«Weshalb?«
«Jemand hat versucht, mich umzubringen, Alice. Mein Name steht auf einer Liste, die einige sehr gefährliche Leute in der Hand halten. Ich glaube, sie verfolgen mich.«
«Umbringen? Hast du >umbringen< gesagt, Darby? Wer sollte dich umbringen wollen?«
«Ich weiß es nicht genau. Was ist mit meiner Wohnung?«
Alice hörte auf, die Frisur zu betrachten, und gab Darby den Ausdruck des Inhaltsverzeichnisses. Darby studierte ihn. Es stimmte wirklich. Dies war kein Traum und auch kein Irrtum. Die Bombe hatte den richtigen Wagen gefunden. Rupert und der Cowboy waren ihr auf der Spur. Das Gesicht, das sie gesehen hatte, hielt nach ihr Ausschau. Sie waren in ihrer Wohnung gewesen und hatten gelöscht, was sie löschen wollten. Sie waren irgendwo da draußen.
«Was ist mit den Disketten?«
«Nichts. Keine einzige. Die Aktendeckel auf dem Küchentisch waren fein säuberlich aufeinandergestapelt und fein säuberlich geleert. Alles andere scheint in Ordnung zu sein. Sie haben die Birne in dem Nachtlicht losgeschraubt, es herrschte also totale Finsternis. Ich habe es überprüft. Funktioniert einwandfrei. Es sind sehr gewissenhafte Leute.«
«Was ist mit Mrs. Chen?«
«Sie hat nichts gesehen.«
Darby steckte den Ausdruck in ihre Tasche.»Weißt du, Alice, ich bekomme es plötzlich mit der Angst zu tun. Man sollte dich nicht mit mir zusammen sehen. Vielleicht war das doch keine so gute Idee.«
«Wer sind diese Leute?«
«Ich weiß es nicht. Sie haben Thomas umgebracht, und sie haben versucht, mich umzubringen. Ich habe Glück gehabt, aber jetzt sind sie hinter mir her.«
«Aber weshalb, Darby?«
«Das solltest du nicht wissen, und ich werde es dir nicht sagen. Je mehr du weißt, desto größer ist die Gefahr, in der du dich befindest. Vertrau mir, Alice. Ich kann dir nicht sagen, was ich weiß.«
«Aber ich würde es nicht verraten. Ich schwöre es.«
«Und was ist, wenn sie dich zwingen?«
Alice sah sich um, als wäre alles in bester Ordnung. Sie musterte ihre Freundin. Sie standen sich seit den Einführungskursen für Studienanfänger nahe. Sie hatten stundenlang zusammen gelernt, Notizen verglichen, Examen durchgestanden, gemeinsam fiktive Prozesse ausgearbeitet, über
Männer geredet. Alice war vermutlich unter den Studenten die einzige, die über Darby und Callahan Bescheid wusste.»Ich möchte dir helfen, Darby. Ich habe keine Angst.«
Darby hatte das Bier nicht angerührt. Sie drehte langsam die Flasche.»Nun, ich habe entsetzliche Angst. Ich war dabei, als er starb, Alice. Die Erde hat gebebt. Er wurde in Stücke zerfetzt, und normalerweise hätte ich neben ihm gesessen. Die Bombe war für mich bestimmt.«
«Dann geh zur Polizei.«
«Noch nicht. Vielleicht später. Ich traue mich nicht. Thomas hat sich an das FBI gewendet, und zwei Tage später sollten wir beide tot sein.«
«Also ist das FBI hinter dir her?«
«Das glaube ich nicht. Irgend jemand beim FBI hat geredet, und jemand anders hat sehr genau zugehört, und es ist den falschen Leuten zu Ohren gekommen.«
«Worüber geredet? Komm schon, Darby. Ich bin deine beste Freundin. Hör auf, um den heißen Brei herumzureden.«
Darby nahm den ersten winzigen Schluck aus der Flasche. Blickkontakt wurde vermieden. Sie starrte auf den Tisch.»Bitte, Alice. Lass mich abwarten. Es ist sinnlos, dir etwas zu erzählen, was dich das Leben kosten könnte. «Eine lange Pause.»Wenn du mir helfen willst, dann geh morgen zum Gedenkgottesdienst. Lass dir nichts entgehen. Lass verlauten, dass ich dich von Denver aus angerufen habe, wo ich bei einer Tante wohne, deren Namen du nicht weißt, und dass ich dieses Semester sausen lasse, aber im Frühjahr zurückkommen werde. Sorge dafür, dass das Gerücht die Runde macht. Ich glaube, einige Leute werden aufmerksam zuhören.«
«Okay. In der Zeitung war von einer weißen Frau in der Nähe des Tatorts die Rede, als wäre sie eine Verdächtige oder sowas.«
«Oder sowas. Ich war dort, und ich sollte eines der Opfer sein.
