich auf dem Gebiet des Verfassungsrechts ein Genie bin, und ich habe sofort gewusst, dass Rosenberg und Jensen nichts gemeinsam hatten außer schwarzen Roben und Todesdrohungen. Die Nazis oder die Arier oder der Ku Klux Klan oder die Mafia oder wer auch immer haben sie umgebracht, weil Rosenberg Rosenberg war und Jensen das leichteste Opfer und manchen Leuten ein Dorn im Auge.«
«Weshalb rufst du dann nicht das FBI an und teilst ihm deine Einsichten mit? Ich bin sicher, sie sitzen am Telefon und warten nur auf deinen Anruf.«
«Nicht böse sein. Es tut mir leid. Bitte, verzeih mir.«
«Du bist ein Esel, Thomas.«
«Ja, aber du liebst mich doch?«
«Ich weiß es nicht.«
«Können wir trotzdem zusammen ins Bett gehen? Du hast es versprochen.«
«Wir werden sehen.«
Callahan stellte sein Glas auf den Tisch und ging in die Offensive.»Okay, Baby, ich werde dein Dossier lesen. Und wir werden darüber reden. Aber im Augenblick kann ich nicht klar denken, und ich kann nicht weitermachen, bis du meine schwache und zitternde Hand ergriffen und mich zu deinem Bett geführt hast.«
«Vergiss mein kleines Dossier.«
«Bitte, verdammt noch mal, Darby, bitte.«
Sie legte ihm die Arme um den Hals und zog ihn an sich. Sie küssten sich lange und heftig, und es war ein feuchter, fast gewalttätiger Kuss.
ELF
Der Polizist legte den Daumen auf den Knopf neben dem Namen Gray Grantham und drückte ihn zwanzig Sekunden nieder. Dann eine kurze Pause. Dann weitere zwanzig Sekunden. Pause. Zwanzig Sekunden. Es kam ihm komisch vor, weil Grantham eine Nachteule war und wahrscheinlich noch keine drei Stunden geschlafen hatte, und jetzt ertönte in seinem Flur dieses unaufhörliche Läuten. Er drückte wieder und warf einen Blick auf seinen am Bordstein unter einer Straßenlaterne geparkten Streifenwagen. Es war Sonntagmorgen, kurz vor Anbruch der Dämmerung, und die Straße war leer. Zwanzig Sekunden, Pause. Zwanzig Sekunden.
Vielleicht war Grantham tot. Oder er war hinüber vom Saufen und einem nächtlichen Zug durch die Stadt. Vielleicht hatte er auch eine Frau da oben und keine Lust, auf das Läuten zu reagieren. Pause. Zwanzig Sekunden.
Die Sprechanlage knisterte.»Wer ist da?«
«Polizei!«antwortete der Polizist, der schwarz war.
«Was wollen Sie?«fragte Grantham.
«Vielleicht habe ich einen Haftbefehl. «Der Polizist lachte beinahe.
Granthams Stimme wurde sanfter, und er hörte sich verletzt an.»Ist das Cleve?«
«Er ist es.«
«Wie spät ist es, Cleve?«
«Fast halb sechs.«
«Dann muss es gut sein.«
«Keine Ahnung. Sarge hat mir nichts verraten. Er hat nur
gesagt, ich sollte Sie wecken, weil er mit Ihnen reden möchte.«
«Warum will er immer mit mir reden, bevor die Sonne aufgeht?«
«Dumme Frage, Grantham.«
Eine kurze Pause.»Ja, da haben Sie recht. Ich nehme an, er will sofort mit mir reden?«
«Nein. Sie haben eine halbe Stunde. Er sagte, Sie sollten um sechs dort sein.«
«Wo?«
«Da ist ein kleines Cafe an der Vierzehnten Straße in der Nähe des Trinidad-Spielplatzes. Es ist dunkel und sicher, und Sarge mag es.«
«Wie findet er solche Lokale?«
«Wissen Sie, für einen Reporter stellen Sie verdammt dämliche Fragen. Der Name des Cafes ist Glenda’s, und ich schlage vor, Sie machen sich auf den Weg, sonst kommen Sie zu spät.«
«Werden Sie auch dort sein?«
«Ich schaue herein, um mich zu vergewissern, dass Sie okay sind.«
«Sie sagten doch, es wäre sicher.«
«Es ist sicher, jedenfalls für diesen Teil der Stadt. Werden Sie es finden?«
«Ja. Ich werde so bald wie möglich dort sein.«
«Schönen Tag noch, Grantham.«
Sarge war alt, sehr schwarz, mit strahlend weißem Haar, das in allen Richtungen von seinem Kopf abstand. Wann immer er wach war, trug er eine dunkle Sonnenbrille, und die meisten seiner Kollegen im Westflügel des Weißen Hauses glaubten, er wäre halb blind. Er hielt den Kopf schief und lächelte wie Ray
Charles. Manchmal stieß er gegen Türrahmen oder Schreibtische, wenn er Abfalleimer leerte und Möbel abstaubte. Er ging langsam und vorsichtig, als zählte er seine Schritte. Er arbeitete geduldig, immer mit einem Lächeln, immer mit einem freundlichen Wort für jeden, der willens war, ihm seinerseits ein freundliches Wort zukommen zu lassen. Doch zumeist wurde er ignoriert; er galt als ein freundlicher, alter, halbinvalider Hausmeister.
Sarge konnte um Ecken herum sehen. Sein Territorium war der Westflügel, in dem er seit dreißig Jahren putzte. Putzte und lauschte. Putzte und sah. Er räumte um einige überaus wichtige Leute herum auf, die oft viel zu beschäftigt waren, um auf ihre Worte zu achten, zumal in Gegenwart des armen alten Sarge.
Er wusste, welche Türen offen blieben, welche Wände dünn waren und welche Lüftungsschächte Geräusche übertrugen. Er konnte in Sekundenschnelle verschwinden und dann in einem Schatten wieder auftauchen, in dem die wichtigen Leute ihn nicht sehen konnten.
Das meiste behielt er für sich. Aber von Zeit zu Zeit gelangte er in den Besitz einer pikanten Information, die sich mit einer anderen zusammenreimen ließ, und dann kam Sarge zu dem Entschluss, sie weiterzugeben. Er war sehr vorsichtig. Er hatte noch drei Jahre bis zur Pensionierung, und er ging kein Risiko ein.