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Bei Rondra! Sie würde es den Schwarzpelzen schon noch zeigen. Viel zu lange hatte sie schon gewartet. Nun wurde es Zeit zu handeln. Das angstvolle Gezeter von Zauberern und Zwergen würde sie nicht mehr länger aufhalten.

»Hör auf damit, das kannst du nicht allein entscheiden!«

»Geh doch zu Marcian und mach Meldung.« Lysandra hatte für einen Augenblick die Spitzhacke abgesetzt und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Hinter ihr hielten zwei Kriegerinnen Nyrilla fest.

»Du wirst uns alle ins Unglück stürzen!« Wieder bäumte sich die Elfe gegen ihre beiden Wächterinnen auf, doch die Frauen waren stärker.

»Wenn ich nichts tue, wird das unser Unglück sein. Ich hab dir doch gesagt, daß die Orks Tunnel unter die Stadt treiben. Wenn sie vor uns zur verschütteten Kultstätte kommen und den Streitkolben finden, dann ist wirklich alles verloren. Noch haben wir das Schicksal selber in der Hand.«

Lysandra schwang erneut die schwere Hacke gegen den zugemauerten Tunneleingang. Dabei gab sie sorgsam darauf acht, nicht aus Versehen den großen Runenstein zu treffen, der in die Mitte der zugemauerten Toröffnung eingesetzt worden war.

»Denk an die Dämonenrune auf dem Stein. Die Gestalt mit den ausgerissenen Herzen.« Nyrilla hatte es aufgegeben, gegen ihre Bewacherinnen anzukämpfen. Ihre Stimme klang jetzt ruhig.

»Du glaubst wohl, Tairach persönlich wartet hinter dieser Mauer auf mich«, höhnte die Amazone.

Die Elfe antwortete ihr nicht mehr.

Nach etlichen Schlägen war endlich der erste Stein aus der Mauer gebrochen. Lysandra befahl ihren Kämpferinnen, Brechstangen zu nehmen, um damit das Loch zu vergrößern.

Vor Anstrengung schnaufend setzte sie sich neben die Elfe. Ausgenommen von Nyrilla, die auf Marcians Vorschlag zur Wache im Purpurgewölbe eingeteilt worden war, konnte sie allen Frauen hier unten trauen. Die meisten kämpften schon seit Beginn des Orkkrieges an ihrer Seite, die übrigen hatten sich als Unterführerinnen in der Bürgerwehr der Stadt hervorgetan. Jede von ihnen würde ihr bis in die Niederhöllen folgen, dessen war Lysandra sich sicher.

Außer Nyrilla. Nun, dann würden sie die Elfe einfach mitnehmen, wenn sie in den Gang eindrangen. Vielleicht mochte sie sogar von Nutzen sein. Schließlich konnten Elfen zaubern.

Die Amazone betrachtete Nyrilla verstohlen aus den Augenwinkeln. Wenn es hart auf hart kommen sollte, würde das Langohr schon ihren Befehlen folgen, dessen war sie sich ganz sicher.

»Wir haben es geschafft!« Arka, eine stämmige Frau mit kurzgeschorenen, blonden Haaren schwang triumphierend ihr Brecheisen.

In der Wand klaffte ein Loch, das gerade groß genug war, daß ein Mensch sich hindurchzwängen konnte.

»Zurück mit euch!« Lysandra stand auf und nahm einer der Kriegerinnen die Fackel aus der Hand.

Vorsichtig näherte sie sich dem Durchbruch und leuchtete in den Tunnel, der dahinter lag. Im flackernden Feuerschein konnte sie einen Erdgang erkennen, dessen Boden mit bleichen Knochen übersät war.

Hier und dort schimmerte grünlich angelaufenes Messing von zerschlagenen Helmen und Rüstungen zwischen dem Gebein, und auch verrostete Waffen waren zu erkennen. Langsam, jeden Augenblick zum Rückzug bereit, steckte die Amazone ihren Kopf durch die Öffnung, um besser sehen zu können.

Die Flamme der Fackel brannte unstet in der verbrauchten Luft des Tunnels. Es roch nach Staub und Moder. Und noch ein anderer Geruch lag in der Luft. Etwas, das Lysandra nicht einzuordnen vermochte.

Ein würziger Duft, der in ihr die Erinnerung an seltsame Kulthandlungen im schwachen Schein schwelender Rauschkrautbündel weckte. Für einen Moment stand ihr mit quälender Deutlichkeit noch einmal die Szene vor Augen, mit der ihr Rachefeldzug gegen die Schwarzpelze begonnen hatte. Die Netze, die scheinbar aus dem Himmel auf sie und ihre Gefährtinnen herabgestürzt waren ... Das Stöhnen und die Schreie ihrer Schwertschwestern, während sie sich totgestellt hatte und so dem Schlimmsten entging. Lysandra biß auf ihre Unterlippe, bis der Schmerz die Erinnerung vertrieb. Dann zog sie sich zurück.

