Sie kam ihm zuvor.»Wenn Sie mich verhören wollen — ich äußere mich nur in Gegenwart eines Anwalts.«
Er schüttelte den Kopf.»Nichts dergleichen. Ich habe mich nur gefragt, was Sie nun vorhaben.«
«Weshalb sollte ich Ihnen das sagen?«
«Weil wir Ihnen helfen können.«»Wer hat Gavin Verheek umgebracht?«
Voyles zögerte.»Inoffiziell.«
«Inoffiziell«, sagte Gray.
«Ich werde Ihnen sagen, wer ihn unserer Ansicht nach umgebracht hat. Aber zuerst möchte ich wissen, wie oft Sie mit ihm gesprochen haben, bevor er umgebracht wurde.«
«Wir haben im Laufe des Wochenendes ein paar Mal miteinander telefoniert. Wir wollten uns vorigen Montag treffen und New Orleans verlassen.«
«Wann fand das letzte Gespräch statt?«
«Sonntagabend.«
«Und wo war er da?«
«In seinem Zimmer im Hilton.«
Voyles holte tief Luft und schaute dann zur Decke.»Und Sie vereinbarten mit ihm das Treffen am Montag?«
«Ja.«
«Kannten Sie ihn persönlich?«
«Nein.«
«Der Mann, der ihn umgebracht hat, war derselbe, den Sie an der Hand hielten, als ihm das Gehirn weggepustet wurde.«
Sie scheute vor der Frage zurück. Gray stellte sie für sie.»Wer war es?«
«Ein gewisser Khamel.«
Sie rang nach Luft und versuchte, etwas zu sagen. Aber sie schaffte es nicht.
«Das ist ziemlich verwirrend«, sagte Gray, um Sachlichkeit bemüht.
«So könnte man es ausdrücken. Der Mann, der Khamel tötete, ist ein freiberuflich arbeitender Agent, den die CIA angeheuert hat. Er war vor Ort, als Callahan umgebracht wurde, und ich glaube, Darby hat ihn kennengelernt.«
«Rupert«, sagte sie leise.
«Das ist natürlich nicht sein wirklicher Name, aber Rupert tut es auch. Er hat vermutlich zwanzig Namen. Wenn er der ist, von dem ich glaube, dass er es ist, dann ist er Engländer und überaus zuverlässig.«
«Haben Sie eine Ahnung, wie verwirrend das alles ist?«fragte sie.
«Ich kann es mir vorstellen.«
«Weshalb war Rupert in New Orleans? Weshalb ist er ihr gefolgt?«fragte Gray.
«Das ist eine sehr lange Geschichte, und ich kenne nur einen Teil davon. Ich versuche, Abstand von der CIA zu halten, das können Sie mir glauben. Ich habe selbst genug um die Ohren. Es geht auf Mattiece zurück. Vor ein paar Jahren brauchte er mehr Geld, um sein großes Vorhaben in die Tat umzusetzen. Deshalb verkaufte er einen Anteil davon an die Regierung von Libyen. Ich bin nicht sicher, ob das legal war, aber daraufhin schaltete sich die CIA ein. Allem Anschein nach überwachte sie Mattiece und die Libyer sehr eingehend, und als es zu dem Prozess kam, verfolgte ihn die CIA. Ich glaube nicht, dass sie Mattiece bei den Richtermorden verdächtigte, aber nur wenige Stunden, nachdem wir dem Weißen Haus ein Exemplar ausgehändigt hatten, erhielt auch Bob Gminski eine Kopie Ihres kleinen Dossiers. Fletcher Coal gab sie ihm. Ich habe keine Ahnung, wem Gminski etwas von dem Dossier erzählt hat, aber die falschen Worte gelangten in die falschen Ohren, und vierundzwanzig Stunden später war Mr. Callahan tot. Und Sie, meine Liebe, haben sehr viel Glück gehabt.«
«Weshalb fühle ich mich dann nicht glücklich?«sagte sie.
«Das erklärt Rupert nicht«, sagte Gray.
«Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich vermute, dass Gminski sofort Rupert losschickte mit dem Auftrag, Darby im Auge zu behalten. Ich glaube, das Dossier beunruhigte Gminski anfänglich mehr als uns alle. Wahrscheinlich schickte er Rupert los, damit er sich an Darby hängte, teils, um sie zu beobachten, teils, um sie zu beschützen. Dann fliegt der Wagen in die Luft, und damit hatte Mr. Mattiece das Dossier bestätigt. Welchen anderen Grund könnte es geben, Callahan und Darby umzubringen? Ich habe Grund zu der Annahme, dass sich nur ein paar Stunden, nachdem der Wagen explodierte, Dutzende von CIA-Leuten in New Orleans aufhielten.«
«Aber warum?«
«Das Dossier hatte sich als stimmig erwiesen, und Mattiece brachte Leute um. Der größte Teil seiner Firmen sitzt in New Orleans. Und ich glaube, die CIA war sehr besorgt wegen Darby. Zu ihrem Glück. Sie war zur Stelle, als es darauf ankam.«
«Wenn die CIA so schnell handelte, weshalb haben Sie es dann nicht getan?«fragte sie.
