Phileasson schirmte die Augen mit der Hand ab, um über die weißglänzende Schneelandschaft hinweg besser sehen zu können. Jetzt zeichneten sich dunkle Reiter ab, die einen Hügelkamm hinunterkamen. Erst waren es nur wenige, so als würden Späher vorausreiten, doch dann wurden es immer mehr, die wie eine riesige dunkle Welle über die Flanke des verschneiten Hügels galoppierten. Langsam arbeitete sich der Reitertrupp durch den tiefen Schnee Richtung Ange vor. Doch sie ritten zu weit nördlich. Wenn sie diese Richtung beibehielten, würden sie die Schiffsbrücken verfehlen, und es würde noch einmal kostbare Zeit verlorengehen. Der Kapitän drehte sich um und blickte in Richtung der Landzunge. Ein schmaler Waldstreifen lag nördlich der Stellungen der Orks. Von dort erklangen laute Hörnersignale. Vermutlich hatte Sanin nicht länger warten wollen und mit dem Angriff vom Fluß aus begonnen.
Ob er es wagen durfte, auch in sein Hörn zu stoßen, um den Reitern die richtige Richtung zu weisen?
Nein! Das ging auch anders. Phileasson erhob sich aus dem Schnee, in dem er gekauert hatte, und kletterte ein kleines Stück die Hügelflanke hinab, so daß er vom Lager der Orks oder von Spähern auf der anderen Flußseite keinesfalls mehr gesehen werden konnte. Dann zerrte er seinen weiten, blauen Umhang von den Schultern und schwang ihn hin und her.
Für einen kurzen Augenblick konnte er sehen, wie die Reiterkolonne ins Stocken kam. Dann änderten sie ihre Richtung und hielten auf die Behelfsbrücke zu.
Kolon brüllte vor Vergnügen. Es war bestimmt das zehnte Mal, daß er sich mit der Faust auf die linke Handfläche schlug und losjubelte. Diese Trottel hatten beschlossen, ihre Flotte Efferd zu opfern. Es war nicht zu fassen. Die Sonne mochte vielleicht eine halbe Stunde am Himmel stehen, als die gepanzerten Schiffe dicht gefolgt von drei Galeeren, den Strom hinaufkamen. Von den Reitern, die den ersten Angriff begleitet hatten, war nichts zu sehen. Nun, vermutlich war ihnen die fehlgeschlagene Attacke eine Lehre gewesen.
Langsam gewann der Zwerg seine Fassung wieder und brüllte Befehle durch das Lager. Alle Orks waren auf den Beinen, seit man das erste Schiff auf dem Fluß entdeckt hatte. Auch im Hauptquartier am anderen Ufer schien man eifrig damit beschäftigt zu sein, sich auf das Gefecht vorzubereiten.
»Los, facht die Feuer an und macht die ersten Kugeln bereit.«
Kolon lief auf dem breiten Erdwall auf und ab, der sich hoch über den Fluß erhob. Bei jedem Geschütz überprüfte er, ob es korrekt ausgerichtet war. Bedauerlicherweise würden die Schiffe nicht in Reichweite seiner Rotzen kommen, wenn sie nicht versuchten, direkt in die Mündung der Breite einzulaufen. Dafür konnte er sie aber mit fünf Katapulten beschießen lassen.
Zwischen den Geschützen auf dem Wall waren große Feuer entzündet worden. Hier sollten die eisernen und steinernen Geschosse der Katapulte bis zur Glut erhitzt werden. Über Hylailer Feuer verfügten sie zwar nicht, aber die glühenden Kugeln waren wenigstens ein kleiner Ersatz dafür. Außerdem waren Hunderte von Brandpfeilen vorbereitet.
Wieder klatschte Kolon vor Freude in die Hände. Er konnte kaum erwarten, daß die Schiffe auf Schußweite heran waren.
»Sie haben die erste Marke erreicht«, schrie ein Krieger.
»Holt jetzt die leichten Kugeln aus den Feuern!« übertönte Kolons Stimme den Lärm auf dem Erdwall.
Die Geschützbedienungen machten sich mit eisernen Zangen in den Flammen zu schaffen. Rötlich schimmernde Kugeln wurden auf die mit Eisenblech verkleideten Löffel der Katapulte gehoben.
Kolon überprüfte noch einmal die Ausrichtung des Geschützes an seiner Seite. Sorgfältig visierte er das vorderste Schiff an und hob den Arm. Gleich war es auf einer Höhe mit dem unauffälligen Busch am linken Ufer. Der Zwerg lächelte triumphierend. Vor zwei Wochen hatte es diesen Busch noch nicht gegeben. Er hatte die Ufer südlich der Geschützstellungen mit unauffälligen Entfernungsmarken bestückt, um den untalentierten Orks das Zielen zu erleichtern. Obwohl er die besten Geschütze und Krieger aus dem Lager vor Greifenfurt mitgenommen hatte, war er von der Qualität der Truppe alles andere als überzeugt. Wenn auf der anderen Seite nur halb so viele Zwerge stehen würden, wie er Orks hatte, würde man sie in Grund und Boden schießen. Aber dazu würde er es nicht kommen lassen. Jetzt war das erste Schiff auf einer Höhe mit dem kleinen Busch.