Erwartungsvoll blickte sie die anderen Frauen an.

Die Amazone schlug sich mit der Faust gegen den Brustpanzer. »Na, was starrt ihr so? Wie ihr seht, bin ich noch immer aus Fleisch und Blut. Keine Geister und Dämonen sind über mich hergefallen. Hinter dieser Mauer liegt nichts, wovor man Angst haben müßte. - Es sei denn, man fürchtet sich vor ein paar morschen Knochen«, fügte sie mit einem verächtlichen Blick zur Elfe hinzu.

Nyrillas Augen schienen schier zu glühen. Lysandra hatte den Eindruck, daß eine seltsame Kraft in der Art lag, wie die Elfe sie ansah, und es fiel der Amazone schwer, sich von diesen leuchtenden Augen wieder loszureißen.

Ob Nyrilla wohl versuchte, einen Zauber auf sie zu legen?

Lysandra hatte schon die unglaublichsten Geschichten über die Magie der Elfen gehört.

»Los, nehmt alle Fackeln von den Wänden und folgt mir«, befahl sie mit schroffer Stimme. »Und vergeßt mir unsere Elfe nicht. Soll die Kleine mal zeigen, ob sie Mumm hat.«

Lysandra wußte, daß sie sich nicht noch einmal zu der Elfe umdrehen durfte. In der Rechten das Schwert, in der Linken eine Fackel, stieg sie durch die Öffnung in der Wand.

Einige lose Steine polterten hinter ihr in den Gang.

Vorsichtig sah sie sich um. Ob es hier wohl Fallen geben mochte? Besser nicht daran denken! Sie würde vorsichtig sein. Vielleicht sollte sie einfach die Elfe vorgehen lassen?

Nein! Wie konnte sie nur so etwas denken? Sie führte hier das Kommando, und sie würde auch ihre Schar anführen! Vorsichtig tastete Lysandra sich voran. War sie vielleicht schon so verweichlicht wie jene feigen kaiserlichen Marschälle, die ihre Truppen aus der Sicherheit eines Feldherrenhügels weit hinter der Kampflinie kommandierten?

Ihre Leute hielten zu ihr, weil sie immer in vorderster Linie gestanden hatte. Niemals hatte sie von jemandem etwas verlangt, wozu ihr selber der Mut gefehlt hätte. Das sollte sich auch jetzt nicht ändern.

Bei jedem ihrer Schritte ertönte das leise Knirschen von Knochen, die so dicht auf dem Boden des Ganges lagen, daß es unmöglich war, sich vorwärtszubewegen, ohne sie zu zertreten.

In die Wände des Tunnels, die aus lehmigem Erdreich waren, hatten die Orks Hunderte von Totenschädeln gedrückt, die mit bizarren Runen in roter Farbe bemalt waren.

Wieder ließ Lysandra den Blick über den Boden schweifen. Das unstete Licht der Fackeln warf sich ständig verändernde Schatten auf Wände und Boden. Immer wieder hatte die Amazone den Eindruck, daß sich außerhalb ihres Gesichtsfeldes etwas im Dunkeln verbarg. Doch sie konnte es nicht fassen. Wenn sie ruckartig den Kopf drehte war das, was sie zu sehen geglaubt hatte, immer verschwunden.

Bald schrieb die Amazone dieses Phänomen ihrer überreizten Phantasie zu. Oder sollte es gar ein subtiler Elfenzauber sein, mit dem Nyrilla versuchte, ihr Angst zu machen? Nein, sie würde sich jetzt nicht zu der Elfe umdrehen. Lysandra wußte, daß dieses Luder nur darauf wartete, daß sie sie anblickte. Nyrilla würde keine Gelegenheit bekommen, sie durch einen Beherrschungszauber zur Umkehr zu zwingen.

Die Amazone spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden. Diese verfluchte Elfe, dachte sie. Sie beunruhigte sie mehr als der Tunnel mit all seinen hohläugigen Totenschädeln.

Lysandra versuchte sich auf die verrotteten Knochen am Boden zu konzentrieren. Sie mußte sich von dem ganzen Unsinn, den sie dachte, ablenken.

Oder war das alles der Einfluß der Höhle? Lysandra konnte hören, wie auch ihre Kriegerinnen leise tuschelten. Der Gang, dem sie folgten, verlief völlig anders, als sie erwartet hatte. Lysandra war der Überzeugung gewesen, daß hinter der vermauerten Wand ein Tunnel direkt unter den Platz der Sonne führte. Doch weit gefehlt. Der Gang beschrieb einen weiten Bogen und führte eher vom Platz weg als auf ihn zu.

Sie hatten schon mehr als dreißig Schritt zurückgelegt, als sie eine Stelle erreichten, wo ein Teil der Tunneldecke eingestürzt war. Aufrecht zu gehen war hier nicht mehr möglich. Man mußte auf die Knie und mochte vielleicht kriechend weiterkommen.