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Auch Andra blickte wieder zu dem Lager der Orks und erschrak. Die Schwarzpelze waren vom Hügelkamm verschwunden. Das konnte nur heißen, daß sie einen Wall aufgeschüttet hatten, hinter dem sie jetzt Zuflucht nahmen. Dann entdeckte Andra etwas, das ihr einen mächtigen Schrecken einjagte. Halb unter dem frisch gefallenen Schnee verborgen, ragten Hunderte von zugespitzten Pfählen aus den Flanken des Erdhügels.

Und dann war das dumpfe Geräusch von Katapultarmen zu hören, die auf Lederpolster aufschlugen. Andra starrte in den Himmel und sah einen Hagel von faustgroßen Steinen auf die Reiter niederprasseln.

Innerhalb eines Atemzuges verwandelte sich die prächtige Angriffsformation in ein Durcheinander aus stürzenden Pferden und aufgewirbeltem Pulverschnee. Krieger wurden aus den Sätteln gerissen, und Pferde wieherten in Panik. Für die zweite Reihe, die mit nur wenigen Schritt Abstand folgte, war es unmöglich, den Gestrauchelten auszuweichen. Sie ritten über ihre gefallenen Kameraden hinweg, und dann folgte eine neue Reihe und noch eine und ...

Andra lief es kalt über den Rücken. Hier zu stürzen bedeutete den sicheren Tod! Ängstlich blickte sie zu Alrik herüber, doch der Obrist saß noch in seinem Sattel.

Wieder feuerten die Orks eine Salve ab. Andra riß ihren Schild hoch, obwohl sie nur zu gut wußte, daß er sie bei einem Treffer kaum schützen würde.

Wenigstens erwiderten die Schiffe mittlerweile das Feuer der Orks. Einige Geschosse, die einen dünnen Rauchschweif hinter sich herzogen, flogen auf den flachen Hügel zu. Tonkrüge, die mit dem gefürchteten Hylauer Feuer gefüllt waren und auf denen glimmende Lunten steckten. Doch die Salve war schlecht gezielt gewesen. Zwei der Krüge zerschellten an der Hügelflanke, und die anderen flogen irgendwo in das Lager der Orks. Dann ertönte auch von der Halbinsel zwischen den beiden Flußarmen das Geräusch abgefeuerter Katapulte. Sie mußten dort hinter Wällen aus Schnee verborgen gestanden haben. Wie der Schwerthieb eines Gottes dröhnte es über das Schlachtfeld, als eines dieser Geschosse, gegen die Aufbauten des metallverstärkten Flußschiffes an der Spitze des Konvois schlug. Wieder prasselte ein Schwall von Steinen auf die Reiter herab. Die erste Reihe hatte sich schon bedenklich gelichtet. Andra konnte sehen, wie dem Prinzen durch einen Treffer der Schild vom Arm gerissen wurde. Einen Augenblick schwankte er bedrohlich im Sattel, doch dann konnte er sich wieder fangen und winkte einen Hornisten an seine Seite.

Die Jägerin blickte zum Hügel. Sie hatten nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt.

Ein Hornsignal übertönte den Schlachtlärm. Der Prinz ließ zum Rückzug blasen. Immer wieder ertönte das kurze Signal über die Schlachtreihen und wurde von anderen Hornisten aufgenommen. Doch eine Formation von fünfhundert Reitern im vollen Galopp konnte nicht einfach anhalten. Andra zog an ihren Zügeln, um ihr Pferd in eine langsamere Gangart fallen zu lassen. Wenn sie den Braunen einfach herumriß, würden die Reiterreihen, die hinter ihr folgten, sie überrollen.

Wieder prasselten Steine vom Himmel.

»Alles in Ordnung?« brüllte Alrik neben ihr. Sie wollte antworten, doch ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen.

Hinter ihr ertönte lautes Getöse. Nicht alle waren so besonnen gewesen, das Tempo zu verringern. Offiziere versuchten den Lärm zu überschreien, Pferde wieherten, und Krieger brüllten vor Todesangst und Schmerzen. Endlich war die Reiterformation zum Halten gekommen, und Andra wagte es, ihr Pferd zu wenden. Hunderte Reiter flohen in völliger Unordnung vom Schlachtfeld. Überall lagen tote Pferde und die bis zur Unkenntlichkeit entstellten Leichen von Rittern, über die die Reiterkavalkade hinweggegangen war.

Der Jägerin wurde übel. Sie hatte schon manchen Kampf hinter sich, doch das hier war das gräßlichste, was sie je gesehen hatte.

