Der Hohepriester der Orks legte die geweihte Keule beiseite und brach aus dem Schädel, den er die ganze Zeit in der Linken gehalten hatte, einen langen Hauer. Mit dem Zahn, der sich in Jahrhunderten gelblich verfärbt hatte, zog er noch weitere Linien über Vanas blasse Haut.
Der scharfe Eckzahn hinterließ blutige Spuren, und die Sklavin stieß gellende Schreie aus, die sich mit dem monotonen Singsang des Schamanen zu einer Kakophonie des Grauens einten.
Uigar legte nun das Folterinstrument zurück in den klaffenden Kiefer des Totenschädels, doch Vana hörte nicht auf zu schreien, ganz so, als werde sie längst nicht mehr allein von der Macht des Schamanen heimgesucht. Dann murmelte der Hohepriester einige Worte, deren Sinn Gamba nicht verstand. Ja, der Druide vermochte nicht einmal zu sagen zu welcher Sprache diese fremdartigen, halb tierischen Laute gehörten. Als er aber sah, wie sich Uigar nun nach vorne beugte und seine rechte Hand, scheinbar ohne auf Widerstand zu stoßen, durch Vanas schweißbedeckte Brust stieß, um nach dem Herzen der Sklavin zu greifen, da glaubte der Druide einen Augenblick lang, ihm würden die Sinne schwinden.
Uigar schien der Schrecken seiner Tat nicht zu berühren. Noch immer murmelte der Schamane Beschwörungen, wenngleich seine Stimme von Vanas infernalischen Schmerzenschreien verschluckt wurde, so daß Gamba nur sah, wie der Priester die Lippen bewegte. Er schien Tairach anzurufen und ließ dabei seine Hand langsam höher wandern, bis sie schließlich nach dem Hirn der Sklavin griff.
Gamba preßte sich die Hände auf die Ohren. Einen Moment lang glaubte er, am Rande des Wahnsinns zu stehen. Der Druide vermeinte zu spüren, wie der Schmerz der gepeinigten Vana zu einer Kraft wurde, die versuchte, ihn im Tod mit sich in den dunklen Abgrund zu reißen.
Oder waren es die Kräuter, die seinen Geist umnebelten und die Grenzen zu Dingen, die die Götter den Menschen verboten hatten, durchlässiger machten? War es das verbotene Wissen um das, was noch alles in dieser Welt existierte, das ihn in den süßen Irrsinn umfassenden Verstehens lokken wollte? Gamba schloß die Augen, kämpfte gegen diese Versuchung an, und plötzlich endete Vanas Schrei.
Allein das Murmeln des Schamanen war zu vernehmen. »... so nimm sie, und schenke mir den Verderber des Göttergeschenks, den Hohepriester, dessen Namen die Schamanen aus dem Gedächtnis der Stämme getilgt haben.«
Vorsichtig öffnete Gamba seine Augen. Uigar Kai hielt nun eine bebende, blutige Masse in seiner Rechten und streckte sie dem Standbild des Tairach entgegen. Die Sklavin lag unbeweglich vor seinen Füßen. Ihre Glieder waren in grotesker Weise verrenkt, so, als sei jeder einzelne Knochen in ihrem Körper gebrochen, doch das schrecklichste war der Ausdruck auf ihrem Gesicht.
Sharraz lag keuchend auf den Knien. Er schien sich erbrochen zu haben und hielt nun sein Gesicht in den Händen verborgen.
Neben dem Hohepriester formte sich eine blasse Gestalt aus dem Rauch der Räucherpfannen.
»Ich grüße dich, Verkünder des Tairach, Träger des schwarzen Stabes und Meister der drei Welten, Uigar Kai, Abbild all dessen, das ich einst war.«
Eine tonlose Stimme füllte die Höhle aus, ohne das es möglich war, zu sagen, woher sie erklang. »Beuge dich meinem Wort, Verfehmter! Du, dessen Hochmut einst das Schicksal unseres Volkes bestimmte. Wahnsinniger, der du das Geschenk des Gottes mit in dein Grab gerissen hast.«
»Was verlangst du, Uigar Kai?«
»Finde die Frevlerin, die Xarvlesh mit sich genommen hat, und bringe sie nach Khezzara. Lösche deine alte Schuld, und deine ewige Wanderschaft zwischen der Welt der Toten und der Welt derer, die das Blut wärmt, wird ein Ende haben.«
»Doch wie soll ich sie zwingen, etwas zu tun, wo ich sie nicht einmal berühren kann, solange sie Xarvlesh mit sich führt?«
»Jammere nicht wie ein altes Weib. Nutze die Kraft, die dir geblieben ist, und bedenke, was Tairachs Geschenk denen antut, die es tragen. Und nun beginne deine Suche!«
Der Schemen, der sich im Rauch geformt hatte, verschwand, und es wurde still in der Höhle. Die Beschwörung schien Uigar Kai fast alle Kräfte gekostet zu haben. Er begann zu taumeln. Gamba eilte ihm zur Hilfe und fing den alten Ork auf.
