Lange würde er das nicht mehr durchstehen. Marcians Atem ging keuchend. Wenn er das Gleichgewicht verlor und in seiner schweren Rüstung stürzte, dann war es um ihn geschehen. Fieberhaft suchte der Inquisitor nach einem Ausweg.
Wieder zerrte der Ork mit aller Kraft an seiner Axt, und erneut versuchte er dem Inquisitor mit einer drehenden Bewegung den Arm auszukugeln. Das war die Gelegenheit! Marcian ließ die ledernen Schlaufen los, so daß ihm der Schild vom Arm gerissen wurde. Der Ork, der immer noch mit aller Kraft am Griff seiner Axt zerrte, geriet dadurch, daß er plötzlich keinen Widerstand mehr hatte, aus dem Gleichgewicht und taumelte ein Stück zurück.
Im selben Augenblick setzte Marcian nach und trieb dem wehrlosen Gegner sein Schwert durch die Kehle. Lautlos sank der Ork zurück. Der Inquisitor lehnte sich gegen die Höhlenwand. Noch immer schmerzte sein linker Arm. Den schweren, eisenbeschlagenen Holzschild würde er nicht mehr führen können.
Fluchend blickte er sich um. Diesmal war der Nebel, der die Gänge ausfüllte zu seinem Vorteil. Obwohl nur wenige Schritte von ihm entfernt gekämpft wurde, beachtete ihn niemand. Es schien, als seien die Orks in einer Art Blutrausch. Ihre Kampfkraft war enorm, doch fochten sie nur mit Wut und nicht mit Verstand.
Marcian blickte in die glasigen Augen des toten Gegners an seiner Seite. Dann kniete er nieder und nahm sich den Dolch, den der Ork am Gürtel trug. Eine lange, schlanke Waffe mit weit geschwungener Parierstange. Mit Sicherheit war sie ein Beutestück aus den Kriegszügen der letzten Jahre. Welchem kaiserlichen Ritter dieses Schmuckstück wohl einst gehört hatte?
Die leichte Waffe würde ihm den Schild ersetzen.
Mühsam richtete er sich auf und blickte prüfend an seiner Rüstung herab. Darrag hatte sie verstärkt. Er trug nun Arm- und Beinstücke, die seine Glieder vollständig umschlossen. Die meisten Waffen würden an dem gehämmerten Stahl wirkungslos abgleiten, zumindest hatte der Schmied das behauptet.
Nun, jetzt war die Gelegenheit herauszufinden, ob er recht hatte. Marcian faßte Schwert und Dolch fester und schritt durch den Nebel auf den Kampflärm zu.
Vor ihm tauchte eine schemenhafte Gestalt auf. Marcian stieß ihr den Dolch zwischen die Schulterblätter. Der Ork stürzte nach vorne, doch seine Kameraden schienen nichts zu bemerken. Zu sehr waren sie in ihrer Kampfeswut auf die zurückweichenden Zwerge konzentriert.
Marcian holte mit dem Schwert aus, um den nächsten Gegner zu fällen. Funkenstiebend glitt seine Klinge am Helm des Orks ab und fuhr ihm tief in die Schulter.
Brüllend vor Schmerz fuhr der Krieger herum, doch noch bevor er den ersten Streich führen konnte, hatte der Inquisitor ihm den Dolch in die Brust gestoßen. Blut quoll ihm über die Lippen, doch tödlich verwundet warf er sich gegen den Ritter, um ihn zu Boden zu reißen.
Marcian taumelte zurück, stolperte über einen Toten, der am Boden lag und prallte gegen die Höhlenwand. Ein Ork hatte sich umgedreht und kam mit wiegendem Schritt auf ihn zu.
Marcian stieß den Toten zur Seite und riß ihm dabei den Dolch aus der Brust.
Mit lautem Schrei stürzte sich der Krieger auf den Inquisitor. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet, und der Ritter konnte die Tätowierungen im Gesicht seines Gegners erkennen. Geschwungene Muster, die von der Stirn hinab um die Augenbrauen bis hin zu den Wangenknochen führten. Selbst die Lippen des Kriegers waren mit blauschwarzen Ornamenten geschmückt. Der Säbel des Orks streifte die Decke der Höhle, als er mit weitem Schwung nach Marcians Kopf schlug.
Der Inquisitor kreuzte die Klingen von Dolch und Schwert, um so den schweren Schlag abzufangen. Kreischend schlug das Metall aufeinander, und durch die Wucht des Angriffs wurde Marcian zurück gegen die lehmige Wand des Tunnels geschleudert. Auch dieser Ork schien wahre Bärenkräfte zu haben. Obwohl sich Marcian nach Leibeskräften wehrte, drückte der Tätowierte die Klingen immer weiter nach hinten, bis sie klirrend gegen die Halsberge der Rüstung des Inquisitors stießen.
