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»Alle Geschütze an Bord sind zerstört. Was sollen wir jetzt tun?« erklang die Stimme der Geschützmeisterin.

»Stütz mich, und hilf mir zu meinem Stuhl zurück«, entgegnete Sanin schwach.

Die Zwergin nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu dem Lehnstuhl. Noch immer konnte der Admiral nicht sehen. Ob er erblindet war? Hätte er der Feuergestalt nur nicht in die Augen gesehen!

»Bleib bei mir.« Sanin hielt die Geschützmeisterin noch immer am Ärmel.

»Du mußt jetzt für mich sehen.«

»Aye, Admiral.«

Sanin war froh, daß die Zwergin keine Fragen stellte.

»Was geht auf dem Achterdeck vor sich? Ich höre dort Geräusche.«

»Wir haben Trossen um die Sperre im Fluß gezurrt und versuchen sie jetzt mit dem Kran über die Wasseroberfläche zu ziehen. Meine Männer stehen schon bereit, um die Barriere zu zerschlagen, sobald sie hochgehievt wird.«

»Und wie sieht es mit den anderen Schiffen aus?«

»Soweit ich erkennen kann, gibt es keine schweren Schäden. Hier auf der Widder haben wir mit Abstand am meisten abbekommen.«

»Gut, dann laß Signal geben, daß die beiden anderen gepanzerten Schiffe hierbleiben, um den Durchbruch zu decken. Wir werden an der Spitze des Konvois den Fluß hinauf segeln. Ohne Geschütze ist die Widder hier nutzlos.« Sanins letzte Worte klangen bitter. Ein Admiral, der nicht mehr sehen kann, nutzt niemandem etwas, dachte er bei sich.

Pfeifend zog ein Felsbrocken über das Kajütendach.

»Die Orks haben das Feuer wieder eröffnet«, kommentierte die Geschützmeisterin.

Vielleicht würde ihn ja noch vor Tagesanbruch ein Pfeil oder ein anderes Geschoß treffen. Dann würde er in die lange Reihe der kaiserlichen Admiräle eingehen, die im Gefecht den Heldentod gefunden hatten, und es bliebe ihm erspart, vom Dienst suspendiert zu werden und womöglich noch auf Jahre als Gefangener in einer Welt der Finsternis zu leben.

11

Lysandra schlug sich den Schnee aus den Kleidern und weckte ihre Gefährten. Es war bitterkalt und die Ausrüstung, die sie bei ihrem überstürzten Aufbruch mitgenommen hatten, reichte bei weitem nicht, um bei dieser Witterung im Freien zu übernachten. Der kleine Wald, in dem sie gelagert hatten, schützte zwar ein wenig vor dem Wind, doch war es hier nicht wärmer als in den Hügeln. Murrend erhoben sich die Männer und Frauen um sie herum aus dem Schnee.

»Laßt uns ein Feuer machen«, brummte der schwarzbärtige Movert, während er seine tauben Finger knetete. »Zwei Tage sind wir jetzt schon unterwegs, und nicht einmal haben wir uns aufwärmen können.«

»Du willst also die Schwarzpelze zu uns einladen!« versetzte Lysandra scharf. »Wahrscheinlich möchtest du erst gemütlich mit ihnen frühstücken und ihnen dann Xarvlesh ausliefern und ...«

»Er hat es nicht so gemeint«, unterbrach die blonde Perdia Lysandra.

»Ist das eine Verschwörung?« Die Amazone stand breitbeinig vor ihren Gefährten. In der Rechten hielt sie die unheimliche Waffe aus dem verschütteten Heiligtum unter der Stadt.

»Entweder ihr greift mich jetzt an, oder ihr sattelt die Pferde. Es ist an der Zeit, daß wir von hier fortkommen. Wir sind schon viel zu lange an einem Ort geblieben.«

Murrend begannen die neun Männer und Frauen ihre Reittiere zu versorgen. Lysandra kaute indessen auf einem Stück Trockenfleisch und behielt sie im Auge. Jede Rebellion würde sie im Keim ersticken. Die lange Zeit in Greifenfurt hatte ihrer Disziplin geschadet. Früher hatte es niemand je gewagt, einen Befehl von ihr in Frage zu stellen.

Unsicher schweifte Lysandras Blick über die Bäume am Rand der verborgenen Lichtung. Nichts war zu sehen. Nicht die große Gestalt, von der sie auch in dieser Nacht wieder geträumt hatte und auch sonst nichts. Außer dem unruhigen Schnauben der Pferde und dem unterdrückten Fluchen ihrer Leute war nur das Pfeifen des eisigen Windes zwischen den kahlen Ästen zu hören. Die Landschaft schien wie erstarrt. Der Schnee war zum Leichentuch geworden.

