«Haben Sie je Cajun-Französisch gehört?«fragte sie.
«Nein.«
«Es ist ein Dialekt, der rasch verschwindet, genau wie die Feuchtgebiete. Man sagt, Franzosen könnten ihn nicht verstehen.«
«Das ist nicht mehr als recht und billig, denn ich bin sicher, dass die Cajuns die Franzosen nicht verstehen.«
Sie trank einen großen Schluck Weißwein.»Habe ich Ihnen von Chad Brunei erzählt?«
«Ich glaube nicht.«
«Er war ein armer Cajunjunge aus Eunice. Seine Familie lebte vom Fallenstellen und Fischen in den Marschen. Er war ein überaus intelligenter Junge; er besuchte mit einem Vollstipendium die Louisiana State University und studierte dann an der Juristischen Fakultät von Stanford, wo er mit dem höchsten Notendurchschnitt in der Geschichte der Fakultät abschloss. Als er in Kalifornien bei Gericht zugelassen wurde, war er einundzwanzig. Er hätte für jede Anwaltskanzlei im Lande arbeiten können, aber er nahm eine Stellung bei einer Firma in San Francisco an, die sich auf Umweltschutz spezialisiert hatte. Er war brillant, ein wahres juristisches Genie, das schwer arbeitete und bald große Prozesse gegen Öl- und Chemiekonzerne gewann. Im Alter von achtundzwanzig Jahren war er ein überaus versierter Prozessanwalt, der von großen Ölfirmen und anderen Umweltverschmutzern gefürchtet wurde. «Sie trank noch einen Schluck Wein.»Er verdiente eine Menge Geld und gründete eine Gruppe zum Schutz der Feuchtgebiete von Louisiana. Er wollte in den Pelikan-Fall einsteigen, wie er genannt wurde, hatte aber zu viele andere Verpflichtungen. Er gab Green Fund eine Menge Geld zum
Bestreiten der Prozesskosten. Kurz vor Beginn der Verhandlung in Lafayette verkündete er, dass er nach Hause kommen würde, um den Green-Fund-Anwälten zur Seite zu stehen. In der Zeitung von New Orleans standen mehrere Artikel über ihn.«
«Was ist mit ihm passiert?«
«Er beging Selbstmord.«
«Was?«
«Eine Woche vor Beginn der Verhandlung fand man ihn in einem Wagen mit laufendem Motor. Ein Gartenschlauch führte vom Auspuff zum Fahrersitz. Ein simpler Selbstmord durch Kohlenmonoxid-Vergiftung.«
«Wo stand der Wagen?«
«In einer bewaldeten Gegend am Bayou Lafourche in der Nähe der Stadt Galliano. Er kannte die Gegend gut. Im Kofferraum lagen Campingsachen und Angelzeug. Kein Abschiedsbrief. Die Polizei stellte eine Untersuchung an, fand aber nichts Verdächtiges. Der Fall wurde abgeschlossen.«
«Das ist doch unglaublich.«
«Er hatte früher einige Probleme mit Alkohol gehabt und war bei einem Psychiater in San Francisco in Behandlung gewesen. Aber der Selbstmord war eine Überraschung.«
«Glauben Sie, dass er ermordet wurde?«
«Das glauben viele Leute. Sein Tod war ein schwerer Schlag für Green Fund. Sein leidenschaftliches Eintreten für die Feuchtgebiete hätte im Gerichtssaal großen Eindruck gemacht.«
Gray leerte sein Glas und ließ die Eiswürfel klirren. Sie rückte näher an ihn heran. Der Kellner erschien mit dem Essen.
FÜNFUNDDREISSIG
Um sechs Uhr am Sonntagmorgen war das Foyer des Marbury Hotels leer. Gray fand ein Exemplar der Times. Die Zeitung war fünfzehn Zentimeter dick und wog sechs Kilo, und er fragte sich, wieviel dicker sie sie noch machen wollten. Er eilte zurück in sein Zimmer im achten Stock, breitete sie auf dem Bett aus, beugte sich darüber und überflog sie hastig. Auf der Titelseite stand nichts, und das war das Entscheidende. Wenn sie die große Story hätten, dann würde sie natürlich dort stehen. Er befürchtete große Fotos von Rosenberg, Jensen, Callahan, Verheek, vielleicht auch Darby und Khamel; und wer weiß, vielleicht hatten sie sogar ein hübsches Foto von Mattiece. Sie alle würden auf der Titelseite aufgereiht sein wie eine Besetzungsliste, und die Times wäre ihnen wieder einmal zuvorgekommen. Davon hatte er geträumt, während er schlief, was er nicht lange getan hatte.
