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Die Stimme der Lichtgestalt ließ die Höhle erbeben. Staub rieselte in breiten Streifen von der Decke des Gewölbes; Marcian konnte an den Gesichtern seiner Gefährten ablesen, daß diesmal alle Scraans Stimme gehört hatten.

»Die ersten Tage des Firunmondes werden ganz im Zeichen der Rondra stehen. Es ist die Zeit gekommen, in der sich entscheidet, ob Greifenfurt auch für die nächsten Wochen noch bestehen kann oder in Flammen und Elend vergeht. Lysandra aber ist es bestimmt, Xarvlesh noch heute von hier fortzutragen. Der Fleischreißer ist mehr als nur eine Waffe, und fällt er in die Hände der Orks, ist das Schicksal des jungen Prinzen besiegelt. Du, Lysandra, tätest gut daran, dem Wort des Praios zu folgen, denn es ist Gerechtigkeit und Wärme. Wenn du dies vergißt, wird der kalte Atem des Firun dein Schicksal besiegeln.«

Die Amazone sank auf die Knie. Mit beiden Händen umklammerte sie Xarvlesh und neigte bußfertig ihr Haupt. »Bei Rondra, ich werde mein Leben dafür geben, diese verfluchte Waffe in die Stadt des Lichtes zu bringen. Auf daß sie für immer in der Obhut der Praiosdiener sein möge.«

»Du sollst nicht leichtfertig auf deine Göttin schwören, törichte Kriegerin. Ich sehe deine Zukunft, und ich weiß, daß du, noch bevor der Firunsmond vergangen ist, meinen Gott und deine Freunde verraten wirst, so wie du schon einmal Verrat an deinem heiligsten Schwur begangen hast. Dies ist dein Schicksal, und nur gottgefälliges Handeln vermag es zu mildern.«

»Niemals werde ich Verrat an den Zwölfen oder meinen Gefährten üben!«

Lysandra war aufgesprungen, ihr wallendes Haar wogte wie eine rote Flamme um ihre Schultern. »Und ich werde mich auch nicht von einem Trugbild täuschen lassen. Mein Weg steht im Zeichen der Rondra, und nichts wird mich davon abbringen.«

»Du sprichst wahr, doch ahnst du noch nicht, wie prophetisch deine Worte sind, und das ich recht behalten werde. Doch es ziemt meiner nicht, mit Sterblichen zu streiten, und ich bin es müde, noch weiter in dieser Höhle, die so lange mein Gefängnis war, zu verweilen. Auch spüre ich, wie euer Verderben näher rückt. So geht nun, bedenkt, was ich euch gesagt habe, und handelt weise. Du aber Marcian, nimm das Horn des Lechdan, jenes Kriegers, der einst mit mir zusammen seinen fleischlichen Leib verloren hat. Wenn die Not am größten ist, stoß dreimal ins Hörn, und ich werde dir zu Hilfe eilen. Doch selbstlos muß dein Anliegen sein. Nutzt du das Horn allein zu deinem Vorteil, werde ich mich gegen dich wenden. Also, bedenke wohl, wann du mich rufst, denn mir ist es bestimmt in diesem Aeon nur noch ein einziges Mal auf Dere zu erscheinen! Und nun eilt euch, denn die Zeit drängt.«

»Ihr habt gehört, los, alles weg hier.« Marcians Stimme bebte. Er war sich immer noch nicht ganz sicher, ob diese Erscheinung übles Blendwerk war oder wirklich den Kräften des toten Greifen zuzuschreiben.

Lysandra war die erste, die den Kultplatz verließ. Sie vermied es dem Inquisitor in die Augen zu sehen. Immer noch umklammerte sie mit beiden Händen die Waffe und hielt sie eng an ihre Brust gepreßt, ganz so, als habe sie Angst, jemand könne ihr Xarvlesh entreißen.

Aus dem Gang, der zu den Linien der Orks führte, waren weit entfernt Kommandorufe zu hören.

»Beeilt euch, gleich bekommen wir Besuch.« Auch Marcian hatte nun den Kultraum des Tairach verlassen. Noch einmal blickte er zurück. Scraan hatte sich verändert. Seine Gestalt schien ein wenig kleiner geworden zu sein. Dafür wurde das Leuchten, das von seinem ätherischen Körper ausging, immer intensiver.

Ein schwarz befiederter Pfeil schlug neben dem Inquisitor in die Höhlenwand. Marcian duckte sich. Die meisten seiner Gefährten waren schon im Halbdunkel des Tunnels verschwunden. Nur Arthag kauerte noch neben Nyrilla.

