Noch einmal blickte Wulf kurz auf das spiegelnde Eis. Heute abend würde er um eine Audienz beim Fürst-Erzgeweihten bitten und ihm berichten, was er gesehen hatte.
16
Nervös studierte Gamba die Aufzeichnungen des Alchimisten. Der alte Trottel hatte sich in ein Schwert gestürzt, nachdem die Flotte der Kaiserlichen durch seine Hilfe in Flammen aufgegangen war. So ein Dummkopf! Gamba warf wütend einige Pergamentseiten auf den Boden. Die Gunst Uigar Kais wäre Promos gewiß gewesen, auch wenn der größere Teil der Schiffe doch noch entkommen war.
Gamba dachte an sein letztes Zusammentreffen mit dem Alchimisten. Der Alte hatte ihn nach einem Mädchen gefragt, das angeblich von den Orks gefangen gehalten wurde. Gamba hatte gedacht, Promos wolle ihn veralbern und eine entsprechende Antwort gegeben. Vielleicht war das ein Fehler gewesen. Er hatte dem Alchimisten gesagt, alle Menschenfrauen im Lager seien weniger Gefangene, als vielmehr willige Gespielinnen der Häuptlinge und Krieger. Dasselbe würde auch für die Frauen gelten, die in Khezzara lebten.
Der Alte war darauf ganz blaß geworden, hatte irgend etwas gemurmelt und war in sein Zelt zurückgegangen. Als Gamba ihn nach dem Brand der kaiserlichen Flotte zu seinem Erfolg beglückwünschen wollte, lebte Promos nicht mehr. Er lag in einer Blutlache am Boden des Zeltes und hielt selbst im Tod noch das Kurzschwert umklammert, das er sich in den Bauch gestoßen hatte.
Drei Tage waren seitdem vergangen. Am Morgen hatte Sadrak Whassoi mit der Hauptmacht des Heeres das Lager vor Greifenfurt erreicht. Von den Geschützen, die Kolon gebaut hatte, brachten sie nur wenige wieder zurück. Auch der Zwerg war seit dem Gefecht an der Mündung der Breite verschollen. Vermutlich hatte er im Kampf gegen die Reiter des Prinzen den Tod gefunden. Seinen alten Plan, die Garnison sturmreif zu schießen, konnte man nun endgültig begraben.
Noch immer erhoben sich die Mauern der Burg über den Fluß, auch wenn große Teile der Stadt in Trümmern lagen. Mit den Truppen des Marschalls wären sie eigentlich stark genug gewesen, Greifenfurt trotz des Nachschubs, der mit den Schiffen gekommen war, zu erobern. Doch ihnen fehlte der Zwerg. Sein Wissen über den Bau von Belagerungsmaschinen war nicht zu ersetzen. Die wenigen Katapulte und Rotzen, die noch zur Verfügung standen, würden nicht ausreichen, um einen Sieg zu erzwingen. Deshalb war Sadrak Whassoi auf den Plan verfallen, Hylailer Feuer über die Mauern der Garnison zu schleudern. Der Schwarze Marschall war der Überzeugung, daß die Besatzung in Panik die Festung verlassen würde, wenn erst einmal überall auf den Mauern und in den Höfen Feuer brannten, die auf herkömmliche Weise nicht zu löschen waren. Auch die Tatsache, daß alle Greifenfurter mitangesehen hatten, wie ein Teil der Flotte auf dem Fluß verbrannt war, würde ihnen gewiß keinen Mut machen, gegen das Feuer anzukämpfen.
Mißmutig blickte Gamba über die Papiere, die auf dem Tisch vor ihm lagen. Er war kein Alchimist. Mit dem, was er hier vorgefunden hatte, konnte er nichts anfangen. Er wußte zwar, welche Bestandteile nötig waren, um das Hylailer Feuer herzustellen, doch in welchem Verhältnis man sie mischte, davon hatte er keine Ahnung.
Gamba grübelte eine Weile vor sich hin. Er sah nur eine Möglichkeit, den Wunsch des Marschalls zu erfüllen. Er mußte einen Dämonen beschwören und damit beauftragen, hundert Tonkrüge mit Brandsätzen aus dem Arsenal der Kriegsflotte von Al’Anfa zu stehlen. Das war der einzige Ort, von dem man gewiß sein konnte, daß dort eine größere Menge des gefährlichen Gemischs gelagert wurde.
Aber sollte er es wagen? Jede Dämonenbeschwörung war riskant. Zu oft hatte er in den letzten Monaten schon mit seinem Glück gespielt. Falls die Beschwörung aber gelingen sollte und er dem Marschall diesen beinahe unmöglichen Wunsch erfüllte, hatte er eine eindrucksvolle Demonstration seiner Macht geliefert.
