Plötzlich schlug neben Sanin eine glühende Felskugel auf die Reling. Die Kupferpanzerung wurde eingedrückt, Holz barst, und scharfe Steinsplitter sirrten durch die Luft. Einige der Zwerge schrien gellend auf.
Etwas traf Sanin am Bein. Für einen Augenblick taumelte der hochgewachsene Admiral. Im selben Moment schoß direkt neben dem Geschütz eine helle Stichflamme in die Höhe. Der Admiral spürte einen dumpfen Schmerz am Bein, und um ihn herum schien sich die Wirklichkeit in einen Alptraum zu verwandeln. Humpelnd stolperte er an das andere Ende des Kajütendachs, wo einige Eimer mit Sand standen. Durch die Speigatten lief ein Teil der brennenden Masse an den Kajütenwänden hinab.
»Feuer, Feuer!« gellten die Schreie der Matrosen vom Hauptdeck. Unterdessen versuchten die überlebenden Zwerge den Brand auf dem Dach unter Kontrolle zu bringen. Auch Sanin taumelte auf den Brandherd unmittelbar neben dem Geschütz zu und kippte seinen Eimer in die Flammen. Doch den Flammen schien der Sand nichts anzuhaben.
Wieder erbebte der Schiffsrumpf unter neuen Treffern.
Einige der Matrosen auf dem tiefergelegenen Deck sprangen in Panik in die eisigen Fluten.
Es roch nach ausgeglühtem Metall und verbranntem Fleisch.
Eimer auf Eimer wurde von den Zwergen in das Feuer geschüttet, bis die Flammen schließlich kleiner wurden und dann ganz erloschen. Doch noch immer brannte es auf dem unteren Deck. Auch rings um das Schiff trieben kleine Inseln der brennenden Masse auf dem Wasser. Sanin begutachtete die ausgeglühten Tonscherben neben dem Katapult. Einer der Splitter des glühenden Felsbrockens, der an der Reling zerschellt war, hatte eine der Kugeln mit dem Hylailer Feuer zerstört. Die ölige Masse war ausgelaufen und hatte Feuer gefangen. Das Geschütz jedoch war fast unbeschädigt geblieben.
»Los, schickt Munitionsträger hinunter.«
Die Geschützmeisterin zuckte mit den Schultern. »Glaubt Ihr nicht, daß das zu gefährlich ist?«
»Unsinn! Das war ein Glückstreffer. Das wird schon nicht wieder vorkommen. Außerdem hat uns auch in diesem Fall die Panzerung vor dem Schlimmsten bewahrt. Dieses Schiff trägt den rechten Namen. Unerschütterlich wie ein wilder Widder werden wir gegen die Stellungen der Orks anrennen, bis wir ihnen den Sieg abgerungen haben. Alles andere werde ich nicht dulden! Verstanden?«
Die Zwergin salutierte und schickte einige der Schiffsschützen die Stiegen hinunter, um aus dem Bauch des Widders neue Brandgeschosse an Deck zu holen.
Sanin klammerte sich an der Reling fest. Der Schmerz in seinem Bein wurde immer unerträglicher. Es war ein Pochen, so als säße ein böser Dämon in seinem Schenkel und versuchte, das Fleisch zu zerreissen.
»Admiral, Ihr braucht Hilfe.« Die Geschützmeisterin wollte ihn stützen.
»Zurück!« zischte er böse. »Kümmert Euch um die ernsthaft Verletzten und werft Seile aus, damit die Feiglinge, die ins Wasser gesprungen sind, nicht zu Efferd gehen.«
»Jawohl!« Die Zwergin machte sich an die Arbeit, doch ließ sie Sanin dabei nicht aus den Augen.
Dem Großadmiral wurde übel. Er hatte das Gefühl, als stände er auf dem Deck einer Kogge, die von schwerer See hin- und hergeworfen wurde. Dann begann sich alles um ihn herum zu drehen. Seine Hände glitten von der Reling, und er stürzte der Länge nach auf Deck.
Es hatte mehr als eine Stunde gedauert, die fünfhundert Reiter über die Schiffsbrücke der Thorwaler zu bringen. Die ganze Zeit über war der Lärm der Schlacht in der Ferne zu hören. Sanins verfrühter Angriff erwies sich als Vorteil. Die Schwarzpelze waren dadurch viel zu abgelenkt, um sich noch um das zu kümmern, was hinter ihren Linien geschah.
In eine lange Doppelreihe aufgefächert hatten die Reiter den kleinen Wald nördlich des Orklagers durchquert.
Zerwas wurde immer unruhiger. Nichts würde die Kaiserlichen jetzt mehr aufhalten können, außer vielleicht er selber. Der Vampir tastete nach dem in grobes Leder eingeschlagenem Schwert, das von seinem Sattelknauf hing. Eine unbändige Kraft pulsierte in der Waffe. Sie gierte nach Blut. Irgendwo in dem Wäldchen ertönte ein langgezogenes Hornsignal. Der Prinz riß sein Schwert hoch, und mit gewaltigem Donnern setzten sich die Reiter in Bewegung, um über die verschneite Ebene hinweg das Lager der Orks anzugreifen.
