Dies würde für lange Zeit das letzte Mal sein, vielleicht für immer. Er hatte mehr Geld, als er ausgeben oder verschenken konnte. Und er hatte angefangen, kleine Fehler zu machen.
In der Ferne sah er die Mole und bewegte sich von ihr fort. Er musste noch eine halbe Stunde warten. Er fuhr eine Viertelmeile an der Küste entlang, dann hielt er auf sie zu. Zweihundert Meter von ihr entfernt schaltete er den tuckernden Motor aus, hakte ihn los und ließ ihn ins Wasser fallen. Er lag ausgestreckt in dem Boot, arbeitete, wenn es erforderlich war, mit einem Plastikriemen und dirigierte sich unhörbar zu einer dunklen Stelle hinter eine Reihe von billigen, zehn Meter vom Strand entfernten Ziegelsteingebäuden. Er stand in halbmetertiefem Wasser und stach mit einem kleinen Taschenmesser Löcher in das Schlauchboot. Es sank und verschwand. Der Strand war menschenleer.
Luke saß allein am Ende der Mole. Es war genau elf Uhr, und er war mit einer Angelrute an Ort und Stelle. Er trug eine weiße Mütze, und ihr Schirm bewegte sich langsam vor und zurück, während er das Wasser nach dem Schlauchboot absuchte. Er sah auf die Uhr.
Plötzlich stand ein Mann neben ihm, aus dem Nirgendwo aufgetaucht wie ein Engel.»Luke?«sagte der Mann.
Das war nicht der Code. Luke fuhr zusammen. Er hatte eine Waffe in dem Kasten neben seinen Füßen, aber keine Möglichkeit, schnell genug an sie heranzukommen.»Sam?«fragte er. Vielleicht war ihm etwas entgangen. Vielleicht hatte Khamel von dem Schlauchboot aus die Mole nicht finden können.
«Ja, Luke, ich bin’s. Tut mir leid, dass ich abgekommen bin. Probleme mit dem Boot.«
Lukes Herz beruhigte sich, und er atmete erleichtert aus.
«Wo ist der Wagen?«fragte Khamel.
Luke warf einen ganz schnellen Blick auf ihn. Ja, es war Khamel, und er starrte hinter einer dunklen Brille aufs Meer hinaus.
Luke deutete mit einem Kopfnicken auf ein Gebäude.»Roter Pontiac neben dem Schnapsladen.«
«Wie weit ist es bis New Orleans?«
«Halbe Stunde«, sagte Luke, während er die Schnur einholte.
Khamel trat zurück und versetzte ihm zwei Schläge ins Genick. Mit jeder Hand einen. Die Wirbel brachen und zerrissen das Rückenmark. Luke stürzte hart und stöhnte einmal. Khamel sah zu, wie er starb, dann zog er ihm die Schlüssel aus der Tasche und beförderte die Leiche mit einem Fußtritt ins Wasser.
Edwin Sneller, oder wie immer er heißen mochte, öffnete nicht die Tür, sondern schob lautlos den Schlüssel darunter durch. Khamel hob ihn auf und schloss die Tür zum Nebenzimmer auf. Er trat ein und ging schnell zum Bett, wo er seine Tasche absetzte, dann ans Fenster, dessen Vorhänge offen waren, so dass er den fernen Fluss sehen konnte. Er zog die Vorhänge zu und trat vom Fenster zurück.
Er ging ans Telefon und wählte Snellers Nummer.
«Erzählen Sie mir von ihr«, sagte Khamel leise zum Fußboden.
