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»Jawohl, Herrin.« Der blonde Robak machte auf dem Absatz kehrt und lief auf den Stall zu.

Movert war näher zu Lysandra getreten. Er war ein dunkler Mann, mit einem kurzgeschorenem Kinnbart und verdrossenem Gesicht. »Was ist mit dem Tor passiert, Lysandra? Es war mit einem Balken versperrt, und niemand war im Hof, um dir zu öffnen?«

»Scher dich nicht um Dinge, die du nicht begreifst! Ich bin dir ...«

»Seht nur! Dort drüben im Lager der Orks! Bei den Göttern ...«

Der Wachtposten auf dem Flachdach des Pferdestalls wies mit ausgestrecktem Arm nach Osten auf das Hauptlager der Schwarzröcke. Lysandra rannte die schmale, steinerne Treppe zum Dach hinauf. Als sie ankam, konnte sie eine eigenartige Erscheinung am Himmel sehen: eine Flamme, die direkt auf das Praiosgestirn zuzufliegen schien und dann verschwand.

»Es muß aus der Erde gekommen sein ... Ein helles Licht ...«, stammelte der Wachtposten. »Es sah aus wie ein Löwe ... aber auch wieder wie ein Adler. Es war aus Licht und Flammen und hat alle Zelte in der Nähe in Brand gesetzt.«

Lysandra blickte zum Lager der Orks. Schwarzer Rauch stieg dort zum Himmel. Zehn oder mehr der großen, ledernen Zelte brannten. Viele Orkkrieger hatten den Angriff auf die Stadt abgebrochen und rannten zum Lager zurück, um ihre Habe zu retten.

»Das war ein Zeichen der Götter!« Die Amazone war auf die andere Seite des Daches gegangen und blickte nun in den Hof, wo mittlerweile fast alle ihrer Gefolgsleute versammelt waren.

»Sie wollten uns den Weg freimachen. Sattelt die Pferde! Die Besten werden mich nun begleiten, um diese verfluchte Waffe auf heiligen Boden zu bringen. Dorthin, wo sie nie wieder die Hand eines Orks berühren wird. Ihr anderen aber bleibt hier und haltet die Stadt. Und schöpft neuen Mut, denn die Himmlischen haben uns ein Zeichen gegeben, nicht zu verzweifeln. Wenn eure Stunde gekommen ist, werde ich wieder hier sein!«

»Lysandra! Lysandra!« Die Männer und Frauen im Hof wollten nicht aufhören, ihren Namen zu rufen. Sie schlugen mit ihren Waffen auf die Schilde und schrien, bis Robak und Movert die ersten Pferde aus den Ställen führten.

Lysandra kannte jeden einzelnen im Hof so gut, als wäre er von ihrem Blut. Über ein Jahr lang waren sie mit ihr durch die Wälder der Grafschaft gestreift. Hatten die Orks überfallen und waren ihrerseits von den Schwarzpelzen gejagt worden. Viele in der Stadt hielten sie für Strauchdiebe und Halsabschneider, doch in ihren Augen waren es die besten Krieger, die noch auf Greifenfurts Mauern standen. Jeder von ihnen hatte einen ganz persönlichen Grund zur Rache, und niemand würde von den Mauern weichen, solange auch nur ein Ork vor Greifenfurt stand. In diesem fanatischen Haß hatte sie auch ihre ›Löwinnen‹ erzogen. Ehemals brave Bürgerstöchter, die in den letzten Wochen bei ihr das Fechten gelernt hatten und mittlerweile Rondra alle Ehre machten. Lysandra war sich sicher, ihre Freischärler und die ›Löwinnen‹ würden auch ohne sie auskommen. Sie alle trugen etwas im Herzen, das sie in jeder Schlacht mehr beflügeln würde als der tollkühnste Anführer: Haß!

Kurze Zeit später stand Lysandra mit neun anderen Reitern kurz hinter der Bresche in der Ostmauer. Bis hier waren sie auf keinen Widerstand gestoßen. Obwohl auch weiterhin noch am Andergaster Tor gekämpft wurde, hatten die Orks diesen Stadtteil wieder aufgegeben.

Die Amazone strich über den Streitkolben, der von ihrem Sattel herabhing. Dann griff sie wieder nach der Lanze, die sie gegen die Mauer gelehnt hatte.

»Also, zum letzten Mal. Ich will keine unnötigen Kämpfe. Wir wollen allein aus der Stadt heraus! Ist das klar?«

Ihre Kämpen nickten stumm. Fast alle trugen mehr oder weniger vollständige Rüstungen, hatten Köcher mit Bögen an die Sättel geschnallt und hielten in der Rechten eine Lanze. Die letzte Kavallerieattacke Greifenfurts, dachte Lysandra. Gut, daß Marcian im Tunnel zurückgeblieben ist. Dann hob sie die Linke. »Jetzt!«

Die Männer und Frauen gaben ihren Pferden die Sporen und lenkten die Tiere durch die Trümmer des Turmes, der einst diesen Teil der Mauer geschützt hatte. Dann waren sie auf dem freien Feld vor der Stadt. Im Lager der Orks wurde Alarm geblasen.