»Laß mich los«, zischte der Schamane böse. »Wenn ich nicht mehr die Kraft habe, auf eigenen Beinen zu stehen, dann bin ich es auch nicht länger wert, das Amt des Hohepriesters zu bekleiden.«
Gamba wich ein Stück zurück, doch blieb er nahe genug, um den Schamanen und Tairach-Priester zur Not auffangen zu können, falls er stürzte. Nur zu gut wußte der Druide, wie sehr mächtige Zauber an den Kräften des Körpers zehrten; er selber war schon oft nach machtvollen Ritualen zusammengebrochen, obwohl er um etliche Jahre jünger war als der Ork.
»Nun zu dir, Sharraz.« Uigar Kai hatte sich dem General zugewandt. »Ich habe den Eindruck, das Jahr, das du Verweser der Provinz Finsterkamm gewesen bist, hat dich weichgemacht. Kolon hat mir berichtet, daß du oft nicht an den Kämpfen teilgenommen hast, die in den letzten Monaten um die Stadt geführt wurden und daß viele deiner Krieger dich verachten. Doch werde ich nicht nach dem Wort eines Zwergen allein urteilen. Gamba, ist das wahr, was mir Kolon, den man auch den Tunneltreiber nennt, berichtet hat?«
»Ja, mein Meister. Sharraz ist fett und träge geworden. Es gibt Tage, an denen er nicht einmal sein Zelt verläßt und seine einzige mannhafte Leistung die Hurerei mit Sklavinnen ist. Außerdem ...«
»Das ist nicht wahr! Gamba und Kolon verleumden mich und ...«
»Schweig!« Uigar Kai hatte drohend seine Knochenkeule erhoben. »Was hast du mir noch zu berichten, Gamba?«
»Man sagt, daß Sharraz sich nächstens mit einem Dämonen trifft und Unzucht mit einem alten Mann treibt, den er in einem Zelt gefangen hält, das außer ihm niemand betreten darf. Doch noch viel weniger verzeihlich ist für einen Krieger, daß uns Sharraz Garthai, seit wir hier vor den Mauern der Stadt liegen, nicht einen Sieg schenken konnte. Viele Krieger murren und wollen lieber zum Heer des Sadrak Whassoi oder in ihre heimatlichen Stammesgebiete zurück. Sie haben Angst, den ganzen Winter vor den Mauern der Stadt zu lagern und im Eis zu erfrieren, statt den Tod eines Kriegers zu finden.«
Der Hohepriester des Tairach runzelte die Stirn und überlegte eine Weile, bevor er zu Sharraz sprach. »Du hast die Klagen vernommen, und ich muß dir sagen, selbst Sadrak Whassoi, der dein Freund ist, wird dich nicht länger schützen. Doch sollst du Gelegenheit haben, deinen Mut zu beweisen und deine Ehre als Krieger wieder reinzuwaschen.« Der Schamane zog ein kupfernes Messer aus seinem Gürtel und warf es dem General vor die Füße. »Ich sollte deinen Kopf abschlagen und auf einem Speer vor deinem Zelt aufstellen, Sharraz, doch ich erinnere mich noch an die Zeit, in der du ein gefürchteter Krieger warst und mir so manchen Dienst erwiesen hast. Deshalb soll dir dieser ehrlose Tod erspart bleiben.«
Der Orkgeneral nickte stumm und begann die Schnallen an der Seite seines ledernen Brustpanzers zu lösen. Dann legte er den eisenbeschlagenen Harnisch ab und streifte das wollene Wams, das er darunter trug, über den Kopf.
»Siehst du, wie weich er geworden ist. Kein anderer im ganzen Lager trägt so warme Kleidung wie Sharraz. Er ...«
»Schweig, Gamba. Ein großer Krieger geht nun auf seine letzte Reise, und ich werde nicht dulden, daß du ihn dabei verhöhnst. Sieh lieber gut zu, was er tut, denn es mag der Tag kommen, an dem du sein Schicksal teilst.«
Der Druide schluckte. Bislang hatte er angenommen, Uigar Kai würde ihn als Freund oder zumindest als eine Art Schüler betrachten.
Sharraz war nun vor das Bild seines Gottes getreten.
»Tairach, vergib mir«, murmelte Sharraz leise. »Lang ist es her, daß ich dir zu Ehren das Blut von Menschen vergossen habe. Ich weiß, du zürnst mir und hast mir deshalb die Kraft zu siegen genommen. So nimm du nun mein Blut und wisse, daß es nichts gibt, weder im Himmel noch in den weiten Steppen, das ich über dich stelle.«