Von der Beifahrerseite drang ein frisches Lüftchen herein und wehte den Geruch hinaus auf die Pennsylvania. Er parkte vorschriftswidrig, rauchte Gras und machte sich deshalb keine großen Sorgen. Er hatte weniger als eine Unze bei sich, und sein Bewährungshelfer rauchte es auch, also kein Grund zur Aufregung.
Die Telefonzelle war anderthalb Blocks entfernt, auf dem Gehsteig. Mit seinem Teleobjektiv konnte er fast das Telefonbuch lesen. Kleinigkeit. Eine dicke Frau war darin, füllte die Zelle aus und redete mit den Händen. Croft tat einen Zug und hielt im Spiegel Ausschau nach Polizisten. Dies war eine Zone, in der vorschriftswidrig parkende Wagen abgeschleppt wurden. Auf der Pennsylvania herrschte dichter Verkehr.
Zwanzig nach zwölf zwängte sich die Frau aus der Zelle heraus, und aus dem Nirgendwo erschien ein junger Mann in einem guten Anzug und machte die Tür hinter sich zu. Croft griff nach seiner Nikon und stützte das Objektiv aufs Lenkrad. Es war kühl und sonnig, und auf dem Gehsteig wimmelte es von Leuten, die zum Lunch gingen. Die Schultern und Köpfe bewegten sich rasch vorbei. Eine Lücke. Klick. Eine Lücke. Klick. Das Zielobjekt drückte Nummern und sah sich um. Das war ihr Mann.
Er redete dreißig Sekunden, und das Autotelefon läutete dreimal und verstummte dann. Das war das Signal von Grantham in der Redaktion der Post. Das war ihr Mann, und er redete mit ihm. Croft drückte immer wieder auf den Aislöser. Machen Sie so viele, wie Sie nur können, hatte Grantham gesagt. Eine Lücke. Klick. Klick. Köpfe und Schultern. Eine Lücke. Klick. Klick. Seine Augen schossen herum, während er redete, aber er wendete der Straße den Rücken zu. Das ganze Gesicht. Klick. Croft verknipste einen 36er-Film in zwei Minuten, dann griff er nach einer anderen Nikon. Er schraubte das Objektiv auf und wartete darauf, dass eine Gruppe von Leuten vorbeigezogen war.
Er tat den letzten Zug und warf die Kippe auf die Straße. Das war kinderleicht. Natürlich, man brauchte Talent, um im Atelier ein gutes Bild zustandezubringen, aber diese Arbeit auf der Straße machte viel mehr Spaß. Es war etwas Kriminelles am Stehlen eines Gesichts mit einer verborgenen Kamera.
Das Zielobjekt war ein Mann, der nur wenige Worte machte. Er legte den Hörer auf, schaute sich um und kam auf Croft zu. Klick, klick, klick. Volles Gesicht, volle Figur, ging schneller, kam näher, wundervoll, wundervoll. Croft arbeitete fieberhaft und legte erst im allerletzten Moment die Nikon auf den Sitz und sah hinaus auf die Pennsylvania, als der Mann vorbeiging und dann in einer Gruppe von Sekretärinnen verschwand.
So ein Blödmann. Wenn man auf der Flucht ist, sollte man nie dieselbe Telefonzelle zweimal benutzen.
Garcia redete um den heißen Brei herum. Er hätte eine Frau und ein Kind, sagte er, und er hätte Angst. Vor ihm lag eine Karriere mit einer Masse Geld, und wenn er seinen Verpflichtungen nachkam und den Mund hielt, würde er ein reicher Mann werden. Aber er wollte reden. Er ließ sich darüber aus, wie viel ihm am Reden lag, er hatte etwas zu sagen und all das, aber er konnte sich einfach nicht entscheiden. Er traute niemandem.
Grantham drängte nicht. Er ließ ihn so lange reden, dass Croft seine Arbeit tun konnte. Irgendwann würde Garcia auspacken. Es verlangte ihn so sehr danach. Inzwischen hatte er dreimal angerufen und zu seinem neuen Freund Grantham Vertrauen gefasst, der dieses Spiel schon viele Male gespielt hatte und wusste, wie es lief. Der erste Schritt bestand darin, zu beruhigen und Zutrauen aufzubauen, Wärme und Respekt zu suggerieren, über Recht und Unrecht und moralische Verpflichtungen zu sprechen. Dann redeten sie gewöhnlich.
Die Bilder waren wundervoll. Croft war nicht seine erste Wahl. Er war meistens so high, dass man es seinen Fotos ansah. Aber Croft war skrupellos und diskret, er hatte einige journalistische Erfahrung und war gerade verfügbar gewesen. Er hatte ein Dutzend ausgewählt und sie auf zwölf mal achtzehn vergrößert, und sie waren hervorragend. Rechtes Profil. Linkes Profil. Volles Gesicht zum Telefon. Volles Gesicht direkt in die Kamera. Volle Figur, weniger als sechs Meter entfernt. Kleinigkeit, sagte Croft.