Lysandra konnte erkennen, wie Krieger zu den Geschützen auf den Erdwällen liefen. Doch die waren keine ernste Gefahr mehr. Die meisten Katapulte und Rotzen waren vor einigen Tagen abgezogen worden. Vermutlich brauchten die Schwarzröcke sie bei einer anderen Belagerung.

In gestrecktem Galopp passierten die Reiter das Feld. Die wenigen Geschosse, die man auf sie abgefeuert hatte, verfehlten ihr Ziel. Ein guter Auftakt, dachte Lysandra und hielt mit ihrem Hengst auf das Hügelland nordöstlich des Orklagers zu. Es scheint wirklich so, als seien die Götter uns gewogen.

7

Anshelm war äußerst schlecht gelaunt. Die Reise zum Heer des Prinzen war zwar ruhig verlaufen, doch in diesem eisigen Wetter dauernd auf einem Pferderücken zu sitzen war nicht seine Sache. Nein, ein Geweihter sollte anderen Aufgaben nachgehen. Vor allem wenn er Pferde verachtete. Nicht, daß ihm jemals ein Pferd etwas zu leide getan hätte, doch war es bei seiner Leibesfülle nicht ganz leicht, den Rücken eines Reittiers zu erklimmen, und führte meist dazu, daß alle, die ihm dabei zusahen, mehr oder weniger bemüht ihr Schmunzeln verbargen. Pferde machten ihn lächerlich! Also haßte er Pferde. Den ganzen Tag lang zu Fuß zu gehen machte ihm nichts aus, doch im Sattel zu sitzen ...

Mittlerweile war es nicht mehr so schlimm, wie an den ersten beiden Tagen, nachdem er mit seinen Leibwächtern Gareth verlassen hatte, doch damals hatte er geglaubt, er würde sich nie wieder in seinem Leben hinsetzen können.

Nun, er hatte auch das überstanden. Selbst der eisige Wind machte ihm nicht mehr ganz so viel aus, wie am Anfang.

Brin hatte ihn persönlich bei dem Heer, das gen Greifenfurt zog, willkommen geheißen. Noch nie war er dem zukünftigen Kaiser so nahe gewesen. Ein freundlicher, junger Mann. Vielleicht ein wenig zu jung, um die schwere Verantwortung zu tragen, die nun auf seinen Schultern lastete.

Jedenfalls war er, seit er im Heerlager eingetroffen war, ständig in der Nähe des Herrschers gewesen, und so hatte er nicht umhin gekonnt, mitzuerleben, was er sich an diesem Morgen geleistet hatte.

Ein Pirat hatte den Vertreter des Kaiserhauses beleidigt! Ihn auf infame Weise geduzt und war dann noch seinem gerechten Urteilsspruch entkommen. Ein Skandal!

Anshelm hatte kurz danach mit Großadmiral Sanin über den Zwischenfall gesprochen. Der Admiral war mit ihm einer Meinung, daß dieser Phileasson ein berüchtigter Freibeuter sei und eigentlich an den nächsten Galgen gehöre.

Trotz der Kälte wurde Anshelm ganz heiß vor Wut. Was hatte sich der Prinz nur dabei gedacht? Gerade in Kriegszeiten mußte man besonders hart durchgreifen! Einem Feind des Reiches durfte kein Pardon gegeben werden.

Anshelm blickte auf den Fluß. Die Schiffe der Thorwaler Piraten bildeten das Ende des langen Zuges von Schiffen, die den dunklen Strom heraufkamen. Das war mit Sicherheit kein Zufall. Dort war es am leichtesten, zu verschwinden, wenn es ernst werden sollte. Vielleicht würden sie auch noch einige der schutzlosen Ortschaften weiter im Süden plündern, bevor sie schließlich auf hoher See verschwanden. Dieser leichtfertige Prinz! Er hatte fast alle Soldaten aus der Region abgezogen, um die Truppen der Flotte zu verstärken.

Die großen Flußkähne, auf deren Decks sich der Nachschub für Greifenfurt stapelte, kamen nur langsam gegen die Strömung vorwärts. Der Wind stand schon seit Tagen ungünstig. Ein Zeichen dafür, daß auch die Götter gegen diese Flottenoperation waren!

Gespanne zogen die Schiffe. Pferdeknechte führten die Tiere am Zaun und achteten darauf, daß sich die Geschirre und die langen Lederseile, die zu den Schiffen führten, nicht verhedderten. Ab und zu ließen sie auch ihre Peitschen knallen, wenn die Pferde nicht mehr weiter mochten.