»Ja, Kommandant.«
»Das war nur das Vorspiel.« Lysandra, die den fliehenden Orks nachgesetzt war, tauchte mit blutigem Schwert in der Hand im Tunneldurchbruch auf. »Die rennen wie die Ratten. Ein paar sind uns entkommen. Dafür haben wir noch ein gutes Dutzend Sklaven mitgebracht.«
»Schick sie mit den anderen raus«, kommandierte Marcian scharf. Er wollte jetzt so schnell wie möglich zum wesentlichen kommen und dann den Tunnel verlassen. Himgis Zwerge hatten bereits etliche Streben so präpariert, daß sie hinter sich den Gang einstürzen lassen konnten.
Gleich nach dem Angriff waren Nyrilla und Arthag zu dem schwarzen Stein geeilt. Noch einmal hatte die Elfe seine Oberfläche sorgfältig auf verborgene Zeichen untersucht.
»Mach schon, öffnet dieses verdammte steinerne Tor«, drängte Marcian ungeduldig.
Nyrilla richtete sich auf. Alle anderen wichen ehrfurchtsvoll vor der Steinplatte zurück. »Ich werde jetzt das elfische Wort für den Befehl WACHS rückwärts sprechen, wie es der Orakelspruch verlangt.«
Im Gang herrschte völlige Stille.
»ALARDRUN!« Laut hallte die Stimme der Elfe durch den Gang.
Gespannt beobachtete Marcian die Steinplatte, doch nichts geschah. Nyrilla streckte ihre recht Hand vor, so daß sie die Steinplatte berührte. Die Linke legte sie auf die Stirn. Ihr Gesicht war aufs äußerste angespannt.
»ALARDRUN!« ertönte es erneut. Doch die Steinplatte bewegte sich nicht einen Finger breit. Gemurmel wurde hinter Marcian im Gang laut.
»Bringt Fackeln in den Gang der Orks, damit er gut ausgeleuchtet ist und schafft die Hornisse in den Durchbruch. Lysandra, du nimmst dir einige Krieger und erkundest den Gang. Wenn du auf Orks triffst, läßt du dich auf keinen Kampf ein, sondern kommst sofort zurück.«
»Mit Vergnügen, ich hab doch gleich gesagt, das man mit Schwertern weiter kommt als mit Worten.«
Marcian hörte darüber hinweg und ging zu der Elfe.
»Was ist los. Warum passiert nichts«, herrschte er Nyrilla an. »Ich denke, du hast das Rätsel gelöst. Schöner Zauber! Was ist passiert?«
»A’dao bhanda.«
»Sie meint, sie wird darüber nachdenken«, mischte sich Arthag ein, der die ganze Zeit dicht hinter der Elfe gestanden hatte.
»Dann soll sie sich mal beeilen, es wird mit Sicherheit nicht mehr lange dauern, und wir werden hier einen Tanz mit den besten Kriegern von Sharraz beginnen können, und wer weiß, was der uns noch alles herunterschickt. Bis dahin sollte Nyrilla mit Nachdenken fertig sein!«
Als die Zwerge zurückkehrten, die die befreiten Sklaven zur Garnison geführt hatten, brachten sie schlechte Nachrichten mit. Ihre Worte trafen Marcian wie Hiebe. War es falsch, daß er hier unten wartete?
Den Schwarzpelzen war es gelungen, an drei Stellen die Mauern zu überwinden. Die meisten Bürger flohen mit all ihrer Habe zur Garnison. Die östliche Stadthälfte schien so gut wie verloren, und diesmal gab es keinen Zerwas, der ihnen mit übermenschlichen Kräften helfen konnte.
Darrag führte das Kommando in der Osthälfte der Stadt und versuchte, eine neue Verteidigungslinie zu errichten. Schlug Marcians Plan fehl, würden die Orks leicht bis ins Zentrum von Greifenfurt vordringen können. Dann waren sie hier unten in den Tunneln abgeschnitten. Vielleicht würden sie sogar schon bald von hinten angegriffen, wenn die Orks den Eingang im Purpurgewölbe am Fuß des Turms fänden.
»Taubraza fialgra! Orkenzauber!« Die Stimme der Elfe schreckte Marcian aus seinen düsteren Gedanken.
»Was ist passiert?«
»Es ist gerade ein Zauber gewirkt worden. Der Fluß der astralen Kräfte hat sich verändert. Was genau es ist, kann ich dir nicht sagen.«
Marcian mußte sich auf die Lippen beißen, um nicht laut zu fluchen. Lysandra war mit ihrem Spähtrupp immer noch nicht zurückgekehrt. Ob sie in eine Falle der Orks geraten war?
»Seht nur, dort hinten«, ertönte die heisere Stimme eines der Zwerge, die am Eingang zum Tunnel der Orks auf Wache lagen.
