»Ich denke, deine Freunde aus der Fuchshöhle reden nicht mehr mit dir. Keine drei Monate lebst du nun mit mir zusammen, und schon stehst du allein in der Welt.«
»Was ist los? Woher diese dunklen Stimmungen?«
Marcian zögerte ... In der Stille war allein das Knistern des Kaminfeuers zu hören. »Ich habe geträumt... ich sterbe, und ich habe immer wieder die Vision von einem Feuer, das Verderben bringt. - Ich will dich nicht mit in den Abgrund reißen. Nicht auch noch dich!«
Cindira nahm ihn in den Arm, und Marcian umklammerte sie mit einer Heftigkeit, daß es beinahe schmerzte.
»Ich bin bei dir«, flüsterte sie leise. »Ich werde immer bei dir sein. - Ich liebe dich.«
»Der einzige Wunsch, den ich noch habe, ist, mit dir in den Süden zu gehen und ein ruhiges Leben auf einem Landhaus oder in einer Villa an der Küste Khunchoms zu führen.«
Marcian atmete schwer. Der Duft von Cindiras langem, dunklem Haar verwirrte und betörte ihn. Wenn diese Nacht doch ewig dauern würde ... Auf immer den Kopf an ihre harten Brüste gepreßt ... das Haupt umspielt von ihrem seidigen Haar, das jetzt in langen Strähnen über sein Gesicht und seine Brust fiel. Oder so zu sterben ... Sie wollte immer bei ihm sein.
»Ich habe Geld. Morgen früh werde ich dir ein Siegel geben ... Das einzige, was ich von meinem Vater besitze. Damit wirst du nach Festum reisen und es dem Handelsherren Stoerrebrandt vorlegen. Er verwaltet mein Geld und ...«
»Gar nichts werde ich ohne dich tun. Wir werden zusammen dorthin reisen.« Zwischen Cindiras Augenbrauen zeigte sich eine steile Falte. »Du wirst mich in diesen Tagen doch nicht alleine nach Norden reisen lassen«, fügte sie dann halb im Scherz hinzu.
»Ich gebe dir Gold. Du sollst mit einer Zofe und Kriegern als Begleitung reisen, wie eine große Dame. Und wenn ich nachkomme, werde ich dir Schmuck und Kleider kaufen, mehr als du tragen kannst. Kostbaren Brokat aus Grangor, Gold- und Silberschmuck aus Unau, dunkle Perlen, wie man sie nur vor der Küste von Jilaskan findet ... Du wirst wie eine Fürstin Hof halten, und ich werde dein erster Diener sein.«
»Mein verliebter Narr.« Cindira strich Marcian durch sein kurzgeschorenes Haar. »Was soll ich damit? Ich will nur dich, und zwar nicht als meinen Diener.« Mit beiden Händen faßte sie sein Gesicht und hob sanft den Kopf des Inquisitors, bis er genau in ihre braunen Augen blickte. »Morgen werden wir zur alten Nana gehen. Sie hat uns bei Lancorian die Kleider gerichtet und manchmal auch gekocht. Nana ist eine weise Frau. Sie soll uns aus der Hand lesen.«
Marcians Blick wurde kalt. »Mit solchem Hexenwerk will ich nichts zu tun haben. Meine Zukunft liegt allein in Praios Hand, und keinem Menschen ist es bestimmt, zu wissen, welches Schicksal seiner harrt.«
Cindira zuckte ein wenig zurück. »Aber ... Ich wollte doch nur wissen, wie viele Kinder wir haben werden. Das ist doch nichts gotteslästerliches.«
Marcian schwieg. Das Gerede von der alten Frau hatte ihn an den nächsten Tag erinnert. Das Gespräch, daß er mit Gordonius zu führen hatte. Noch fiel kein Licht durch den Holzverschlag, der das einzige Fenster des Raums verschloß. Noch gemahnte ihn das Praiosgestirn nicht daran, seine Pflicht zu tun. Würde es nur für immer dunkel sein.
Marcian griff nach Cindiras Handgelenk. Noch immer musterte sie ihn. Er könnte sich selber verfluchen. In solchen Augenblicken hatte er das Gefühl, daß sie Angst vor ihm hatte. Angst vor dem ›lodernden Blick‹, den ihn die Geweihten des Sonnengottes gelehrt hatten. Und Angst vor der Kälte in seinen Worten, hinter der er seine eigenen Gefühle zu verbergen pflegte.
»Bitte, verzeih mir. Wir werden zu dieser Nana gehen. Ich wollte dich nicht verletzen ...«
Cindiras Züge entspannten sich. Sie beugte sich herüber ... lehnte nun ihren Kopf an seine Brust.
»Wann wird dieser Krieg zu Ende sein?« Leise schluchzte sie. »Wann werden wir keine toten Kinder mehr unter Shazars Apfelbäumen beerdigen müssen?«
Marcian spürte ihre Tränen auf seiner Brust.
