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Der Schmied biß die Zähne aufeinander und brummte.

Dann griff er nach der Leiter, die hinauf unters Dach zu ihren Schlaf räumen führte.

Seit Misira und Marrad tot waren, hatte er Jorinde nachts immer bei sich im großen Bett schlafen lassen. Vermutlich war die Puppe dort oben geblieben.

Darrag schob seinen massigen Körper durch die große Bodenluke und schaute sich in dem kargen Zimmer um, das er einmal mit Misira geteilt hatte. Die Decken und Felle waren aus dem Bett verschwunden. Cindira hatte gründliche Arbeit geleistet. Außer dem hölzernen Bettgestell, einer leeren Truhe und einem Waffenständer war nichts mehr im Zimmer. Auch keine Puppe!

Darrag ging zu der kleinen Dachkammer wo die Schlafplätze der Kinder gewesen waren. Doch auch dort war nichts zu finden.

Leise fluchte der Schmied vor sich hin. Hatte er das alles für nichts riskiert? Was sollte er Jorinde morgen sagen, wenn sie die Puppe von ihm forderte? Darrag war in das leere Schlafzimmer zurückgekehrt und hockte sich auf den Bettkasten. Er dachte an den Streit, den er mit Marcian gehabt hatte, als der Ritter zum ersten Mal in seine Schmiede gekommen war. Damals hatte der Inquisitor versucht, ihn einzuschüchtern.

Marcian hatte vorgegeben, Darrags Frau und seine Kinder seien in den Händen der Orks und ihnen würde Übles widerfahren, wenn er nicht verraten würde, wo er die Waffen versteckt hielt, die er geschmiedet hatte, bevor die Stadt erobert wurde. Marcian hatte ihn damals nur auf die Probe stellen wollen und ihm hinterher verraten, daß er in Wirklichkeit in Diensten der Inquisition und der KGIA stand.

Aber auf wie schreckliche Weise waren die Lügen des Inquisitors doch noch wahr geworden. Marcian hatte einen Krieg um Greifenfurt entfesselt, der ohne ihn sicherlich nie stattgefunden hätte. Und diesem Krieg waren Misira und Marrad zum Opfer gefallen. Gestorben durch die Hände der Orks, ganz so, wie Marcian an jenem Frühlingstag in seinem makabren Spiel gedroht hatte.

Darrag vergrub leise schluchzend sein Gesicht in den Händen. Es war Marcian! Er war eigentlich dafür verantwortlich, was hier geschah. Er hatte diesen hundertfachen Tod entfesselt ...

Darrag stöhnte. Begann er jetzt wahnsinnig zu werden? Was dachte er da? Das war ein tragischer Zufall und nicht mehr!

Der Schmied richtete sich auf und lauschte in die Nacht. Hatte er etwas gehört oder spielte ihm seine Einbildung einen Streich?

Jemand war durch die Werkstatt in die Küche geschlichen und dort an einen Stuhl gestoßen. Der Schmied zückte seinen Dolch und beugte sich über die Falltür, durch die die Leiter in die Küche führte.

»Vater?«

»Jorinde?« Darrag reckte sich noch weiter vor. Tatsächlich es war seine kleine Tochter. »Was machst du hier?« Hastig kletterte er in die Küche hinab.

»Ich wollte dir sagen, wo du suchen mußt. Ich glaube, Tinka liegt unter dem Bett.«

Beinahe hätte Darrag angefangen, hysterisch zu lachen. Das war grotesk!

»Du hattest mir doch versprochen bei den anderen im Tempel zu bleiben!«

Jorinde wich verlegen seinem Blick aus. »Ich wollte dir nur helfen ...«

Darrag bückte sich und nahm das kleine Mädchen auf den Arm. »Ist ja gut, hörst du? Aber du mußt mir versprechen, solchen Unsinn nicht noch einmal zu machen. Ich will dich doch nicht ärgern, wenn ich dir verbiete, mit mir hierher zu kommen. Ich mache mir nur Sorgen, daß dir etwas passieren könnte.«

Jorinde drückte sich ganz eng an ihn. »Ja, Darra.«

Darrag konnte ihr einfach nicht böse sein.

»Holen wir jetzt Tinka?«

»Ja.«

Der Schmied setzte Jorinde wieder auf den Boden und sah ihr zu, wie sie flink die Leiter hinaufkletterte. Kurz darauf hörte er sie rufen: »Ich hab sie! Sie lag unter dem Bett, wie ich gesagt habe.«

In der Schmiedewerkstatt fiel etwas polternd zu Boden.

Mit einem Schritt war Darrag an der Tür und preßte sich dicht neben dem Eingang zur Küche an die Wand.

»Ich komm jetzt«, tönte es von oben.

