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Ohne zu zögern, rannte Darrag weiter, umrundete sein Haus und hatte schon fast die schneebedeckte Barrikade erreicht, als neben ihm ein Pfeil in den Boden schlug.

»Rondra, sei uns gnädig«, stieß er verzweifelt hervor. »Laß uns nicht wegen einer Puppe sterben!«

Jorinde hatte wieder angefangen zu weinen.

Als sie endlich die Barrikade erreichten, schob Darrag das Mädchen mit einem groben Stoß über die Hindernisse hinweg. Auf der anderen Seite konnte er aufgeregte Stimmen hören. Jorinde war in Sicherheit!

Dann versuchte Darrag Halt zu finden und über die Barrikade zu klettern. Ein umgestürzter Leiterwagen blockierte die Straße. Der Schmied umklammerte einen runden Balken und versuchte sich daran hochzuziehen, doch rutschte er wieder ab. Sie hatten Wasser über die Straßensperren gegossen, und jetzt war alles glatt und mit einem Panzer von Eis überzogen. Zwei Pfeile zischten über ihn hinweg.

»Danke, Rondra«, stammelte der Schmied atemlos. Wäre er nicht abgerutscht, hätten ihn die Geschosse genau in den Rücken getroffen.

»Versuch’s noch einmal, Darrag, ich helf dir«, ertönte eine Stimme hinter der Barrikade.

Vorsichtig richtete der Schmied sich auf. Jemand streckte ihm die Hand entgegen und packte ihn schließlich am Arm.

Ein ganzes Stück neben Darrag schlug dumpf ein Pfeil ein. Der Schmied spannte die Muskeln an und taumelte schließlich über das Hindernis hinweg.

Den Mann, der ihm geholfen hatte, riß er mit sich zu Boden.

»Da habt ihr zwei aber Glück gehabt!« Der graubärtige Gordonius rappelte sich auf und klopfte sich den Schnee von den Kleidern. Einen Moment lang blickte er Darrag scharf an, fragte dann aber nicht, was er mit dem Kind auf der anderen Seite der Barrikade gesucht hatte. Statt dessen setzte Gordonius ein freundliches Lächeln auf und zog ihn aus dem Schnee hoch.

»Wenn du nicht vorhast, hier auf der Straße zu überwintern, würde ich vorschlagen, daß du deine Tochter auf den Arm nimmst und mit mir kommst. Im Hof vor dem Rondra-Tempel steht ein großer Kessel mit Suppe auf dem Feuer. Eine delikate Kreation aus Rattenfleisch, Sägemehl, Haferflocken und sehr viel Wasser ... Aber immerhin ist es heiß, ich bin sicher, ihr werdet begeistert sein.«

Darrag lachte verlegen und blickte zu seiner Tochter. »Ich glaube, wir zwei haben im Moment nichts Besseres vor.« Dann nahm er Jorinde bei der Hand und folgte dem alten Therbuniten.

10

»Ich würde schon gerne wissen, wie du Admiral Sanin dazu gebracht hast, daß er uns seine Kajüte überlassen hat.«

Andra lächelte verschwörerisch. »Das muß wohl mein angeborener Charme sein.« Alrik hatte ihr bis zuletzt nicht glauben wollen, als sie ihm erzählt hatte, daß sie die Nacht vor dem zweiten Angriff auf die Orks in seiner Kapitänskajüte auf dem Flaggschiff Widder verbringen konnte.

»Ganz schön edel, wie so ein Großadmiral lebt. Überall an Bord herrscht drangvolle Enge, aber Markgraf Sanin versteht es, selbst unter diesen Umständen einen Hauch von Luxus um sich zu erhalten. Sieh dir nur diese kostbaren Kerzenhalter an den Wänden an.« Alrik drehte sich langsam im Kreis und musterte dabei die Kajüte.

»Schau dir lieber das Bett an. Für einen Seemann allein scheint mir das recht groß geraten zu sein.«

Andra hatte begonnen, ihre Kleider abzustreifen. Der Sekretär aus kostbarem Holz, die kleinen Ölgemälde an den Wänden und das prächtige, goldverzierte Bett, all das vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen, daß es auch in der Kajüte nur wenig wärmer als draußen war.

Eilig verschwand die Jägerin unter der Decke. Selbst das Bettzeug war eisig und obendrein auch noch ein bißchen feucht.