»Weißt du, daß ich ein Kind von dir unter dem Herzen trage?«
»Was ...«
»Ich wollte es dir nicht sagen ... Ich weiß ja, daß du schon genug Sorgen hast ... aber ich frage mich immer öfter, ob es jemals das Licht des Praios erblicken wird. Ob wir den Winter überleben? Manchmal habe ich sogar die Angst, daß ich ganz alleine sein werde, wenn ich ...«
»Du darfst so nicht reden!« Marcian strich ihr sanft über das Haar. »Im nächsten Frühjahr, noch bevor die Apfelbäume blühen, wird der Prinz vor den Toren der Stadt stehen, und dann sind alle Schrecken vorbei. Ich werde meinen Abschied bei der Inquisition nehmen und ...«
»Du bist ein schlechter Lügner, Marcian.« Cindira hatte ihren Kopf gehoben und starrte ihn jetzt aus tränenroten Augen an. »Wir werden zu Nana gehen, und dann werden wir wissen, was sein wird.«
»Das ist nicht Euer Ernst!« Meister Gordonius war von seinem Sitz aufgesprungen und funkelte Marcian böse an. »Das verbiete ich Euch! In Peraines Namen, Ihr werdet nicht Eure Hand an die Kranken legen.«
»Und wenn ich Euch dafür verhaften muß. Mein Entschluß steht fest. Ich kann weder vor meinem Gewissen noch vor meinem Gott verantworten, daß es so weitergeht. Euch dürfte doch wohl klar sein, was für ein Ende die Sache nimmt, wenn ich nicht eingreife.«
»Nein, das ist mir nicht klar.« Gordonius hob herausfordernd sein Kinn.
»Aber ich bin sicher, Ihr werdet es mir erklären.«
»Selbst Ihr dürftet doch wohl mittlerweile erkannt haben, daß die Kranken im Perainetempel an der Duglumspest leiden.«
»Ihr seid jetzt also unter die Heiler gegangen, Kommandant«, höhnte Gordonius. »Ich denke, den Zustand dieser bedauernswerten Kranken zu beurteilen, fällt wohl eher in mein Fach.«
»Nicht in diesem Fall!«
»Was macht Euch denn so sicher in Eurem Urteil? Wenn Ihr so bewandert in der Lehre der Heilkunst seid, dann müßtet Ihr doch auch wissen, daß nach allen Berichten, die über diese Krankheit existieren, die Infizierten am Ende der siebenten Woche sterben. Die meisten sind nun aber schon seit mehr als neun Wochen in meiner Behandlung. Wie erklärt Ihr Euch diese Diskrepanz?«
»Die Kranken liegen im Tempel der Peraine, das mag die Sache hinauszögern. Aber seht sie Euch doch an. Ich war erst vor einer Stunde dort. Bei den meisten hat sich die Haut schon fast ganz vom Körper geschält. Ich mußte Soldaten abstellen, um zu verhindern, daß die verängstigten Bürger den Tempel niederbrennen. Und selbst für meine Kämpfer kann ich nicht mehr garantieren. Die schrecklichen, unmenschlichen Schreie, die die Kranken ausstoßen, zerren auch an ihren Nerven. Es dauert sicher nicht mehr lange, und sie werden diese Kreaturen dort im Tempel nicht mehr verteidigen. Seht sie Euch doch an, Gordonius, wie sie dort liegen, mit ihrer gräßlichen Dämonenhaut. Was haben sie noch Menschliches an sich? Und gestern hat der erste von ihnen sich selbst entleibt ...«
Der grüngewandete Therbunit wich Marcians Blick aus.
»Wollt Ihr ihnen denn wirklich die letzte Möglichkeit nehmen, ihre Seelen in Borons Hallen zu retten? Versteht Ihr das unter der Verantwortung, die ein Medicus trägt? Begreift Ihr denn nicht? Wenn wir dem nicht ein Ende bereiten, dann werden sie zu Dämonen werden!«
»Dummer Aberglaube! Dafür gibt es keinen Beweis.« Gordonius lief in seiner Wut rot an. »Ich werde nicht dulden, daß Ihr Euch aus purem Eigennutz dem Willen der Mehrheit in dieser Stadt beugt. Und wenn ich mich mit den Kranken im Tempel verbarrikadieren muß! Euren abergläubischen Ängsten werde ich mich nicht beugen. Wo habt Ihr diesen Unsinn überhaupt gelesen?«
»Ihr verhöhnt den Praiosspiegel?«
Schlagartig wich Gordonius alle Farbe aus dem Gesicht.
»Nein ...« Seine Stimme hatte ihre Kraft verloren.
»Und wollt Ihr vielleicht behaupten, im Praiosspiegel stünde auch nur ein unwahres Wort?«
Der grauhaarige Therbunit zögerte.
»Unterstellt Ihr vielleicht, daß die Inquisition sich irrt?« Marcian gab seiner Frage absichtlich einen lauernden Unterton.