Gamba wußte, daß Sadrak Whassoi den Hohepriester Uigar Kai nicht sehr schätzte. Sicher fürchtete und respektierte der Marschall die Macht des Schamanen, doch sie waren alles andere als Freunde. Gamba hatte schon erlebt, wie sich der Feldherr zähneknirschend den Wünschen des Schamanen gefügt hatte, wenn es darum ging zu entscheiden, an welchen Tagen es günstig sei, sich zur Schlacht zu stellen.
Vielleicht war es sogar möglich, mit dem Marschall ein Komplott gegen den Schamanen zu schmieden? Wenn Uigar Kai nicht mehr lebte, wäre Gamba mit Abstand der fähigste Zauberer im Lager der Orks. In dieser Position würde es nicht schwerfallen, gemeinsam mit Sadrak Whassoi einen Schamanen für das Amt des Hohepriesters auszuwählen, der sich von ihnen beeinflussen ließ.
Wieder dachte Gamba an die herablassende Art, mit der ihn Uigar Kai in jener Nacht behandelt hatte, in der sich Sharraz Garthai das Leben genommen hatte. Ruhig richtete sich der Druide auf, schritt zum Eingang des Zeltes und schlug die Lederplane zurück. Sein Entschluß stand fest. Er würde es noch einmal wagen, einen Dämonen zu beschwören. Damit mochte für ihn der Aufstieg zu ungeahnten Machtpositionen beginnen.
Mit festem Blick musterte der Druide die bläuliche Gestalt im Bannkreis. Der Dämon hatte zunächst getobt und geschrien, weil Gambas Macht ihn gegen seinen Willen nach Dere geholt hatte. Doch nun wurde er ruhiger. Drei große, rote Hörner ragten aus seinem Rücken, und mit geschlitzten, gelben Augen spähte die fremdartige Gestalt im Zelt umher.
»Kannst du mich verstehen?« fragte Gamba laut.
Der Dämon nickte.
»Du bist hier, um mir einen Dienst zu erweisen. Du sollst für mich in dieser Nacht in das Flottenarsenal von Al’Anfa eindringen und mir von dort hundert Krüge mit Hylailer Feuer in dieses Zelt bringen. Hast du verstanden?«
Wieder nickte der Dämon stumm.
»Dann mach dich auf den Weg! Wenn du diese Aufgabe erfüllt hast, werde ich dich aus meinem Bann entlassen.«
Augenblicklich war die Gestalt aus dem doppelten Schutzzirkel verschwunden, den Gamba auf den gestampften Boden seines Zeltes gezeichnet hatte. Obwohl es draußen bitter kalt war, schwitzte der Druide. Der Dämon hatte sich ungewöhnlich schnell gefügt. Ob ihm bei der Beschwörung vielleicht ein Fehler unterlaufen war?
Noch einmal ging er in Gedanken alle Schritte der Anrufung durch. Dann war er sich sicher, keinen Fehler gemacht zu haben! Auch der Auftrag, den er erteilt hatte, war klar und unmißverständlich formuliert gewesen. Vielleicht war er ja schon so mächtig, daß selbst gehörnte Dämonen es nicht mehr wagten, gegen ihn aufzubegehren? Er hatte die richtige Entscheidung getroffen, als er vor Jahren den toten Magier in den Bergen gefunden hatte und damit begann, sein Zauberbuch zu studieren. Der Tote mußte ein mächtiger Dämonologe gewesen sein. Sein Zauberbuch jedenfalls war ein Schatz gewesen. Es hatte ihn von der ersten Stunde an gefangen genommen, und seit diesem Sommertag hatte er sich sehr weit von den Pfaden entfernt, die Druiden für gewöhnlich zu beschreiten pflegen.
Gamba schreckte auf. Unmittelbar neben ihm war aus dem Nichts ein großer, runder Tonkrug erschienen. Sofort darauf stand noch einer im Zelt, und so ging es nun einige Zeit weiter. Der Dämon hatte Al’Anfa erreicht und teleportierte die Krüge ins Zelt, ganz wie er es sich gewünscht hatte. Zufrieden räkelte Gamba sich und dachte an seinen triumphalen Auftritt vor dem Marschall, wenn er ihm berichten konnte, daß das Hylailer Feuer bereit stand.
Ein bläuliches Leuchten erfüllte das Lederzelt. Der Dämon erschien wieder in seinem Bannkreis. Einen Augenblick lang war Gamba vom hellen Licht geblendet.
»Ich hoffe, ich konnte deinen Wunsch zu deiner Zufriedenheit erfüllen«, sprach die Gestalt mit öliger Stimme.
»Gewiß!« Der Druide schirmte seine Augen mit den Händen ab, um besser sehen zu können. Der Dämon hielt irgend etwas in der Hand. Was sollte das?
»Du hast mir nicht verboten, sonst noch etwas aus Al’Anfa mitzubringen, und deshalb habe ich mir die Freiheit genommen, ein ganz persönliches Geschenk für dich zu besorgen.« Die Stimme der Gestalt hatte alle Unterwürfigkeit verloren und wuchs zu einem Donnern an, das die Tonkrüge im Zelt leise klirrend aneinanderstoßen ließ.