»Was?« Phileasson verzog sein Gesicht. »Willst du mir sagen, dieser Hampelmann sei von edlerem Blut als ich? Ich trage den Titel König der Meere. Was ist er denn schon?«
»Großadmiral des Kaiserreichs, und wenn wir die Position eines Mannes nach solchen Banalitäten messen, kann ich nur sagen, ihm unterstehen wahrscheinlich wesentlich mehr Schiffe und Krieger als Euch.« Aus der Adelsrunde war Gelächter zu hören. Phileasson zog seine Streitaxt aus dem Gürtel.
»Gemach, mein Freund.« Der Prinz griff ihm nach dem Arm. »Ihr habt einen Mut bewiesen, der mir imponiert, auch wenn das vielleicht nicht auf alle meine Gefolgsleute zutrifft. Außerdem habt Ihr gerade eben unsere Pferde gerettet. Wenn Ihr weiterhin mit uns segelt und auch unter den Augen meiner adligen Offiziere Euren Mut beweist, so spricht nichts dagegen, Euch für besondere Verdienste auf dem Schlachtfeld zum Ritter des Reiches zu schlagen. Damit seid Ihr dann in der Lage, Satisfaktion von Sanin zu fordern. Ich persönlich werde auf dem nächsten Hoftag über Eurem Streitfall zu Gericht sitzen, denn habt Ihr einen Titel, steht es Euch zu, dort öffentlich Klage gegen Sanin zu erheben. Nun, wie denkt Ihr darüber?«
Phileasson kratzte sich am Bart und legte die Stirn in Falten. »Ich werde mich keinem fremden Kommando unterstellen.«
»Das ist auch nicht nötig. Ich denke, Ihr Thorwaler kämpft am besten, wenn Ihr nach eigenem Dafürhalten agiert. Keiner kennt Eure Krieger, ihre Stärken und Schwächen besser als Ihr selbst, Phileasson. Führt Eure Schiffe so, wie sie im Kampf gegen die Schwarzröcke den größten Nutzen bringen.«
Der Kapitän hatte seine Streitaxt wieder in den Gürtel geschoben. »Und wie steht es mit der Beute?«
»Ihr könnt behalten, was ihr euch selbst erkämpft, und das Kopfgeld, daß auf Euch ausgesetzt ist, wird selbstverständlich bis zum Hoftag aufgehoben.«
»Prinz, das ist der Vorschlag eines aufrechten Mannes. Ich nehme an.«
Der Thorwaler klopfte Brin wieder jovial auf die Schulter, dann drehte er sich langsam im Kreis, um die anwesenden Adligen mit herausfordernden Blicken zu messen, und machte sich schließlich auf den Weg zurück zu seinen Schiffen.
»Eure Majestät, wie könnt Ihr nur einen solchen Handel mit einem Piraten schließen.« Alrik war entsetzt. Er hätte den Thorwaler am liebsten an der Rah seines eigenen Flaggschiffs hängen gesehen.
»Mein lieber Oberst, Ihr seid ein tapferer Mann, aber es scheint mir, was die Diplomatie angeht, habt Ihr noch einiges zu lernen. Ich bin hier, um Greifenfurt zu befreien und die Orks zu bekämpfen. Welchen größeren Gefallen könnte ich dem Schwarzen Marschall tun, als meine eigenen Truppen durch unnütze Gefechte zu schwächen? Dieses Schlitzohr von einem Piraten hat recht. Würden wir ihm und seinen Männern einen Kampf liefern und das Urteil, das ihm zusteht, vollstrecken, so würde uns das viele Krieger kosten. Doch jetzt wird Phileasson auf unserer Seite stehen, was er ursprünglich nicht beabsichtigte. Ich habe hundertfünfzig erfahrene Kämpfer gewonnen und ihn keineswegs begnadigt, sondern den endgültigen Urteilsspruch nur aufgeschoben. Für Krieger mag diesem Handel der Ruch der Unritterlichkeit anhaften, aus diplomatischer Sicht war es ein großer Erfolg. Ihr solltet auch nicht die angespannten Beziehungen zum Lieblichen Feld vergessen, Oberst. Vielleicht wird es uns eines Tages noch von großem Nutzen sein, wenn wir unsere Flotte im Meer der Sieben Winde mit den Langbooten eines berühmten Thorwalerkapitäns verstärken können.«
5
Marcian hatte alle Fackeln löschen lassen und den Zwergen den Befehl gegeben, ihre Laternen abzublenden. Fast zwanzig Kämpfer hatte der Inquisitor um sich geschart. Hauptmann Himgi und zehn seiner Zwerge, Lysandra, Nyrilla, Arthag und vier besonders zuverlässige Kämpfer aus von Blautanns Kürassierregiment. Sie hatten sich in dem Tunnel vor der geheimnisvollen Steinplatte verteilt und erwarteten den Durchbruch der Orks.