Es scharrte an der Leiter, und Jorinde kam herunter. Im selben Augenblick trat ein Ork durch die Küchentür. Er hatte seinen Bogen halb gespannt und trug einen schneebedeckten Wolfspelz über den Schultern.

Langsam zog er die Sehne weiter zurück und zielte auf das Mädchen auf der Leiter. Jorinde konnte ihn nicht sehen und plapperte noch immer fröhlich weiter. Lautstark schimpfte sie mit der Puppe, die so dumm gewesen war, keinen Ton von sich zu geben, als Cindira aufgeräumt hatte. Krachend traf Darrags Faust den Krieger im Nacken. Der Ork taumelte nach vorne. Jorinde drehte sich vom Lärm aufgeschreckt um und begann lauthals zu schreien, als sie den Ork sah.

Der Schmied setzte dem überrumpelten Krieger mit einem Satz nach. Wie ein silberner Blitz schnitt sein Messer durch die Luft. Immer wieder trieb er dem Ork die Klinge in die Brust. Erst das Schluchzen Jorindes brachte ihn wieder zu Verstand.

Das Mädchen war in den kalten Kamin gekrochen und hatte sich dort zusammengekauert.

Darrag ließ das Messer fallen.

»Ist schon gut, meine Kleine. Jetzt ist alles vorbei. Er muß dich gesehen haben, als du hierher gekommen bist.«

Jorinde hatte die Puppe mit dem Strohhaar ganz fest an ihre Brust gepreßt. Wie gebannt starrte sie auf den toten Ork. »Sieh nur ...« Zitternd streckte sie ihre Hand aus.

Darrag drehte sich um und folgte ihrem Blick. Der Pelzumhang des Kriegers war zurückgeschlagen und jetzt konnte man ganz deutlich einen Skalp mit langen, blonden Zöpfen sehen, der von seinem Gürtel hing. Bunte Bändchen, wie sie Kinder trugen, hielten die geflochtenen Zöpfe zusammen.

»Hilga ...«, flüsterte Jorinde. Dann fing sie wieder an zu weinen. Darrag hob sie sanft aus ihrem Versteck und drückte sie fest an sich. Hilga, die Tochter eines Tuchmachers aus der Webergasse, hatten sie heute morgen nicht finden können, als die Orks begannen, diesen Teil der Stadt zu stürmen. Schließlich hatten sie geglaubt, das Mädchen sei alleine bis zur Garnison gelaufen.

Hilga hatte lange, blonde Zöpfe, wie Jorinde und war nur ein paar Wochen älter gewesen. Oft hatten die beiden hier in der Küche gesessen und mit Puppen gespielt oder Misira beim Kochen zugeschaut.

Darrag wurde übel. Wann würde dieser elende Krieg zu Ende gehen? Dieses Gemetzel an Kindern, Kranken und Alten. Hatte die Welt sie denn vergessen?

Noch vor Ende des Sommers ist der Prinz hier, hatte es geheißen. Und jetzt erzählte man ihnen von einer Versorgungsflotte, die den Fluß hinaufkommen sollte. Waren das vielleicht alles Märchen? In ihrer Verzweiflung würden sie beinahe alles glauben? Sollten sie von Marcian nur hingehalten werden, damit sie möglichst lange Widerstand leisteten und die Orks hier nahe der Nordgrenze aufhielten. So würde verhindert, daß die Schwarzpelze sich noch einmal wie im letzten Winter zu einem Marsch ins Herz des Reiches sammelten?

Vielleicht war der Tod von Kindern hier in dieser Stadt Bestandteil einer herzlosen Strategie, die die Offiziere des kaiserlichen Generalstabs ausgebrütet hatten? Man opferte Greifenfurt, um dem Rest des Reiches von den Greueln zu berichten, die hier geschehen waren. So ließe sich vielleicht noch einmal der Kampfeswille von Bauern und Leibeigenen aufrichten, die nach einem Bürgerkrieg und zwei Jahren des Kampfes gegen die Orks müde geworden sein mochten, ihren adligen Lehnsherren in immer neue Schlachten zu folgen.

Jorinde hatte aufgehört zu weinen, und Darrag schob ihr Kopftuch zurück, um über ihr Haar zu streicheln.

»Du mußt jetzt ganz leise sein. Wir werden nun zurück zum Rondra-Tempel schleichen.« Jorinde nickte stumm.

Darrag stieg über den toten Ork hinweg, um in die Werkstatt zu gelangen, dort spähte er durch die Tür, die der Krieger offen gelassen hatte. Zum Glück schneite es noch immer.

Der Schmied stieß die Tür nun vollends auf und begann zu laufen. Der Schnee knirschte leise unter seinen Füßen und dämpfte das Geräusch seiner genagelten Soldatenstiefel. Schnaufend bog er um den Schuppen, als irgendwo rechts von ihm ein Signalhorn erklang. Wie konnten die Wachen ihn nur bei diesem Schneetreiben gesehen haben?