Ich lese die Zeitungen mit der Lupe. Die Polizei tappt im dunkeln.«
«Okay, Darby. Du bist schlauer als ich. Du bist die schlaueste Person, die mir je begegnet ist. Also — was nun?«
«Zuerst gehst du zur Hintertür hinaus. Am Ende des Flurs, wo die Toiletten sind, findest du eine weiße Tür. Sie führt in einen Lagerraum und dann durch die Küche zum Hintereingang. Bleib nirgendwo stehen. Die Gasse führt auf die Royal. Nimm dir ein Taxi und lass dich zu deinem Wagen bringen. Pass auf, ob du verfolgt wirst.«
«Ist das dein Ernst?«
«Sieh dir meinen Kopf an, Alice? Würde ich mich so verunstalten, wenn das Ganze nur ein Spiel wäre?«
«Okay, okay. Und weiter?«
«Geh morgen zu dem Gottesdienst, bring das Gerücht in Umlauf, und ich rufe dich innerhalb der nächsten zwei Tage wieder an.«
«Wo wohnst du?«
«Hier und da. Ich ziehe oft um.«
Alice stand auf und küsste sie auf die Wange. Dann war sie verschwunden.
Zwei Stunden lang stapfte Verheek herum, nahm Zeitschriften zur Hand, warf sie wieder beiseite, rief den Zimmerservice an, packte aus, stapfte herum. Die nächsten beiden Stunden saß er auf der Bettkante, trank ein warmes Bier und starrte das Telefon an. Er würde bis Mitternacht warten, erklärte er sich selbst, und dann — ja, was dann?
Sie hatte gesagt, sie würde anrufen.
Er konnte ihr das Leben retten, wenn sie nur anrufen würde.
Um Mitternacht warf er eine weitere Zeitschrift beiseite und verließ das Zimmer. Ein FBI-Agent in New Orleans hatte ihm ein bisschen geholfen und ihm ein paar von Jurastudenten frequentierte Lokale in der Nähe des Campus genannt. Er würde sie aufsuchen und sich unter die Leute mischen, ein Bier trinken und zuhören. Die Studenten waren zu dem Spiel in die Stadt gekommen. Sie würde nicht da sein, und das machte nichts, weil er sie noch nie gesehen hatte. Aber vielleicht würde er etwas aufschnappen, und er konnte seinen Namen erwähnen, eine Karte hinterlassen, sich mit jemandem anfreunden, der sie kannte oder vielleicht einen ihrer Freunde. Die Chancen waren ziemlich gering, aber das war immer noch sinnvoller, als herumzusitzen und das Telefon anzustarren.
Er fand einen Platz an der Bar in einem Lokal, das Barrister’s hieß und nur drei Blocks vom Campus entfernt war. Es war auf sportlich getrimmt, mit Mannschaftsaufstellungen und Fotos von Footballspielern an den Wänden. Die Gäste waren laut und unter dreißig.
Der Barkeeper sah wie ein Student aus. Nach zwei Bier ging ein Teil der Gäste, und die Bar war halb leer. Gleich würde eine weitere Horde hereinkommen.
Verheek bestellte Nummer drei. Es war halb zwei.»Studieren Sie Jura?«fragte er den Barkeeper.
«Leider.«
«Ganz so schlimm ist es doch wohl nicht, oder?«
Er wischte um die Erdnüsse herum.»Es gibt Dinge, die mehr Spaß machen.«
Verheek sehnte sich nach den Barkeepern, die ihm während seiner Studentenzeit das Bier serviert hatten. Die wussten noch, wie man Konversation machte. Behandelten niemanden als Fremden. Redeten über alles mögliche.
«Ich bin Anwalt«, sagte Verheek leicht verzweifelt.
Sieh mal einer an, der Bursche ist Anwalt. Was für ein seltener Vogel. Etwas ganz Besonderes. Der Junge verzog sich.
Kleiner Mistkerl. Ich hoffe, du fällst durch. Verheek nahm seine Flasche und drehte sich zu den Tischen um. Unter den jungen Leuten kam er sich vor wie ein Großvater. Obwohl er das Jurastudium und die Erinnerungen daran hasste, hatte es doch etliche lange Freitagnächte mit seinem Freund Callahan in den Bars von Georgetown gegeben. Das waren erfreuliche Erinnerungen.
«Auf welchem Gebiet?«Der Barkeeper war zurück. Gavin drehte sich zu ihm um und lächelte.
«Beratender Anwalt beim FBI.«
Er wischte immer noch.»Sie leben also in Washington.«
«Ja. Bin für das Spiel am Sonntag hergekommen. Ich bin ein Fan der Redskins. «Er hasste die Redskins und jede andere organisierte Football-Mannschaft. Er musste verhindern, dass der Junge nur noch von Football redete.»Wo studieren Sie?«