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Darrag schlug die Arme gegen den Leib. Jetzt ein Schluck Branntwein! Aber Branntwein oder Bier gab es auch schon lange nicht mehr.

Der Schmied hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich ruckartig um, das gezogene Schwert in der Hand. Doch statt eines Orks stand dort Jorinde, die ihn mit großen Augen anschaute.

»Was machst du denn hier, meine Kleine?« Darrag steckte die Waffe weg und beugte sich zu seiner Tochter herab, um sie auf den Arm zu nehmen.

»Ich kann nicht schlafen. Da sind so viele Fremde in dem Zimmer, die husten und machen komische Geräusche und ...« Das Mädchen trat verlegen von einem Fuß auf den anderen.

»Und was?« Darrag strich ihr über den Kopf und drückte sie ein wenig fester an sich. Das kleine Mädchen war so leicht, daß er es immer noch ohne Schwierigkeiten mit einem Arm halten konnte. »Na, sag schon, was los ist. Bestimmt kann ich dir helfen.«

»Ohne Tinka kann ich nicht schlafen.«

»Wo hast du denn die kleine Tinka? Hat sie dir irgendein Bengel weggenommen?« Darrag mußte lächeln. Wie sehr Jorinde an der kleinen Puppe mit den Zöpfen aus geflochtenem Stroh hing, die er ihr gemacht hatte.

»Niemand hat mir Tinka weggenommen ...« Jorinde setzte einen Schmollmund auf. »Die dumme Cindira hat sie vergessen, als wir heute morgen die Sachen gepackt haben. Jetzt ist Tinka ganz alleine. Bestimmt hat sie Angst im Dunkeln, wenn ich nicht bei ihr bin.« Plötzlich machte Jorinde ein bestürztes Gesicht und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Oder meinst du, die Orks haben sie? Glaubst du sie werden ihr was tun, Darra? Kannst du sie nicht holen?«

Der Schmied setzte sie wieder auf den Boden und blickte seiner Tochter nachdenklich ins Gesicht. Darra hatte sie ihn genannt, als sie gerade sprechen konnte. Seinen Namen hatte sie damals zuerst gelernt. Und jetzt stand sie da, mit ihren langen blonden Zöpfen und ihren wunderschönen Augen und fragte ihn, ob er wegen ihrer Puppe sein Leben riskieren würde.

»Ich werde eine neue Puppe für dich machen. Die wird noch viel schöner als Tinka.«

»Ich will keine neue Puppe!« Jorinde versuchte sich aus seiner Umarmung zu befreien. »Ich will Tinka. Dann geh ich sie eben selber holen.«

»Du wirst nicht da rausgehen.« Der Schmied packte sie mit beiden Händen und hob sie hoch, so daß sie über die Barrikade blicken konnte.

»Siehst du die Häuser dort drüben?« Darrag hatte sich Jorinde auf die Schultern gesetzt und wies mit ausgestrecktem Arm auf die niedrigen Fachwerkhäuser, die gegenüber seiner Schmiedewerkstatt lagen. »Da, wo noch vor ein paar Tagen Olmje, Riva, Prado und all die anderen Nachbarn gewohnt haben, sind jetzt die Orks. Und auch hier, direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite, im Haus der Therbuniten haben sich gestern abend Schwarzpelze eingenistet. Sie warten nur darauf, daß sich jemand auf der Straße sehen läßt, um ihn mit ihren Pfeilen totzuschießen.«

Jorinde blickte ihn verwundert an. »Warum tun die das eigentlich? Ich hab doch keinem von den Orks etwas getan.«

Darrag atmete tief ein und seufzte. Was sollte er dem kleinen Mädchen darauf sagen? Eine Weile war nur noch das Brausen des Sturms zu hören. Der Schmied starrte zum Himmel, um nicht Jorindes fragendem Blick zu begegnen.

Das Madamal war in dieser Nacht hinter Wolken verschwunden, und das Schneetreiben wurde immer dichter.

Jorinde trug das handbestickte rote Kopftuch, das ihre Mutter ihr im letzten Frühjahr geschenkt hatte. Ihr Gesicht war immer noch rund und nicht ausgezehrt wie die Gesichter der anderen Kinder. Darrag gab ihr einen Teil seiner eigenen Ration ab, damit sie nicht schwach und krank wurde. Ihre Backen und ihre kleine Stupsnase waren rot vor Kälte. Um die Schultern hatte sie eine Decke geschlungen und ihre zarten Beinchen waren mit dicken Wickelgamaschen verhüllt.

