Jetzt wußte Gamba, welchen Fehler er gemacht hatte! Er hätte verbieten müssen, mehr als das zu bringen, was er sich gewünscht hatte ... Diese Floskel gehörte zu jeder Beschwörung. Wie hatte er sie nur vergessen können? Jeder, der sich mit Dämonologie beschäftigte, wußte, wie wichtig es war, die Aufgaben der Dämonen genau zu bestimmen, denn diese Wesen aus fremden Spähren versuchten, den Sinn der Worte ihres Meisters so zu verdrehen, daß sie ihm schaden konnten.
Gamba begann zu zittern. Gleichzeitig wurde das intensive Leuchten ein wenig blasser, das von der Gestalt im Bannkreis ausging.
»Nimm nun mein Geschenk!« Die Stimme des Dämons ließ das Zelt erbeben und mußte im ganzen Lager zu hören gewesen sein.
Jetzt konnte der Druide endlich sehen, was die Kreatur in Händen hielt. Eine Fackel und einen weiteren Tonkrug mit Hylailer Feuer! Gamba hastete zum Zelteingang. Hinter sich hörte er das Klirren des Tonkrugs. Ein feuriger Sturmwind, tödlicher als der Atem eines Drachen, traf ihn im Rücken und riß ihn von den Beinen ...
Marcian lehnte gegen die verwitterte Mauer des Turmes nah dem Rondra-Tempel und genoß den warmen Frühlingswind. Sein Blick schweifte über das verwüstete Land rings um die Stadt. Dort, wo noch vor drei Tagen die Orks gelagert hatten, standen jetzt die Zelte und Banner des Reichsheeres. Gestern abend war Prinz Brin mit großem Gefolge in die zerstörte Stadt eingezogen, die einst das stolze Greifenfurt gewesen war.
Der Inquisitor dachte noch einmal an die letzten Monate. Nachdem Cindira auf dem Fluß gestorben war, hatte er sein Kommando an den verwundeten Anshelm abgegeben. Von diesem Tag an schien sich das Blatt zu Gunsten der Verteidiger gewendet zu haben.
Marcian lächelte melancholisch. Vielleicht lag ja tatsächlich ein Fluch auf ihm? Noch bevor Anshelm so weit genesen war, daß er sich wieder von seinem Lager erheben konnte, hatte die Orks ein schweres Unglück getroffen. Eines Nachts war aus unerklärlichen Gründen mitten in ihrem Lager ein schwerer Brand ausgebrochen. Eine riesige Flammensäule hatte sich wohl an die hundert Schritt in den Himmel erhoben, und das Feuer setzte die meisten der Zelte im Hauptlager in Brand. Noch bis in den nächsten Tag hinein brannte das Feuer. Danach war es zu keinem Angriff mit dieser schrecklichen Waffe mehr gekommen.
Nach dem Brand kehrte der Winter mit all seiner Härte zurück. Tagelang tobte ein Schneesturm, dem die Schwarzpelze ohne ihre Zelte schutzlos ausgeliefert waren. Es mußten Dutzende Krieger erfroren sein. Jedenfalls hatte Firun, der Gott des Winters, in diesen Tagen den größten Sieg gegen die Orks errungen.
Viele Bürger sprachen danach davon, daß die Götter ein Zeichen gegeben hätten und sich nun alles zum Guten wenden würde. Der harte Frost hatte auch den Fluß mit einem Panzer aus schillerndem Eis überzogen. Kaum daß der Sturm vorüber war, gelang es den Orks auf diesem Weg in die Stadt einzudringen. Die Schwarzpelze fochten mit dem Mut der Verzweiflung. Sie wußten, daß sie Winterquartiere brauchten, oder verloren waren. Angeführt wurden sie von Sadrak Whassoi und Uigar Kai persönlich.
Es gelang ihnen, den Hügel, auf dem der Platz der Sonne lag, und die östliche Hälfte der Stadt zu erobern. Doch dann war die Wucht des Angriffs gebrochen. Für den Rest des Winters kam es nur noch zu kleineren Scharmützeln.