Beide Arme waren Marcian auf die Brust gepreßt. Der Ork bleckte seine Zähne. Stinkender Atem schlug Marcian ins Gesicht.
Der Tätowierte brauchte nur eine Hand, um ihn völlig bewegungsunfähig zu machen. Mit der anderen schien er nach seinem Gürtel zu greifen. Dann verspürte Marcian einen Stoß. Ein lautes Knirschen war zu hören. Der Ork mußte versucht haben, ihm eine Waffe in den Bauch zu treiben.
Kalter Schweiß lief dem Inquisitor über die Stirn. Wieder spürte er einen Schlag gegen die Panzerplatte, die Brust und Bauch schützte. Der Ork gab ein ärgerliches Knurren von sich. Dann hob er die Linke. Ein kurzer, breiter Dolch glänzte in seiner Hand.
»Ja, Kattach!« grunzte der Ork und hob quälend langsam den Dolch. Dabei zielte er auf Marcians rechtes Auge. Verzweifelt versuchte sich der Inquisitor dem Schwarzpelz zu entwinden, doch dieser drückte ihn mit schier übermenschlicher Kraft gegen die Wand.
Nur wenige Zoll war die Klinge noch von Marcians Augen entfernt, als der Tätowierte plötzlich schreiend herumfuhr. Ein Schwerthieb hatte ihn an der Hand getroffen, noch bevor der Dolch sein Ziel gefunden hatte. Erleichtert atmete Marcian auf, während die Amazone den verletzten Orkkrieger niederstreckte.
»Wo kommst du her?« Marcian fühlte sich plötzlich entsetzlich schwach.
»Wir haben uns in einem Seitengang versteckt, als der Nebel heranzog. Dann stürmten die Krieger an uns vorbei.« Lysandra grinste breit. »Ich hab dir etwas mitgebracht, Kommandant. - Ulrik, zeig mal unsere Trophäe.«
Einer der Kürassiere tauchte hinter Lysandra auf und hielt einen abgetrennten Orkkopf in die Höhe.
»Mit dem Nebel wird hier gleich Schluß sein!« verkündete Lysandra stolz.
»Wir haben das Übel gleich bei der Wurzel gepackt. Weiter hinten im Gang wartete ein Schamane mit zwei Leibwächtern. Ich glaube, er hat auch die Krieger verzaubert, die hier gekämpft haben.«
Marcian blickte sich um. Alle Gegner waren erschlagen, doch auch sie hatten einen hohen Blutzoll entrichten müssen. Fast alle Zwerge waren tot oder verwundet.
»Kommandant, bitte kommt, schnell!« Die Stimme erklang aus der Richtung, in der die rätselhafte schwarze Steinplatte stand.
Stöhnend richtete sich Marcian auf. Lysandra stützte ihn. Vorbei an Himgi, der gerade notdürftig einen verletzten Kameraden verband, bahnten sie sich ihren Weg durch den verwüsteten Gang. Die Hornisse, die der erste angreifende Ork nach den Zwergen geschleudert hatte, war nur noch ein Haufen verbogenes Metall.
Dicht dahinter kauerte Arthag. Neben ihm lag Nyrilla, die linke Hand fest auf die Brust gepreßt. Blut rann ihr durch die Finger. Ihr lederner Brustpanzer war auf einer Elle längs aufgeschnitten.
»Sie hat mir das Leben gerettet«, Arthags Stimme klang dumpf. »Ein Ork hatte mich niedergeschlagen und wollte mir den Todesstoß versetzen, da hat sie sich ihm in den Weg geworfen.« Arthag schluchzte. »Sein Schwert hat ihren Panzer wie Daunen zerschnitten. Ich konnte hören, wie unter der Wucht des Schlages ihre Rippen brachen. Ich hab dem Schwein meinen Dolch in den Unterleib gestoßen, doch für Nyrilla war es zu spät. Sie sagt, sie wird sterben ...« Wieder stockte dem Zwerg die Stimme. »Sie wollte dir etwas sagen, Marcian.«
»Ich war dumm«, hauchte die Elfe. Ihr Gesicht hatte fast alle Farbe verloren. »Ich hatte vergessen ... wie alt ... der Stein ist. Matzyla Asdharia... Marcianama.«
Fragend blickte der Inquisitor den Zwerg an. »Sie sagt, der Stein muß aus der Zeit der Hochelfen stammen. Sie hat mir eben schon erzählt, daß sie das falsche Wort gewählt hat, eines, das noch nicht zur Sprache der Alten gehörte.«
»Und wie heißt das richtige Wort.«
Marcian griff nach der Rechten, der Elfe, die wie leblos herunterhing. »Das Wort, Nyrilla, wie heißt es?«
War sie schon tot? Nyrillas Gesicht erschien dem Inquisitor wie eine blasse Maske. Ihre bernsteinfarbenen Augen wirkten leer und ausdruckslos.
»Schmerzen ...«, murmelte sie leise. »A’ dao valva iama.«