»Wenn ich tot bin, seh ich dann Mama und Marrad wieder?«

Darrag zuckte mit den Schultern und brummte: »Das sagen die Geweihten...«

»Dann ist es doch gar nicht schlimm, wenn ich sterbe. Tut das weh? So wie damals, als ich die Kohlen im Ofen anfassen wollte? Feuer mag ich nicht ...«

Darrag mußte schlucken. Für einen Moment war er sprachlos. Worauf wollte sie hinaus? »Willst du mich alleine lassen? Mutter und Marrad sind tot. Wir haben nur noch uns.«

»Aber die Geweihten sagen doch ...«

»Hör auf, solchen Unsinn zu reden. Ich bring dich jetzt zu den anderen zurück. Mitten in der Nacht in der Kälte zu stehen, das ist nichts für dich.«

Jorinde fing an zu weinen. Sie schrie und schluchzte nicht, doch dicke Tränen liefen ihr über die roten Backen. Ohne ein Wort zu sagen, ließ sie sich von Darrag an der Hand nehmen.

Nach ein paar Schritten blieb der Schmied stehen. Er ging in die Knie und nahm das Mädchen in seine Arme. »Ich will dich nicht ärgern, hörst du. Ich will nur nicht, daß dir etwas passiert draußen.«

»Nie bist du da«, stieß Jorinde stockend hervor. »Immer bin ich allein oder bei anderen Leuten. Und jetzt bringst du mich wieder weg. Du magst mich nicht haben ... am liebsten wäre ich tot.«

»Bitte mein Kleines, versteh mich doch. Ich mache mir Sorgen. Ich muß auf Wache stehen, kommandiere mehr als hundert Bürger und muß ...«

Darrag brach mitten im Satz ab. Wie sollte sie das verstehen. Sie brauchte ihn und mußte laufend erleben, wie er für andere mehr da zu sein schien als für sie. Und dann war auch noch diese verfluchte Puppe weg, die er ihr gemacht hatte.

»Hör mir mal gut zu. Ich bring dich jetzt zu den anderen, und du bleibst brav da. Und wenn du ganz lieb bist, dann werde ich versuchen, ob ich Tinka nicht aus den Händen der Orks befreien kann.«

»Das machst du wirklich?«

Darrag nickte. »Aber nur wenn du jetzt tust, was ich dir sage.«

Darrag drückte sich mit dem Rücken gegen die Mauer und lauschte. Was er hier tat, war vollkommen töricht. Er setzte sein Leben für eine Kinderpuppe aufs Spiel.

Wenigstens war das Wetter günstig. Der Schnee fiel so dicht, daß man kaum sehen konnte, und ein scharfer Wind trieb die eisigen Flocken vor sich her. Bei dem Wetter würden keine Orks unterwegs sein. Sie haben sich bestimmt Feuer gemacht und in den eroberten Häusern verkrochen. Und selbst wenn Wachen ihre Runden drehen sollten, so konnten sie in dieser Finsternis dicht an ihm vorbeigehen, ohne ihn zu sehen.

Darrag drückte sich weiter an der Rückwand seines Hauses vorbei. Er war nahe beim Rondra-Tempel über die Barrikaden geklettert. Von dort aus waren es nur ein paar Schritt bis zu seiner Schmiede. Vorsichtig bog er um die Hausecke und tastete sich bis zu dem Schuppen vor, in dem er Kohle und Brennholz gelagert hatte. Dann bog er noch einmal ab und stand in dem kleinen Hof vor seinem Haus. Wie oft hatte er hier in den Sommern zusammen mit Misira gesessen und den Kindern beim Spielen zugesehen. Der Schmied schüttelte sich. Er durfte sich nicht von sentimentalen Gedanken beherrschen lassen. Angespannt lauschte er, ob irgendwelche Geräusche aus dem Haus zu hören waren. Doch alles schien ruhig.

Tastend suchte er den Riegel und schob dann die mit Eisenbeschlägen versehene Tür auf. Zum Einzug des Herbstes hatte er seine Werkstatt, die er den Sommer über immer offen ließ, mit Holzwänden verkleidet, so daß das Feuer der Esse ihn und seine Gehilfen wärmte.

Vorsichtig schlich er durch den dunklen Raum in die Küche, die hinter der Werkstatt lag. Früher hatte es hier immer nach Eintopfgerichten, gebratenem Fleisch oder süßen Honigkuchen gerochen, doch jetzt war es nur noch kalt. Darrag hatte sich nie die Mühe gemacht zu kochen, nachdem Misira gestorben war. Er war seinen Kindern wohl ein ziemlich schlechter Vater gewesen ...