Wozu hatte das geschehen müssen? Diese Demütigung! Unter den Orks würde es vermutlich kaum Tote und Verwundete gegeben haben. Sie waren nicht einmal bis auf Schußweite an den Hügel herangekommen. Doch wer hätte damit rechnen können? In der Schlacht bei Orkenwall, an der wesentlich mehr Krieger beteiligt gewesen waren, hatten die Schwarzpelze nur über ein einziges Katapult verfügt. Sie mußten den Zwerg, der die Belagerung von Greifenfurt leitete, hierher gebracht haben. Alrik hatte ihr von ihm erzählt. Anders war diese Katastrophe nicht zu erklären.

Sich in dieser Art zu verschanzen sprach gegen alles, was sie jemals über die Kriegsführung der Orks gehört hatte. Man konnte daraus nur zwei Schlüsse ziehen. Die Schwarzpelze hatten sich von ihrer Niederlage bei Silkwiesen vollständig erholt und ihr Heer reorganisiert. Vor allem aber mußte auf diesem Hügel Sadrak Whassoi, der Schwarze Marschall stehen. Niemand sonst wäre in der Lage gewesen, die Scharen fliehender Orks wieder zu einem solchen Heer zusammenzuschmieden.

Mittlerweile war die Sonne untergegangen. Die Schwarzröcke hatten aufgehört zu schießen, und die Reste der zerschlagenen Reitertruppe zogen sich auf das Lager zurück, das eine Meile weiter südlich am Fluß lag. Auch die Schiffe hatten gewendet. Ihre dunklen Schatten glitten über die Fluten, die im Licht des Madamais silbrig schimmerten. Zumindest sie schienen bei dem fehlgeschlagenen Angriff keinen Schaden genommen zu haben.

Andra drehte sich im Sattel um, und blickte noch einmal zum Hügel zurück. Der Abendhimmel schimmerte rötlich vom Schein der Lagerfeuer. Es mußten Hunderte sein! Waren dort wirklich so viele Orks, wie Feuer brannten? Oder war auch das eine Kriegslist des Schwarzen Marschalls? Wie viele Krieger mochte er haben? Hätten seine Reiter die geschlagenen Kaiserlichen verfolgt, wäre die Schlacht in ein regelrechtes Massaker ausgeartet und sein Triumph nur um so größer geworden. Vielleicht verfügte er aber auch nur über sehr wenige Krieger? Falls dort allerdings eine ganze Armee stand, war Greifenfurt verloren, denn dann würden sie niemals die letzten Meilen den Fluß hinaufkommen.

Für die Nacht war ein ledernes Zelt aufgeschlagen worden, um die Offiziere vor Wind und Schnee zu schützen. Brin hatte alle Truppenkommandanten um sich versammelt, um mit ihnen gemeinsam nach einer Möglichkeit zu suchen, an den Orks vorbeizukommen.

»Wenn wir nicht wenigstens einen dieser Artillerieposten ausschalten, haben diese rattenpelzigen Banditen die Hälfte unserer Flotte in Stücke geschossen, bevor wir Greifenfurt erreichen.« Großadmiral Sanin hatte die Hände auf den Rücken gefaltet und ging während er redete, aufgeregt auf und ab. »Ich habe eben erst mit den Flußschiffern gesprochen. Trotz des Hochwassers werden nicht mehr als zwei Schiffe nebeneinander die Mündung der Breite passieren können. Bei dem Geschützfeuer, mit dem die Orks uns heute belegt haben, werden sie die Lastkähne in Treibholz verwandeln. Hätten wir wenigstens eine der beiden Bastionen in unserer Hand, könnten wir die gepanzerten Schiffe bis dicht an die zweite Geschützstellung fahren lassen. Während sie das Feuer auf sich ziehen würden, könnten die Flußkähne mehr oder weniger ungeschoren passieren.«

»Noch einen Angriff wie heute abend können wir uns aber nicht mehr leisten. Die Attacke hat achtundzwanzig Rittern das Leben gekostet, und mehr als doppelt so viele sind verwundet. Ich bin beileibe nicht feige, aber den Hügel mit Reitern zu stürmen, ist unmöglich. Habt Ihr die angespitzten Pfähle gesehen, mit denen er gesichert ist. Da kommt kein Reiter vorbei. Wir brauchten Sappeure, die uns eine Bresche schlagen.« Von Blautann zuckte resigniert mit den Schultern. »Wir könnten höchstens versuchen, diese Stellung weiträumig zu umgehen und schauen, ob die Schwarzröcke sich auch auf einen Angriff von hinten vorbereitet haben.«

Brin spielte nervös mit seiner Reitgerte. Vor einer halben Stunde hatte er sich die Toten angesehen, die im Schutz der Dunkelheit vom Schlachtfeld geborgen worden waren. Achtundzwanzig Männer und Frauen, deren Leben er sinnlos vergeudet hatte. Er hätte sich auf diesen Angriff nicht einlassen dürfen! Statt so zu taktieren, wie man es von einem Feldherren erwarten durfte, war er geradewegs in die Falle gelaufen, die Sadrak Whassoi ihm gestellt hatte.