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Andra schluckte. Noch nie hatte der junge Oberst so deutliche Worte für seine Liebe gefunden. Doch seine Todesphantasien erschreckten sie. Sie wollte keinen Toten lieben.

Alrik zog einen kleinen, aus verschlungenen Metallbändchen gefertigten Ring vom Finger und reicht ihn ihr.

»Das ist ein altes Familienerbstück. Man sagt, wer ihn trägt, wird immer zu dem zurückfinden, den er liebt. Nimm ihn. Er soll dich beschützen.«

Noch bevor sie sich bedanken konnte, hatte sich der Ritter auf dem Absatz umgedreht und die Kajütentür geöffnet.

Kalte Luft durchflutete den engen Raum und vertrieb endgültig alle Erinnerung an die letzte Nacht.

Zitternd warf sich Andra ihren schweren Umhang um die Schultern. Für einen kurzen Augenblick betrachtete sie noch einmal den Ring, den sie sich an den Mittelfinger der linken Hand gesteckt hatte. Der Oberst überquerte bereits die Laufplanke, die zum Ufer führte. Er hatte sich nicht einmal nach ihr umgedreht, nachdem er die Kajüte verlassen hatte.

Ärgerlich streifte Andra ihre schweren Stulpenhandschuhe über und verließ die Kajüte.

Obwohl es noch mehr als zwei Stunden dauern mochte, bis die Sonne aufgehen würde, waren bereits alle im Lager auf den Beinen. Die drei Schiffe des Thorwalers Phileasson glitten über das träge dahinfließende Wasser des Großen Flusses. Ab und an konnte Andra helle Eisschollen aufblitzen sehen.

Der harte Frost der letzten Tage hatte den Strom in den Quellregionen zufrieren lassen. Während der wärmeren Tagesstunden brach das Eis dann wieder auf und trieb flußabwärts. Doch die Schollen waren nicht groß genug, um den Schiffen gefährlich zu werden. Ganz im Gegensatz zu den Baumstämmen, die gelegentlich mit der Strömung trieben.

Andra drängte sich zu einem der dichtumlagerten Kessel, bei denen Suppe ausgegeben wurde.

Auf den Kanten alten Brots, den ihr der Fouragier anbot, verzichtete sie. Die dünne Fleischbrühe mußte reichen. Erst gestern noch hatte sie eine alte Kriegerin erzählen hören, daß es besser sei, hungrig in die Schlacht zu ziehen. Sollte man dann eine Bauchverletzung davontragen, wäre der Tod weniger qualvoll.

Gierig schlürfte die Jägerin die Suppe. Die Wärme tat gut.

Gestern hatte dichter Nebel über dem Fluß gelegen. Der günstige Südwind hatte schon nach wenigen Stunden wieder aufgehört zu wehen, und am Abend hatte dichter Schneefall eingesetzt. Die Schiffe auf dem Fluß sahen aus wie die schwimmenden Paläste des Winterkönigs aus den Kindermärchen. Armlange Eiszapfen von bizarrer Schönheit hingen in der Takelage. Ein wenig erinnerten sie an die Reißzähne von Seeschlangen oder noch schrecklicheren Ungeheuern, von denen die Matrosen nachts an den Lagerfeuern erzählten.

Andra lächelte. Ihre Phantasie ging mit ihr durch. Es war höchste Zeit sich um den Braunen zu kümmern. Sie stampfte durch den beinahe kniehoch gefallenen Schnee zur Uferböschung.

Zuviel Schnee, dachte sie sich. Eine Kavallerieattacke war nun nicht mehr möglich. Die Pferde würden nur noch langsam vorankommen. Vielleicht war das aber auch ein Glück? Vielleicht würden die Schwarzröcke unter diesen Bedingungen erst gar nicht mit einem Angriff rechnen.

Sie rutschte die Uferböschung herab und schritt die lange Reihe der angepflockten Pferde ab. Den meisten Tieren waren Decken übergeworfen worden, damit sie die Nacht überstanden. Überall wimmelte es von Rittern und Knechten, die sich um die Pferde kümmerten, sie mit Stroh abrieben und aufzäumten. Andras Brauner schnaubte erfreut und scharrte unruhig mit den Hufen, als ihm die Jägerin die schwere Decke abnahm. Daneben stand Alrik und kümmerte sich um seine große Stute.

Der Ritter vermied es, ihr in die Augen zu blicken.

»Was ist los?« Andra verstand sein Verhalten nicht. Seit sie die Kajüte verlassen hatte, war sie ihm nicht mehr begegnet.

»Ich habe wegen der letzten Nacht ein schlechtes Gewissen«, brummte der Ritter.