«Gute Frage. Wir hielten nicht soviel von dem Dossier, und wir wussten nicht einmal halb soviel wie die CIA. Es kam uns ziemlich unwahrscheinlich vor, und wir hatten ein Dutzend andere Verdächtige. Wir haben es ganz einfach unterschätzt. Außerdem hatte der Präsident uns angewiesen, die Finger davon zu lassen, und das fiel uns nicht schwer, weil ich noch nie von Mattiece gehört hatte. Ich hatte keinen Grund, seiner Anweisung zuwiderzuhandeln. Aber dann wurde mein Freund Gavin umgebracht, und daraufhin setzte ich die Truppen in Marsch.«
«Weshalb hat Coal Gminski das Dossier gegeben?«fragte Gray.
«Es hat ihm Angst gemacht. Und, um die Wahrheit zu sagen, das ist einer der Gründe, weshalb wir es ihm zukommen ließen. Gminski ist — nun ja, Gminski ist eben Gminski, und manchmal tut er Dinge auf seine Art, ohne Rücksicht auf kleine Hindernisse wie Gesetze und dergleichen. Coal wollte das Dossier überprüft haben, und er glaubte, Gminski würde das schnell und unauffällig tun.«
«Also war Gminski Coal gegenüber nicht aufrichtig.«
«Er hasst Coal, wofür ich vollstes Verständnis habe. Gminski ist nur dem Präsidenten Rechenschaft schuldig und, nein, er war Coal gegenüber nicht aufrichtig. Es ging alles so schnell. Vergessen Sie nicht, es ist gerade erst zwei Wochen her, dass Gminski, Coal, der Präsident und ich das Dossier zum ersten Mal sahen. Wahrscheinlich hatte Gminski vor, dem Präsidenten einen Teil der Geschichte zu erzählen, hatte aber einfach keine Gelegenheit dazu.«
Darby schob ihren Stuhl zurück und trat wieder ans Fenster. Draußen war es inzwischen dunkel, und der Verkehr war dicht und stockend. Es war gut und schön, diese Geheimnisse erklärt zu bekommen, aber sie warfen nur weitere Fragen auf. Sie wollte einfach verschwinden. Sie hatte es satt, auf der Flucht zu sein und gejagt zu werden; hatte es satt, mit Gray Reporter zu spielen; hatte es satt, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wer was getan hatte und warum; hatte das Schuldgefühl satt, das sie seit der Niederschrift dieses verdammten Dossiers nicht verlassen hatte; hatte es satt, sich alle drei Tage eine neue Zahnbürste kaufen zu müssen. Sie sehnte sich nach einem kleinen Haus an einem abgelegenen Stück Strand ohne Telefone und ohne Leute, die sich hinter Fahrzeugen und Torpfosten versteckten. Sie wollte drei Tage lang schlafen, ohne Alpträume zu haben und ohne Schatten zu sehen. Es war Zeit, zu verschwinden.
Gray beobachtete sie genau.»Man ist ihr nach New York und dann hierher gefolgt«, sagte er zu Voyles.»Wer ist es?«
«Sind Sie sicher?«fragte Voyles.
«Sie haben den ganzen Tag auf der Straße gestanden und das Gebäude beobachtet«, sagte Darby und deutete mit einem Kopfnicken auf das Fenster.
«Wir haben aufgepasst«, sagte Gray.»Sie sind irgendwo da draußen.«
Voyles schien skeptisch.»Haben Sie sie früher schon einmal gesehen?«fragte er Darby.
«Einen von ihnen. Er hat mich bei dem Gedenkgottesdienst für Thomas in New Orleans beobachtet. Er hat mich durchs French Quarter gejagt. Er hätte mich beinahe in Manhattan gefunden, und vor ungefähr fünf Stunden habe ich gesehen, wie er mit einem anderen Mann redete. Ich bin ganz sicher, dass er es war.«
«Wer ist es?«fragte Gray Voyles noch einmal.
«Ich glaube nicht, dass die CIA Sie jagen würde.«
«Oh, der hat mich gejagt.«
«Sehen Sie sie jetzt?«
«Nein. Sie sind vor zwei Stunden verschwunden. Aber sie sind irgendwo da draußen.«
Voyles stand auf und streckte seine dicken Arme. Er wanderte langsam um den Tisch herum und wickelte eine Zigarre aus.»Stört es Sie, wenn ich rauche?«
«Ja, es stört mich«, sagte sie. Er legte die Zigarre auf den Tisch.