»Schießt!« ertönte das Kommando des Zwergen. Mit dumpfem Schlag krachte der Arm des Katapults gegen das lederne Auffangpolster. Fast im selben Augenblick wurden auch die anderen Geschütze abgefeuert. Rund um das vorderste Schiff stiegen Wasserfontänen auf. Ein Ton wie von einem riesigen Gong hallte über das Wasser. Mindestens eine Kugel hatte getroffen!
»Los, ladet nach. Und schlaft nicht bei eurer Arbeit ein.«
Während die Schwarzpelze die nächsten Kugeln aus den Feuern holten, versuchte Kolon zu erkennen, wo das Schiff getroffen worden war. Doch er konnte nicht den kleinsten Schaden ausmachen. Vermutlich waren die Flußschiffe noch zu weit entfernt, als daß man sie ernsthaft beschädigen konnte.
Der Zwerg schüttelte den Kopf. Diese Panzerung an den Schiffen hatte er noch nie gesehen. Vermutlich stammte die von seinen Brüdern aus den Koschbergen. Menschen wären zu so einer hervorragenden Metallarbeit jedenfalls nicht fähig.
»Die Böcke sind bereit.« Der Ork, der das Geschütz zu seiner Rechten befehligte, blickte ihn erwartungsvoll an.
Kolon zögerte. Sollte er vielleicht noch ein wenig warten. Nein! Munition hatten sie mehr als genug. Er würde den Gegner so oft beschießen wie möglich.
»Feuert!«
Wieder flogen die Steinkugeln in hohem Bogen über das Wasser. Diesmal gingen alle daneben. Kolon fluchte, doch insgeheim wußte er genau, wie schwierig es war, mit einem Katapult bewegliche Ziele zu treffen. Nun, das war gleichgültig. Diese schweren Schiffe würden eine Ewigkeit brauchen, um den Fluß hinaufzukommen. Sie hatten nur relativ wenige Ruder an den Seiten, und wenn er die Markierung am Flußufer anpeilte, konnte er erkennen, daß sie kaum mehr als zehn Schritt vorwärts gekommen waren.
»Alle Geschütze fertig!« ertönte es wieder an seiner Seite.
»Gut, schießt.«
Wieder stiegen rund um die Boote Wasserfontänen auf.
Diesmal hatte auch die Batterie auf dem anderen Ufer geschossen. Im selben Augenblick löste sich ein merkwürdiger, unförmiger Gegenstand vom Bug des vordersten Schiffes, flog ein Stück weit über das Wasser und schlug vielleicht zwanzig Schritt vor dem Schiff in den Fluß. Was war das? Kolon kratzte sich den Bart. Ein Leben lang beschäftigte er sich nun schon mit Geschützen, doch so etwas war ihm noch nicht begegnet. Dann verschossen auch die beiden anderen Schiffe ganz ähnliche Gegenstände.
Wie gebannt starrte der Zwerg auf den Fluß. Es schien, als würden Seile oder Ketten an den merkwürdigen Geschossen hängen. Jedenfalls waren sie mit irgend etwas an den Schiffsrümpfen befestigt.
Diesmal waren die Katapultmannschaften am anderen Ufer schneller gewesen. Ihre Salve erfolgte wenige Augenblicke, bevor Kolon den Befehl zu schießen gab. Mit leisem Pfeifen zogen die Steinkugeln steil in den Himmel, um sich dann bedrohlich in Richtung der Schiffe zu neigen.
Diesmal hatte es gleich mehrere Treffer gegeben.
Die Orks ringsherum grölten vor Freude. Einige stießen in ihre Hörner.
»Los, weitermachen! Feiern können wir heute nacht.« Kolon wußte nur zu gut, daß mit den paar Treffern die Schlacht noch lange nicht entschieden war.
Allmählich erwiderten die Schiffe das Feuer. Kugeln, die dünne Rauchfäden hinter sich herzogen, flogen auf seine Stellung zu. Unwillkürlich duckte sich der Zwerg hinter die Brüstung der Erdschanze. Fast im gleichen Moment wurde das Lager auch schon getroffen. Kolon konnte nicht überblicken, wie viele Geschosse ihr Ziel gefunden hatten. An zwei Stellen loderten zwischen den Lederzelten hohe Flammensäulen auf.
»Holt euch Erde und schüttet sie auf die Feuer. Zehn Mann pro Brand und nehmt kein Wasser!«