»Wir werden auf sie warten und sie dann überraschen.«
Keine Antwort. Das einzige Geräusch, das den Gang erfüllte, war der gedämpfte Klang regelmäßiger Schläge von Spitzhacken.
Zehn oder zwölf Schritte trennten Marcian jetzt von der schwarzen Steinplatte. Um den Kultraum zu öffnen, war es zu spät gewesen, als er mit der Verstärkung eingetroffen war. Die Zwerge hatten ihn gewarnt, daß die Orks jeden Moment die Tunnelwand durchbrechen konnten.
Ein leiser Warnruf erklang. Die Schwarzröcke hatten es geschafft! Gestein und Erde rutschte in den Gang, und aus der Sicherheit der Finsternis konnte Marcian beobachten, wie ein Ork mit einer Fackel in der Hand durch das Loch gekrochen kam, das jetzt in der linken Wand des Tunnels klaffte. »Bist du bereit?« flüsterte der Inquisitor leise zu dem Zwerg neben ihm. Statt einer Antwort bekam er ein leises Brummen zu hören.
In der Nacht war ein kleines Geschütz in den Gang gebracht worden. Hornisse nannten die Seeleute diese große Armbrust, die durch einen komplizierten Windenmechanismus mehrere Bolzen in kurzer Folge hintereinander verschießen konnte. Um die Hornisse besser bewegen zu können, war das kleine Geschütz von einem Zwergenschmied mit zwei Metallrädern versehen worden. Trotzdem war es immer noch so niedrig, daß der Zwerg, der es bediente, knien mußte.
Weitere Gestalten mit Fackeln und Blendlaternen erschienen in dem Gang. Marcian fluchte innerlich. Es waren auch menschliche Sklaven dabei. Würden sie jetzt das Feuer auf die Orks eröffnen, war es fast unvermeidlich, auch einige der Sklaven zu treffen.
Der Schwarzrock, der zuerst durch die Öffnung geschlüpft war, stand nun vor der großen, schwarzen Steinplatte und musterte sie aufmerksam. Marcian spielte nervös an seinem Schwertknauf. Lange konnte er nicht mehr warten. Sobald jemand auch nur ein paar Schritte in ihre Richtung machte, würden sie entdeckt.
Der Ork vor der Steinplatte knurrte einen Befehl, worauf einige Sklaven an seine Seite eilten und mit Brechstangen versuchten, die Platte herauszuhebeln. Es schienen fast keine Krieger bei den Arbeitern zu sein. Auch der verräterische Zwerg, der den Orks bei der Planung der Belagerung geholfen hatte, war nirgends zu sehen.
Marcian tippte dem Zwerg vor sich auf die Schulter und gab ihm ein Zeichen, nicht zu schießen. Diese Überraschung würden sie sich für später aufheben. Dann riß der Inquisitor sein Schwert aus der Scheide und rief lauthals: »Für Brin und das Kaiserreich!«
Mit gezogener Waffe stürmte er auf die völlig überraschten Orks zu. Zwei Sklaventreiber mit Peitschen fielen fast ohne Gegenwehr unter seinen Hieben. Doch der Anführer der Schwarzpelze hatte einen breiten Säbel in der Hand. Mit wuchtigen Schlägen drang er auf den Inquisitor ein, aber für Marcian war es ein leichtes, die Waffe des Gegners mit dem Schild aufzufangen und den Krieger aus der Balance zu bringen. Nach kurzem Gefecht stand der Ork mit dem Rücken zur Steinplatte. Wütend funkelte er den Inquisitor an. Dann riß er seine Waffe hoch, um Marcian mit einem einzigen, gewaltigen Schlag den Schädel zu spalten.
Doch der Kommandant war schneller. Mit einem gewandten Stoß trieb er dem Ork seine Klinge in die Brust. Leise stöhnend ging der Krieger in die Knie. Seine Augen auch im Sterben noch auf Marcian geheftet.
»Grüß deinen Blutgott von mir«, murmelte der Inquisitor. Dann griff er nach dem Umhang des Orks und wischte sein Schwert daran ab.
Hinter ihm, im Gang, war es zu keinen nennenswerten Kämpfen gekommen. Himgi war bereits dabei, den befreiten Männern und Frauen die Sklavenringe von den Füßen zu brechen.
Erbärmliche, ausgemergelte, schmutzige Gestalten waren es, die den Orks geholfen hatten. Ihr Haar hing ihnen in wirren Strähnen vom Kopf. Ihre Augen wirkten stumpf und waren tief in ihre Schädel eingesunken. Nicht einer hatte bislang etwas gesagt, so als könnten sie noch immer nicht fassen, wieder in Freiheit zu sein.
»Himgi.« Marcian war neben den Zwergenhauptman getreten. »Gib zweien deiner Männer Befehl, die Sklaven hier wegzuschaffen. Sie werden uns nur im Weg sein. Laß sie in die Burg bringen und ihnen so viel zu Essen geben, wie sie mögen.«