Rauch oder Nebel schien sich im Gang zu sammeln und langsam in ihre Richtung zu ziehen. Ein leises Klirren wie von Metall war zu hören. Der Nebel zog sich immer dichter zusammen. Angstvoll tuschelten die Zwerge. Im Kampf Ork gegen Zwerge mochten sie bis zum letzten Blutstropfen fechten, doch Zauberei war ihnen unheimlich.
»Wenn ich jetzt sage, beginnt ihr mit der Hornisse zu schießen«, flüsterte Marcian. Angespannt lauschte er in den Gang. Doch es war nichts Verdächtiges mehr zu hören. Hatte er sich geirrt?
Die kalten Nebelschwaden zogen durch die Öffnung, die in ihren Tunnel führte. Das Licht der Fackeln, die sie im Gang der Orks an den Wänden befestigt hatten, wurde von dem Dunst fast erstickt.
»Jetzt!« schrie Marcian.
Die Zwerge begannen zu schießen. Ohne Ziel feuerten sie blindlings in den Nebel hinein. Dumpf hallte das Geräusch der Bolzen, die irgendwo in die lehmigen Höhlenwände einschlugen, durch den Zaubernebel.
»Feuer einstellen.« Die Stimme des Inquisitors klang tonlos. Seine Nerven waren mit ihm durchgegangen. Er reagierte genau so, wie der verfluchte Ork-Schamane, der diesen Zauber gewebt hatte, es sich wünschen mußte. Wieder lauschte er angespannt in den Nebel. War da ein verdächtiges Geräusch gewesen? Verdammter Nebel! Würde er noch einmal einen Feuerbefehl wegen nichts geben, hatte er sich endgültig lächerlich gemacht und zögerte er zu lange, ständen die Orks womöglich plötzlich vor ihnen. Wo Lysandra nur abgeblieben war?
Wieder war ein Geräusch zu hören. Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte Marcian. Was war, wenn Lysandra durch den Nebel kam, und er das Feuer auf sie eröffnen ließ, weil er so nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden konnte?
»Wer da?« rief er, doch alles blieb ruhig.
»Schon wieder blinder Alarm, tut mir leid«, murmelte Marcian zerknirscht.
»Kann schon mal passieren.« Himgi wirkte im Gegensatz zu den anderen Zwergen völlig gelassen. »Uns bleibt nichts, als unser Leben in Angroschs Hände zu legen. Hier zu ...« Weiter kam der Zwergenhauptmann nicht. Ein gellender Ruf drang durch den wirbelnden Dunst. Dunkle Gestalten tauchten unmittelbar vor ihnen aus dem Nebel auf.
»Schießt was das Zeug hält. Schickt sie zu Tairach und den anderen Götzen, die sie anbeten«, schrie Marcian. Doch es war schon zu spät, um das Geschütz noch effektiv einzusetzen. Schon war der erste Ork in die Bresche gesprungen.
Ein Stoß mit seinem Schild schleuderte Himgi beiseite.
Ein zweiter Krieger tauchte scheinbar aus dem Nichts auf, packte die Hornisse, hob sie hoch über den Kopf und schleuderte sie auf die Zwerge, die weiter hinten im Gang Stellung bezogen hatten.
»Bei Praios«, entfuhr es Marcian. Dann stürmte er nach vorne. Er trug die beste Rüstung von allen, die mit ihm den Tunnel verteidigten. Wenn einer diesen Kerl, der Kräfte wie ein Stier zu haben schien, aufhalten konnte, dann war er es.
»Ai Kattach! Keine Gefangenen!« Der Schlachtruf der Tordochai, der größten und mächtigsten unter den Ork-Kriegern, hallte durch den Gang. In blitzendem Bogen sauste die Streitaxt des Orks auf Marcians Schild herab. Die Wucht des Aufschlags betäubte dem Inquisitor den Arm. Knirschend durchschnitt das Axtblatt den eisenbeschlagenen Schildrand und fuhr tief ins Holz.
Darauf hatte Marcian gewartet. Mit einem kräftigen Ruck zog er seinen Schild nach hinten, um dem Ork die Waffe aus der Hand zu reißen, bevor er sie wieder befreien konnte.
Doch sein schmerzender Arm schien keine Kraft mehr zu haben. Der Versuch schlug fehl, und der Ork drehte den Spieß um. Mit aller Kraft zerrte er an der Axt, die noch immer in Marcians Schild feststeckte. Der Stärke des Orkkriegers hatte er nichts entgegenzusetzen. Reißende Schmerzen durchfuhren seinen Arm. Der Ork vollführte eine Drehbewegung mit der Axt, und beinahe hätte er Marcian den Arm ausgekugelt. Der Kommandant schrie auf.
Immer weiter zerrte der Ork den Inquisitor in den Gang hinein und trennte ihn so von den anderen Kämpfern.