Andra war wie vor den Kopf geschlagen. »Tut es dir vielleicht leid? Du kannst gerne deinen Ring zurückhaben. Einen Mann der ...«

»Das ist es nicht.« Alrik hatte sich zu ihr umgedreht. »Ich war eben beim Generalstab. Achtzehn Krieger sind diese Nacht erfroren. Mehr als doppelt so viele werden Beine, Finger oder Füße verlieren, die ihnen erfroren sind. Und wie haben wir die Nacht verbracht? In Sanins warmem Bett, während die meisten draußen vor Kälte nicht schlafen konnten . Ich schäme mich.«

Alrik zog am Sattelgurt und klopfte seiner Stute auf den Nacken. »Ein Offizier sollte nicht besser dran sein als seine Leute, solange die Armee im Feld steht. Sonst wird er das Vertrauen seiner Krieger verlieren. Ich ...«

»Das ist traurig, aber wäre es dir wirklich lieber, die letzte Nacht hätte nicht stattgefunden?« Andra packte den Obristen an der Schulter und zog ihn zu sich herüber.

»Verstehe mich nicht falsch. Ich möchte keinen Augenblick missen, den ich mit dir verbracht habe, und trotzdem fühle ich mich, als hätte ich einen Verrat begangen.« Alrik riß sich los und schwang sich in den Sattel.

»Ich werde meine Schuld wieder abtragen. Ich werde der erste sein, der in das Lager der Orks eindringt, und wenn es mich mein Leben kostet. Egal, was passiert, bei dieser Attacke wird es für mich kein Zurück mehr geben.«

Der Ritter gab der Stute die Sporen und bahnte sich einen Weg durch das Getümmel am Fluß.

Andra war entsetzt. Was war das für ein Mensch? Wollte er sich tatsächlich selber umbringen, nur um diese eingebildete Schuld zu begleichen? Wem würde das nützen? War ihm ihre gemeinsame Zukunft denn völlig gleichgültig?

Andra säuberte ihren Sattel vom Schnee und wuchtete ihn auf den Pferderücken. Der Braune schaute sie mit traurigen, dunklen Augen an. Ob er verstanden hatte, was passiert war?

Die Jägerin griff in einen kleinen Beutel, den sie am Gürtel trug, und holte einige Haferflocken heraus. Vorsichtig fraß der Hengst ihr von der Hand.

»Wäre es nur genauso leicht, diesen Oberst glücklich zu machen ...« Andra murmelte vor sich hin, und der Hengst quittierte ihre Worte mit einem Schnauben. Dann zog die Jägerin den Sattelgurt fest und gesellte sich zu den anderen Reitern, die dem Fluß nach Süden folgten.

Zerwas ritt nur wenige Schritte vom Prinzen entfernt, als die Kavallerie sich vom Hauptlager entfernte. Aufgrund der untadeligen Herkunft des Ritters Rogers, in dessen Gestalt er geschlüpft war, vertraute man ihm blind, sein Wort hatte sogar einiges Gewicht, wie sich in der Offiziersversammlung vor zwei Tagen gezeigt hatte, als er energisch für einen Angriff auf die Stellungen der Orks plädierte.

Trotzdem war Zerwas überaus schlecht gelaunt. Seit dem fehlgeschlagenen Angriff hatte sich keine Gelegenheit mehr ergeben, das kaiserliche Heerlager zu verlassen. Brin hatte die Wachen verdreifachen lassen und Spähtrupps von zwanzig und mehr Kriegern verhinderten, daß die Schwarzpelze auch nur in die Nähe des Lagerplatzes gekommen waren.

Dabei war sein eigenes Spähunternehmen ein solcher Erfolg gewesen. Der Vampir lächelte grimmig und strich über das lange, in Leder eingeschlagene Schwert, das von seinem Sattel hing.

Seulaslintan hatte endlich wieder Blut zu trinken bekommen. Diese Toren, mit denen er auf Kundschaft geritten war, hatten es nicht anders verdient. Überhebliches Pack! Sie in einen Hinterhalt der Orks reiten zu lassen war eine Kleinigkeit gewesen. Während des Gefechts hatte er dann Dämonengestalt angenommen und seine eigenen Krieger niedergemäht. Die abergläubischen Schwarzpelze waren daraufhin laut schreiend davongerannt. Anschließend hatte er Sadrak Whassoi persönlich in seinem Lager aufgesucht. Der Marschall der Orks war der einzige gewesen, der es wagte, ihm die Stirn zu bieten. Nachdem Whassoi sich sicher gewesen war, daß er ihm nichts Böses wollte, hatte er bereitwillig seinen Geist geöffnet, und nun wußte der Ork alles, was es über die kaiserliche Ersatzarmee zu wissen gab.

Zerwas brummte zufrieden vor sich hin. Dieser Tag war wirklich ein Erfolg gewesen. Der Marschall kannte nun die Stärken der einzelnen Truppeneinheiten, er wußte über wie viele Geschütze die Flotte verfügte und an Bord welcher Schiffe sich Magier befanden.