Lysandra hatte kein gutes Gefühl dabei, an der Spitze der kleinen Kolonne zu reiten. Ihre Freischärler waren Härten aller Art gewohnt, doch irgend etwas ging vor sich. Den ganzen Tag über tuschelten sie miteinander, um jedesmal, wenn sie näher kam, abrupt zu verstummen.

Gerade überquerte der kleine Trupp einen langgezogenen Hügel, als vor ihnen in der Ebene ein Dorf auftauchte. Mißtrauisch musterte die Amazone den dunklen Tannenwald auf dem Hügelkamm, dann spähte sie zum Dorf hinab. Nirgends war ein Lebenszeichen zu sehen. Nicht einmal Rauch stieg aus den Schornsteinen der verschneiten Hütten. Ob Orks in der Nähe waren? Lysandra zügelte ihr Pferd. Sie war sich sicher, daß man sie verfolgte. Aber wie nahe mochten die Schwarzröcke ihnen schon sein? Ihre Ponies würden in dem hohen Schnee nur schlecht vorankommen.

Wieder blickte die Amazone zum Dorf hinab. Vielleicht waren bereits andere Truppen informiert? Was wußte sie schon, welche Möglichkeiten einem Orkschamanen zur Verfügung standen. Womöglich wußten schon längst alle Schwarzröcke diesseits des Finsterkamms von ihrer Flucht gen Osten.

Die anderen Reiter hatten aufgeschlossen und hinter ihr einen weiten Halbkreis gebildet. Lysandra tastete nach der dunklen Keule, die von ihrem Sattelknauf hing. Dann zog sie ihren schweren Reitersäbel. Sie wollte die Waffe der Orks nicht im Kampf benutzen, wer mochte schon wissen, was geschah, wenn der Streitkolben mit Blut benetzt wurde. Er war dem Tairach geweiht gewesen. Lysandra versuchte, die Gedanken an die Waffe zu verdrängen.

»Wer meldet sich freiwillig, um das Dorf auszukundschaften?« Die Amazone blickte in die Runde. »Nun?«

Schweigen. Die Krieger wichen ihren Blicken aus.

»Na schön, dann werde ich also selber reiten. Ich hatte allerdings gedacht, daß ihr ein wenig begeistert sein würdet, wenn ihr ein warmes Quartier für die nächsten paar Stunden vor Augen habt.« Lysandra riß ihr Pferd herum.

»Halt«, rief Movert ihr nach. »Hast du denn das Zeichen im Schnee nicht gesehen?«

»Was?« Die Amazone zügelte ihren unruhigen Hengst.

»Das.« Der bärtige Krieger wies mit ausgestreckter Lanze den Hang hinab. Dort lagen auf einem kleinen Tuch eine Vogelkralle, Knochen und Amulette. Ein Lederband war wie ein Schutzkreis um das Tuch gelegt.

»Was ist das?« In der Stimme der Amazone schwang ein Zittern.

»Orkmagie!« erklang es vom Waldrand. Zwischen den Bäumen tauchte ein eigenartiger Mann auf. Eine Fellkrone mit den Hörnern eines Auerochsen schmückte sein Haupt. Er trug einen Umhang aus dunklem Fell über den Schultern, doch Brust und Arme waren nackt, so als würde ihm die klirrende Kälte nichts anhaben können.

Ein mit Amuletten und bunten Stoffbändchen geschmückter Gürtel hielt seine Hose zusammen. Die Füße des Fremden steckten in abgewetzten Stiefeln.

Langsam kam er vom Waldrand die Hügelflanke hinab. Er schien keine Angst vor ihnen zu haben.

»Wer bist du?« Lysandra hatte Schwierigkeiten, ihr unruhiges Pferd unter Kontrolle zu halten.

Der Mann grinste, und sein bärtiges, wettergegerbtes Gesicht wurde zu einer Maske, durchfurcht von Hunderten kleinen Fältchen. Obwohl sein Bart nicht ein einziges graues Haar zeigte, wirkte er plötzlich sehr alt.

»Was für eine philosophische Frage! Wer bin ich? Was bin ich? Die Antwort darauf suche ich selber schon ein Leben lang.«

»Bist du gekommen, um deine Späße mit uns zu treiben?«

Der Mann zuckte mit den Schultern. »Spaße ich?«

»Was ist das, was da im Schnee liegt?« Lysandra zeigte mit ihrem Säbel auf das Tuch.

»Kurz vor Morgengrauen hat ein Orkschamane hier mit den Geistern gesprochen.«

Lysandra spürte, wie sich sämtliche Härchen an ihrem Körper aufrichteten. Sie mußte wieder an die Gestalt aus ihren Träumen denken.