Garcia war unter dreißig, ein sehr gut aussehender, gepflegter Anwalt. Dunkles, kurzes Haar. Vielleicht lateinamerikanischer Abstammung, aber die Haut war nicht dunkel. Die Kleidung war teuer. Marineblauer Anzug, vermutlich Wolle. Kein Muster oder Streifen. Weißes Hemd mit breitem Kragen und Seidenkrawatte. Elegante schwarze oder weinrote Schuhe, auf Hochglanz poliert. Das Fehlen eines Aktenkoffers war verwunderlich. Aber schließlich war es Lunchzeit gewesen, und er war vermutlich nur aus dem Büro geeilt, um anzurufen, und dann wieder zurück ins Büro. Das Justizministerium war nur einen Block weit entfernt.
Grantham betrachtete die Fotos und behielt die Tür im Auge. Sarge verspätete sich nie. Es war dunkel, und das Lokal füllte sich. Granthams Gesicht war das einzige weiße im Umkreis von drei Häuserblocks.
Unter den Zehntausenden von Regierungsanwälten in Washington hatte er einige gesehen, die sich gut zu kleiden wussten, aber nicht viele. Und schon gar nicht unter den Jüngeren. Sie fingen mit vierzigtausend im Jahr an, und Kleidung war nicht wichtig. Aber für Garcia war sie wichtig, und er war zu jung und zu gut angezogen, um ein Regierungsanwalt zu sein.
Also war er ein privater, seit etwa drei oder vier Jahren in einer Firma und mit einem Gehalt von schätzungsweise achtzig Riesen. Großartig. Das engte das Feld auf fünfzigtausend Anwälte ein, und vermutlich wurden es jede Minute mehr.
Die Tür ging auf, und ein Polizist kam herein. Durch den
Rauch und Dunst hindurch konnte er erkennen, dass es Cleve war. Dies war ein anständiges Lokal, ohne Glücksspiel oder Nutten, deshalb regte sich niemand über das Erscheinen eines Polizisten auf. Er ließ sich Grantham gegenüber in der Nische nieder.
«Haben Sie dieses Lokal ausgesucht?«fragte Grantham.
«Ja. Gefällt es Ihnen?«
«Drücken wir es so aus. Wir versuchen, nicht aufzufallen, stimmt’s? Ich bin hier, um von einem Angestellten im Weißen Haus geheime Informationen zu erhalten. Dicke Hunde. Und nun sagen Sie mir, Cleve — bin ich unauffällig, wenn ich mit meiner weißen Haut hier sitze?«
«Ich sage es Ihnen nur ungern, Grantham, aber Sie sind bei weitem nicht so berühmt, wie Sie glauben. Sehen Sie diese Typen dort an der Bar?«Er wies auf die Theke, an der Bauarbeiter saßen.»Ich gebe Ihnen meinen Gehaltsscheck, wenn einer von den Typen dort je die Washington Post gelesen oder von Gray Grantham gehört hat oder sich auch nur im mindesten dafür interessiert, was im Weißen Haus passiert.«
«Okay, okay. Wo ist Sarge?«
«Sarge fühlt sich nicht wohl. Er hat mir eine Nachricht für Sie mitgegeben.«
Das ging nicht. Er konnte Sarge als ungenannten Informanten benutzen, aber nicht Sarges Sohn oder sonst jemanden, mit dem Sarge gesprochen hatte.»Was ist mit ihm?«
«Das Alter. Ihm war heute abend nicht danach zumute, mit Ihnen zu reden, aber er hat gesagt, es wäre dringend.«
Grantham hörte zu und wartete.
«Ich habe draußen in meinem Wagen einen Brief, fest zugeklebt und versiegelt. Sarge hat sich unmissverständlich ausgedrückt, als er ihn mir gab, und gesagt, ich dürfte ihn auf keinen Fall aufmachen. Übergib ihn Mr. Grantham Scheint etwas Wichtiges zu sein.«
«Gehen wir.«
Sie schoben sich durch die Menge zur Tür. Der Streifenwagen parkte am Bordstein. Cleve öffnete die Beifahrertür und holte den Umschlag aus dem Handschuhfach.»Das hat er im Westflügel mitgehen lassen.«
Grantham steckte ihn in die Tasche. Es war nicht Sarges Art, etwas zu stehlen, und seit sie miteinander in Verbindung standen, hatte er noch nie ein Dokument abgeliefert.
«Danke, Cleve.«