Aber da war nichts. Und je weniger er fand, desto schneller überflog er die Zeitung bis zum Sportteil und den Anzeigen, dann hörte er auf und griff zum Telefon. Er rief Smith Keen an, der bereits wach war.»Haben Sie es gesehen?«fragte er.
«Ist es nicht wundervoll?«sagte Keen.»Ich frage mich, wie das kommt.«
«Sie haben es nicht, Smith. Sie recherchieren wie die Besessenen, aber noch haben sie es nicht. Mit wem hat Feldman gesprochen?«
«Das verrät er nie. Aber angeblich hatte er es aus verlässlicher Quelle.«
Keen war geschieden und lebte allein in einer Wohnung nicht weit vom Marbury entfernt.
«Sind Sie beschäftigt?«fragte Gray.
«Eigentlich nicht. Es ist Sonntagmorgen kurz vor halb sieben.«
«Wir müssen miteinander reden. Wir treffen uns in einer Viertelstunde vor dem Marbury Hotel.«
«Dem Marbury?«
«Ja. Es ist eine lange Geschichte. Ich werde Ihnen alles erklären.«
«Ah, die Frau. Sie Glückspilz.«
«Wenn es nur so wäre. Sie wohnt in einem anderen Hotel.«
«Hier in Washington?«
«Ja. - In einer Viertelstunde.«
«Ich werde da sein.«
Gray trank nervös Kaffee aus einem Pappbecher und wartete im Foyer. Sie hatte ihn verunsichert, und er rechnete fast damit, dass vor der Tür Gangster mit Maschinenpistolen lauerten. Das ärgerte ihn. Er sah, wie sich Keens Toyota auf der M Street näherte, und ging rasch darauf zu.
«Wohin möchten Sie fahren?«fragte Keen, als er den Wagen vom Bordstein fortlenkte.
«Ich weiß nicht. Es ist ein herrlicher Tag. Wie wäre es mit Virginia?«
«Wie Sie wünschen. Hat man Sie aus Ihrer Wohnung hinausgeworfen?«
«Nicht direkt. Ich befolge die Anweisungen der Frau. Sie denkt wie ein Feldmarschall, und ich bin hier, weil sie es so wollte. Ich muss bis Dienstag hier bleiben oder so lange, bis sie nervös wird und mich woanders hinbeordert. Ich habe Zimmer achthundertachtunddreißig, falls Sie mich brauchen sollten, aber sagen Sie es sonst niemandem.«
«Ich vermute, Sie wollen, dass die Post das Zimmer bezahlt«, sagte Keen mit einem Lächeln.
«Im Augenblick denke ich überhaupt nicht an Geld. Die Leute, die in New Orleans versucht haben, sie umzubringen, sind am Freitag in New York aufgetaucht. Das glaubt sie jedenfalls. Sie sind unwahrscheinlich gut im Verfolgen, und sie ergreift alle nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen.«
«Nun, wenn Sie von jemandem verfolgt werden und sie von jemandem verfolgt wird, dann weiß sie vielleicht, was sie tut.«
«Sie weiß ganz genau, was sie tut, Smith. Sie ist so gut, dass es beinahe beängstigend ist, und Mittwochmorgen reist sie endgültig ab. Wir haben also zwei Tage, um Garcia zu finden.«
«Was ist, wenn Garcia überschätzt wird? Was ist, wenn Sie ihn finden und er nicht reden will oder nichts weiß? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?«
«Ich habe deswegen Alpträume gehabt. Ich bin überzeugt, dass er irgendeine große Sache weiß. Da ist ein Dokument oder ein Stück Papier, irgend etwas Greifbares, und er hat es. Er hat ein- oder zweimal darauf angespielt, und als ich in ihn drang, wollte er es nicht zugeben. Aber an dem Tag, an dem wir uns eigentlich treffen wollten, hatte er vor, es mir zu zeigen. Davon bin ich überzeugt. Er hat etwas, Smith.«
«Und was ist, wenn er es Ihnen nicht zeigen will?«
«Dann breche ich ihm das Genick.«
Sie überquerten den Potomac und fuhren am Friedhof Arlington entlang. Keen zündete seine Pfeife an und machte ein Fenster einen Spaltbreit auf.»Was ist, w?nn Sie Garcia nicht finden können?«
«Plan B. Sie reist ab, und der Handel ist erledigt. Ich habe die Erlaubnis, alles mit dem Dossier zu tun, was ich will, nur ihren Namen darf ich nicht nennen. Die Arme ist überzeugt, dass sie auf jeden Fall sterben wird, ob wir die Story haben oder nicht, aber sie möchte so viel Schutz wie möglich. Ich kann ihren