»Findest du diese Kajüte interessanter als mich?« Noch immer stand Alrik mitten im Raum und schaute sich um. Andra wurde langsam wütend. »Seit wir das Lager in Ferdok verlassen haben, hatten wir keine Gelegenheit mehr allein zu sein. Und was machst du jetzt? Du starrst die Bilder hier an. Wenn dich das alles so sehr fesselt, sollte ich vielleicht gehen.«

Oberst von Blautann errötete. »Entschuldige ... es ist nur ... Ich war schon so lange nicht mehr in einem ...«

»Willst du mir jetzt erzählen, daß du, seit du dich mit Leriella amüsiert hast, in keinem richtigen Schlafgemach warst? Ist dir das drumherum denn so viel wichtiger, als deine Braut?«

Alrik hatte sich auf das Bett gesetzt und beugte sich zu Andra herab.

»Wenn du den Luxus so liebst, warum bist ...«

Der Oberst brachte die Jägerin mit einem leidenschaftlichen Kuß zum Schweigen.

Andra spürte, wie warme Wellen durch ihren Körper pulsierten. Alrik gegenüber würde sie das nie gestehen, doch sie hatte seine Nähe so sehr vermißt wie eine Nachtigall den Frühling. Die Kälte und die Entbehrungen der letzten Tage waren mit einem Schlag vergessen. Hastig öffnete sie die Lederschnallen an den Seiten von Alriks Küraß und knöpfte danach das dicke Wams darunter auf, während der Oberst sich abmühte, die schweren Reiterstiefel loszuwerden.

»Laß das«, stöhnte Andra lustvoll. »Ich will dich sofort.«

»Aber das Bett ...«

»Vergiß das Bett von diesem dummen Admiral. Wer weiß, wer von uns morgen bei Sonnenuntergang noch lebt. Ich will dich noch einmal lieben, alles andere ist unwichtig.«

Alriks Hände schlossen sich um ihre Brüste.

»Nur einmal willst du mich lieben?« Der Oberst grinste.

Statt einer Antwort zog Andra ihn zu sich hinab und küßte ihn hingebungsvoll. Sie wollte für ein paar Stunden alles vergessen. Den Krieg und den Winter, das gräßliche Gemetzel vom Vortag und die Schlacht, die in wenigen Stunden beginnen würde. Vielleicht blieben ihr schon jetzt nur noch weniger Atemzüge, als sie Sonnenaufgänge in ihrem Leben gesehen hatte. Ein Trompetensignal schreckte die Jägerin aus ihren Träumen. Verwirrt schaute sie sich um und betrachtete die kleinen Ölgemälde mit Schiffen und Küstenlandschaften.

Alrik stand schon vor dem Bett und gürtete sich sein Schwert um. »Komm, es ist Zeit ...«

Grausam schnell holte Andra die Erinnerung ein. Die letzten Stunden waren vergessen, dafür war das unangenehme Prickeln zurückgekommen. Die Angst. In der letzten Nacht hatte sie von ihrem Tod geträumt. Vielleicht war das nur eine Reaktion auf das, was sie vorher auf dem Schlachtfeld gesehen hatte, doch ihr Vater hatte Träumen immer große Bedeutung beigemessen, und auch ihr fiel es schwer, dieses böse Omen einfach zu verdrängen.

Alrik hatte sie nichts von alledem erzählt. Überhaupt gab es viel, was der junge Oberst nicht von ihr wußte. Doch das war auch besser so. Er liebte sie, so wie sie war. Wozu sollte sie ihn mit ihrer Herkunft belasten? Vielleicht würde er sie sogar verlassen, wenn er wüßte, daß das Blut, das in ihren Adern floß, nicht allein Menschenblut war.

»Beeil dich. Sie werden nicht auf uns warten.« Alrik war schon angezogen und ging unruhig auf und ab.

Mit einem Seufzer verließ die Jägerin die wohlige Wärme der dicken Wolldecken. In der Kajüte war es noch genauso eisig, wie am Abend zuvor. Hastig schlüpfte Andra in ihre Kleider. Plötzlich zog Alrik sie in seine Arme und küßte sie.

»Ich weiß, daß du Angst hast.«

Verlegen blickte Andra zu Boden, doch Alrik schob ihr sanft seine Hand unters Kinn und hob ihren Kopf, so daß sie ihm wieder in die Augen blikken mußte.

»Das ist nichts, weswegen man sich schämen müßte. Was glaubst du, wie viele stumme Gebete gerade in diesem Augenblick in unserem Lager gemurmelt werden? - Aber das ist nicht das, was ich dir sagen wollte. Bevor wir beide jetzt das Schiff verlassen, wollte ich, daß du weißt, daß ich dich liebe. Bedingungslos. Du bist die Frau, mit der ich den Rest meiner Tage verbringen möchte und ... und es wird nie mehr eine andere in meinem Leben geben. Egal, was gleich passieren wird ... Und wenn ich sterben sollte, dann werde ich selbst nach meinem Tod noch über dich wachen, ganz gleich, wo ich dann sein werde. Ich werde auf dich warten, denn nicht einmal der Tod wird über meine Liebe triumphieren.«