Marcian hatte in dieser Zeit das Kommando über Lysandras Freischärler geführt. Der wilde Haufen aus Jägern, Bauern und Banditen war die einzige Truppe in der Stadt, die ihn noch als Anführer duldete. Bei ihnen zählte allein die Kraft des Schwertarms. Sie gaben wenig um die Vergangenheit. Vielleicht, weil viele von ihnen selbst manch dunklen Tag zu vergessen hatten. Sie stellten niemals Fragen und waren ein Haufen, in dem jene seltsame Art von melancholischer Fröhlichkeit herrschte, die Menschen an den Tag legten, die jede Stunde so lebten, als wäre es ihre letzte. Der Inquisitor war in das kleine Zimmer eingezogen, in dem vor ihm Lysandra untergebracht gewesen war. Er kannte es noch gut von den Krankenbesuchen, die er der Amazone abgestattet hatte, als sie mit Fieber und Durchfall ans Bett gefesselt war, weil er ihr ein leichtes Gift in ihr Essen rühren ließ. Manchmal verließ er diese Kammer tagelang nicht. Marcian versuchte zu vergessen, was in den letzten Monaten geschehen war, doch Nacht für Nacht quälten ihn Alpträume. Er sah den brennenden Fluß und Scheiterhaufen, der auf seinen Befehl auf dem Platz der Sonne errichtet worden war. Und er sah wie die Bastion an der Ostmauer in Trümmer versank oder wie Darrag mit Tränen in den Augen neben dem Scheiterhaufen stand, auf dem sein Sohn aufgebahrt lag. In seinen schlimmsten Träumen aber erschien ihm Jorinde und Cindira. Um sie herum züngelten Flammen, und sie streckten die Arme aus, so als wollten sie ihn zu sich holen. Doch noch bevor sie ihn berühren konnten, war er bisher jedesmal erwacht. Schweißüberströmt und allein saß er dann bis zum Morgengrauen in seiner Kammer und dachte an das, was er verloren hatte.
Marcian betrachtete sein Spiegelbild in einer Pfütze auf dem Wehrgang der Mauer. Sein Gesicht hatte sich kaum verändert, doch sein ehemals schwarzes Haar war schlohweiß geworden. Auch jetzt, wo er über die grünen Wiesen vor der Stadt blickte, mußte er wieder an Cindira und Jorinde denken und wie sie ihm in seinen Träumen aus den Flammen zuwinkten.
Der Inquisitor wußte, daß Anshelm Nachforschungen über Zerwas anstellte. Er vermutete auch, daß Odalbert und Riedmar, zwei der Zauberer, die ihm als Agenten gedient hatten, Anshelm alles verraten hatten, was sie wußten. Eigentlich mußte der Hochgeweihte ihm den Prozeß machen. Täte er es nicht, würde er gegen die Gelübde seines Ordens verstoßen.
Hätte Marcian damals, als Anshelm mit Zerwas kämpfte nur wenige Augenblicke später ins Horn gestoßen, dann wäre der Praiosgeweihte nicht mehr dazu gekommen, irgendwelche Untersuchungen anzustellen. Aber Marcian wußte, daß er selber noch vor kurzem nicht anders als Anshelm gehandelt hätte. Der Geweihte tat nur seine Pflicht. Vielleicht konnte er ihm ja entfliehen. Sadrak Whassoi hatte nordöstlich der Stadt seine Truppen gesammelt, und in den nächsten Tagen würde es zur alles entscheidenden Schlacht kommen, und dann ergab sich vielleicht eine Möglichkeit zur Flucht.
Marcian blickte nach Norden. Das neue Lager der Orks lag außerhalb seiner Sichtweite irgendwo zwischen den Hügeln. Die letzten Monate mußten bitter gewesen sein. Seit Ende des Winters hatte Hunger im Lager der Orks geherrscht. Von Gefangenen hatten sie erfahren, daß die Schwarzpelze zum Schluß sogar ihre Toten gefressen hatten. Erst vor drei Wochen war wieder ein Wagenzug mit Verpflegung und neuen Truppen über den Finsterkamm gekommen. Zu diesem Zeitpunkt war schon fast die ganze Markgrafschaft in offener Rebellion gegen die Besatzer gewesen. Die Namen der Baroninnen von Greifenberg, Reichsweg und Schattengrund sowie des Barons von Orkenwall waren in aller Munde. Sie hatten sich zu einem Bund vereint und die Schwarzpelze aus den Städten Reichsweg und Orkenwall vertrieben.
Ihnen war geglückt, was ihm verwehrt geblieben war, dachte Marcian. Der Inquisitor blickte über die Ruinen der Stadt. Er war ein ganzes Jahr zu früh gekommen. Die Orks waren noch zu stark gewesen, und so hatte er der Stadt anstelle von Freiheit nur Tod und Verderben gebracht. Aber vielleicht war dieses Opfer auch notwendig gewesen? Die Armee des Schwarzen Marschalls hatte vor Greifenfurt ihre Kampfkraft und ihren Siegesmut verloren.
In den letzten beiden Wochen vor der Befreiung, als Sadrak Whassoi schon wissen mußte, daß Prinz Brin mit einem Heer auf dem Weg nach Greifenfurt war, hatte der Orkgeneral Tag für Tag ihre Stellungen berannt. Haus um Haus, Straße um Straße hatten die Schwarzpelze den Verteidigern in endlosen blutigen Kämpfen abgerungen. Wieder einmal waren die Garnison der Stadtwache und der Rondra-Tempel zu Inseln inmitten einer von Orks besetzten Stadt geworden. Bis fast unter die Mauern der Garnison waren die Schwarzröcke gekommen und hätte der Prinz die Stadt auch nur eine Woche später erreicht, wäre sie vielleicht nach einem Jahr des erbittersten Widerstands doch noch an die Orks verlorengegangen.