»Bitte helft mir, Marcian.« Flehentlich blickte er zum Inquisitor. »Wir können sie doch nicht einfach hier liegen lassen. Die Orks werden ihr den Kopf abschlagen und ihn auf einen Speer stecken.«

»Sie ist doch tot. Was soll die Sentimentalität? Deine Zwergenbrüder, die gefallen sind, müssen wir doch auch zurücklassen.«

Marcian wollte weitergehen. Am Tunnelende wurde es immer heißer und es schien, als würde die Hitze von Scraans veränderter Gestalt ausgehen. Eilt euch, die Zeit drängt, waren die letzten Worte des Greifen gewesen;

er hatte sie mit größter Eindringlichkeit gesprochen.

Arthag hatte indessen seine Axt und seine Armbrust beiseite gelegt und versuchte sich den Körper der toten Elfe auf den Rücken zu wuchten.

»Los, ich helf dir, aber dann mach auch schnell. Nimm du ihre Arme!«

Marcian beugte sich nieder und griff nach Nyrillas Beinen. Sie waren kalt und steif. Die Berührung mit dem toten Körper war ihm unangenehm. Mußte er sich Vorwürfe machen? Nyrilla war durch ihn hierher gelangt. Wäre sie nie nach Greifenfurt gekommen, würde sie noch leben. Ja, es hätte sogar schon gereicht, wenn sie mit Arthag nicht mehr zurückgekehrt wäre, als es ihnen gelungen war, die Linien der Orks zu durchbrechen. Brachte er denn allen nur Tod und Verderben? Hatte Gordonius recht, der ihn verflucht hatte, als er die Kranken zum Scheiterhaufen bringen ließ? Durch die Last kamen sie nur langsam vorwärts. Noch mindestens zwanzig Schritt trennten sie vom Durchbruch zu Lancorians Turm. Die Rufe der Orks wurden immer lauter. Gleichzeitig wurde es wärmer, so als würde ein gewaltiges Feuer hinter ihnen im Heiligtum des Orkgötzen toben.

»Wo bleibt ihr nur so lange?« Marcian erkannte Himgi vor sich im Tunnel. Das Licht von Scraans Körper war hell und gleißend geworden und tauchte den Erdgang in ein unangenehmes, weißes Licht. Einmal hatte Marcian kurz zurückgeblickt und war fast geblendet worden. Scraans Gestalt hatte er von dem Licht nicht mehr unterscheiden können.

Dem Zwergenhauptmann tränten die Augen. Er hatte ein dickes Seil um einen der Stützbalken an der Seite des Tunnels geknotet.

»Beeilt euch und macht, daß ihr zum Turm kommt«, brummte er gutmütig.

»Und du?« Marcian zögerte.

»Ich werde diesen Stützpfeiler niederreißen. Dann wird ein Teil der Decke einstürzen und verhindern, daß die Orks uns folgen.«

»Warum machst du das nicht aus der Sicherheit des Turms? Los, komm schon mit uns, das ist ein Befehl, Himgi.«

»Tut mir leid, Kommandant. Dieses eine Mal werde ich nicht gehorchen. Je länger ich das Seil mache, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Orks noch rechtzeitig hier sind, um es zu kappen. - Geht schon! Ein wenig Sicherheitsspielraum habe ich noch, obwohl man natürlich nie weiß, was passieren wird, wenn so eine Erdhöhle einmal beginnt einzustürzen. Aber das ist allein mein Problem!«

»Du mußt wissen, was du tust«, zischte Marcian wütend. »Los, laß uns verschwinden, Arthag.«

So schnell es ging, rannte er mit dem Zwerg durch den Tunnel. Himgi begleitete sie ein Stück, bis die Seilrolle, die er über der Schulter trug, abgespult war.

»Mögen die Götter dich schützen, Marcian. Ruft, sobald ihr den Turm erreicht habt.«

»Geh mit Ingerimm, du Dickkopf!« Marcian zögerte keinen Augenblick mehr. Himgi zu überreden war unmöglich.

Immer lauter wurde das Geschrei der Orks. Sie konnten nicht mehr sehr weit vom unterirdischen Kultraum entfernt sein und mußten das übernatürliche Licht auch schon bemerkt haben. Ob sie Tairach davor beschützen konnte?

Immer wärmer wurde es im Tunnel. Marcian fluchte über seine Rüstung. Sie behinderte ihn bei jeder Bewegung; er hatte das Gefühl, langsamer vorwärtszukommen als der kurzbeinige Zwerg. Außerdem begann das Metall des Panzers sich zu erhitzen. Wie heiß es wohl in der Höhle sein mochte, wenn er die Hitze selbst hier noch spürte?

Endlich tauchte vor ihnen der Mauerdurchbruch auf.

»Jetzt, Himgi!« brüllte Marcian, während er mit Arthag die tote Elfe durch die schmale Maueröffnung ins Purpurgewölbe wuchtete.

Einen Augenblick war es still. Sie konnten Himgi nicht sehen. Das Licht am Ende des Tunnels blendete jetzt so stark, daß es unmöglich war, noch irgend etwas zu erkennen.