«Im Aktenkoffer sind zwei Fotos.«
Khamel öffnete ihn und holte die Fotos heraus.»Ich habe sie.«
«Sie sind mit Eins und Zwei nummeriert. Das eine haben wir aus einem Jahrbuch der Juristischen Fakultät. Es ist ungefähr ein Jahr alt und das neueste, das wir bekommen konnten. Es ist eine Vergrößerung von einem winzigen Foto, es sind also eine Menge Details verlorengegangen. Das andere ist zwei Jahre alt und stammt aus einem Jahrbuch der Arizona State University.«
Khamel betrachtete beide Fotos.»Eine schöne Frau.«
«Ja. Sehr ansehnlich. Aber dieses hübsche Haar ist verschwunden. Donnerstagabend hat sie für ein Hotelzimmer mit einer Kreditkarte gezahlt. Freitagmorgen hätten wir sie fast erwischt. Wir fanden lange Haarsträhnen auf dem Boden und einen kleinen Rest von etwas, von dem wir inzwischen wissen, dass es schwarze Haarfarbe ist. Sehr schwarz.«
«Was für ein Jammer.«
«Seit Mittwochabend haben wir sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie hat es offenbar geschafft, uns zu entwischen: Kreditkarte für ein Zimmer am Mittwoch, Kreditkarte in einem anderen Hotel am Donnerstag, dann nichts seit der letzten Nacht. Am Freitagnachmittag hat sie fünftausend in bar von ihrem Konto abgehoben. Die Spur ist also kalt geworden.«
«Vielleicht hat sie sich abgesetzt.«
«Kann sein, aber ich glaube es nicht. Gestern abend war jemand in ihrer Wohnung. Wir hatten die Bude verdrahtet, kamen aber zwei Minuten zu spät.«
«Dir seid nicht gerade die Schnellsten, wie?«
«Es ist eine große Stadt. Wir überwachen den Flughafen und die Bahnhöfe. Und das Haus ihrer Mutter in Idaho. Nichts. Ich glaube, sie ist noch hier.«
«Und wo könnte sie sein?«
«Wandert herum, wechselt die Hotels, benutzt Münzfernsprecher, hält sich fern von den üblichen Orten. Die Polizei von New Orleans sucht nach ihr. Sie hat nach der Bombe
am Mittwoch mit ihr gesprochen und sie dann aus den Augen verloren. Wir suchen nach ihr, sie suchen nach ihr. Irgendwann wird sie auftauchen.«
«Was ist mit der Bombe passiert?«
«Ganz einfach. Sie ist nicht in den Wagen gestiegen.«
«Wer hat die Bombe gemacht?«
Sneller zögerte.»Kann ich nicht sagen.«
Khamel lächelte ein wenig, als er einige Straßenkarten aus dem Aktenkoffer holte.»Was ist mit den Karten?«
«Oh, nur ein paar Punkte in der Stadt, die von Interesse sein könnten. Ihre Wohnung, seine Wohnung, die Juristische Fakultät, die Hotels, in denen sie übernachtet hat, die Stelle, an der die Bombe explodierte, ein paar kleine Studentenlokale, in denen sie öfters gewesen ist.«
«Bisher ist sie im Quarter geblieben.«
«Sie ist schlau. Da gibt es eine Million Orte, an denen sie sich verstecken kann.«
Khamel nahm das neueste Foto zur Hand und setzte sich auf das andere Bett. Ihm gefiel das Gesicht. Selbst mit kurzem, dunklem Haar würde es ein faszinierendes Gesicht sein. Er konnte es auslöschen, aber es würde nicht angenehm sein.
«Es ist ein Jammer, nicht wahr?«sagte er, fast zu sich selbst.
«Ja. Es ist ein Jammer.«
EINUNDZWANZIG
Gavin Verheek war ein müder alter Mann gewesen, als er in New Orleans eintraf, und nach zwei in allen möglichen Lokalen verbrachten Nächten war er erschöpft und ausgelaugt. Er hatte das erste Lokal nur kurze Zeit nach der Beisetzung betreten und anschließend sieben Stunden lang mit den Jungen und Rastlosen Bier getrunken und sich mit ihnen über Straftaten, Verträge, Wall-Street-Kanzleien und andere Dinge unterhalten, die ihm zuwider waren. Er wusste, dass er Fremden gegenüber nicht behaupten durfte, er gehörte zum FBI. Er hatte keine Dienstmarke.
Am Samstagabend besuchte er fünf oder sechs Lokale. Tulane hatte abermals verloren, und nach dem Spiel füllten sich die Lokale mit Schlachtenbummlern. An Unterhaltungen war nicht mehr zu denken, und um Mitternacht gab er es auf.
Er schlief tief und fest mit den Schuhen an den Füßen, als das Telefon läutete. Er stürzte sich darauf.»Hallo? Hallo?«
«Gavin?«fragte sie.
«Darby! Sind Sie das?«
«Wer sonst?«
«Weshalb haben Sie nicht schon früher angerufen?«
«Bitte, stellen Sie keine dämlichen Fragen. Ich rufe von einer Telefonzelle aus an, also keine krummen Touren.«
«Sie können mir vertrauen, Darby. Ich schwöre es.«
«Okay, ich vertraue Ihnen. Was nun?«
Er sah auf die Uhr und begann, seine Schnürsenkel zu lösen.»Das müssen Sie mir sagen. Wie geht es weiter? Wie lange wollen Sie sich in New Orleans verstecken?«»Woher wissen Sie, dass ich in New Orleans bin?«
Er schwieg eine Sekunde.
«Ich bin in New Orleans«, sagte sie.»Und ich nehme an, Sie möchten, dass ich zu Ihnen komme und wir gute Freunde werden und ich mich dann in die Hände des FBI begebe und mich darauf verlasse, dass mich Ihre Leute für alle Zeit beschützen.«
«So ist es. Wenn Sie es nicht tun, ist es nur eine Sache von Tagen, bis Sie tot sind.«