Auch im Lager der Schwarzröcke ertönten nun Schlachthörner. Eilig versuchte man die Geschütze auf dem hohen Erdwall zu drehen, um dem Angriff der Reiter zu begegnen.
»Rache für Greifenfurt!« übertönte der Schlachtruf des Prinzen das ohrenbetäubende Donnern der Pferdehufe, und hunderte von Männern und Frauen nahmen den Ruf auf.
Die Schwerter und Lanzen weit vorgestreckt, fegten die Reiter über die Ebene. Langsam zerriß die einheitliche Kette, die sie beim Anritt gebildet hatten. Die schnellsten hatten bald einen Vorsprung von einigen Pferdelängen, andere strauchelten in verborgenen Schneewehen. Dann schlugen die ersten Geschosse zwischen ihnen in den Schnee. Auch die Geschütze des Lagers auf der anderen Flußseite nahmen sie nun unter Feuer. Vielleicht zweihundert Schritt trennten sie noch von der Stellung auf der Landzunge. Nach hinten hatten sie keinerlei Verteidigungsanlagen. Die Orks mußten sich hier völlig sicher gefühlt haben. Ohne auf irgendwelche Hindernisse zu stoßen, könnten die Ritter sofort zwischen die flachen, runden Lederzelte galoppieren und dann den Erdwall im Sturm nehmen. Zerwas gab seinem Hengst die Sporen. Jetzt oder nie! Es lag allein bei ihm, diesem vernichtenden Angriff die Schlagkraft zu nehmen.
Das Pferd des Prinzen war in einer Schneewehe geraten und strauchelte. Beinahe stürzte Brin aus dem Sattel. Zerwas zog sein Schwert.
Dieser Mann hatte Marcian nach Greifenfurt geschickt. Er war die Hoffnung der Bürger auf Befreiung, und er war auch am Tod Sartassas schuld. Wäre er, wie versprochen, noch im Spätsommer mit seinem Heer vor Greifenfurt erschienen, wäre alles ganz anders verlaufen.
Zerwas fühlte sich wie in einem Rausch. Immer wieder schrie er den Namen Sartassas. Nur wenige Schritt trennten ihn noch vom Prinzen. Die Welt um ihn herum begann zu verschwimmen, und er sah nichts mehr, nur das wettergegerbte Gesicht des jungen Monarchen.
Dann war er an Brins Seite und holte zum tödlichen Schlag aus, doch noch bevor das Schwert sein Ziel treffen konnte, riß es Zerwas die Waffe aus der Hand.
In hohem Bogen segelte Seulaslintan durch die Luft. Sein rechter Arm war zu einer blutigen Masse zermalmt. Der Schmerz raubte ihm beinahe den Verstand. Zerwas preßte den Arm gegen die Brust.
»Verräter!« hörte er jemanden rufen. Reiter umringten ihn. Der Prinz war nicht mehr zu sehen.
Noch immer versuchte der Vampir zu fassen, was geschehen war. Ein Geschoß der Orks mußte seinen Schwertarm getroffen haben.
»Packt den Verräter, wir werden ihn richten!«
Zerwas konnte nicht ganz klar sehen. Vor Schmerz standen ihm Tränen in den Augen. Vage erkannte er die weißen Roben von Rondra-Geweihten. Dazwischen schimmerte es golden. Von dort schien auch die Stimme auszugehen.
Er mußte fort von hier. Er spürte zwar, wie die schreckliche Wunde an seinem Arm schon zu heilen begann, doch konnte er sich noch nicht wehren. Zerwas knurrte wie ein Raubtier und entblößte seine langen Vampirfänge. So würde er nicht zu Grunde gehen!
»Vorsicht, hinter Roger verbirgt sich ein Dämon!« rief eine Frau. Der Kreis um ihn wurde ein wenig weiter.
»Weiche von uns, unseeliger Dämon, und verlasse den Leib, den du geraubt hast, um deine Untaten zu begehen. Gib uns ...«
Der Mann in Gold hatte mit der Litanei einer Dämonenaustreibung begonnen. Zerwas vermochte sein Gegenüber genauer auszumachen. Es war Anshelm. Der Praios-Geweihte hatte sein Sonnenzepter ausgestreckt und intonierte eine alte Abschwörungsformel.
»Geh aus der Seele in das Mark, das da wohnt im Innersten des Gebeins! Geh aus dem Mark ins Bein und aus dem Bein in das lüsterne Fleisch, daß sich dir zum Opfer geboten hat. Und dann verlasse das Fleisch, denn die Macht der Praios gebietet es dir! Verlasse diesen Körper! Und möge er fortan rein und unschuldig sein, so wie er das Licht Deres erblickte. Dich aber möge die Macht meines Gottes in die Finsternis zurückschleudern, aus der du gekommen bist. Gehe jetzt!«