Zwei Kämpfende, gekleidet wie alte Samurai, tauchten auf dem Bildschirm auf. Ihre Oberkörper waren mit schwarzen, beweglichen Platten bedeckt. Auf dem Kopf trugen sie einen ovalen, mit zwei langen Federn in Ohrhöhe geschmückten Helm. Sie stürzten mit einem Kriegsschrei aufeinander zu, begannen mit ihren langen Säbeln zu fechten.
Neue Bilder. Ein Mann sitzt auf seinen Fersen und hält mit beiden Händen ein kurzes Schwert gegen seinen Bauch.
»Der rituelle Selbstmord, Seppuku, ist ein weiteres Kennzeichen der japanischen Kultur. Es ist für uns sicher schwer zu verstehen, was .«
»Fernsehen, immer nur Fernsehen! Da wird man blöd von! Ständig werden einem die gleichen Bilder in den Kopf gepfropft. Die erzählen doch nur irgendwas. Habt ihr nicht langsam die Nase voll?« rief Jonathan, der seit einigen Stunden zurück war.
»Laß ihn. Das beruhigt ihn. Seit dem Tod des Hundes ist er nicht ganz auf der Höhe ...«, sagte Lucie mit mechanischer Stimme.
Er streichelte seinem Sohn über das Kinn.
»Geht’s dir nicht gut, Großer?«
»Pst, ich kann nichts hören.«
»Hoppla! Wie redet der jetzt mit uns!«
»Wir redet er mit dir! Du mußt zugeben, er sieht dich nicht sehr oft. Kein Wunder, daß er dir ein wenig die kalte Schulter zeigt.«
»He, Nicolas! Hast du die vier Dreiecke geschafft?«
»Nein, das geht mir auf die Nerven. Ich will zuhören.«
»Na schön, wenn dir das auf die Nerven geht ...«
Jonathan spielte nachdenklich mit den Streichhölzern, die auf dem Tisch liegen.
»Schade. Das ist ... lehrreich.«
Nicolas hörte nicht hin, sein Verstand war direkt an den Fernseher angeschlossen. Jonathan ging in sein Zimmer.
»Was machst du?« fragte Lucie.
»Das siehst du doch, ich packe meine Sachen. Ich gehe wieder hinunter.«
»Was? O nein!«
»Ich habe keine Wahl.«
»Jonathan, sag mir endlich, was gibt es da unten, was dich so fasziniert? Immerhin bin ich deine Frau!«
Er gab keine Antwort. Seine Augen wichen ihr aus. Und immer wieder dieses unschöne Zucken. Des Streitens müde, seufzte sie:
»Hast du die Ratten getötet?«
»Meine bloße Gegenwart reicht, um sie auf Distanz zu halten. Wenn nicht, dann komme ich ihnen damit.«
Er zückte ein großes Küchenmesser, das er ausgiebig geschärft hatte. Mit der anderen Hand ergriff er seine Taschenlampe und ging zur Kellertür, einen Rucksack mit reichlich Proviant und modernstem Schlosserwerkzeug umgeschnallt. Er sagte lediglich:
»Auf Wiedersehen, Nicolas. Auf Wiedersehen, Lucie.«
Lucie wußte nicht, was sie tun sollte. Sie packte Jonathans Arm.
»So kannst du nicht gehen! Das ist zu einfach. Du mußt mit mir reden!«
»Ah, ich bitte dich!«
»Wie soll ich’s dir nur sagen? Du bist nicht mehr derselbe, seit du in diesen verdammten Keller gegangen bist. Wir haben kein Geld mehr, und du kaufst für mindestens fünftausend Francs Material und Bücher über Ameisen.«
»Ich interessiere mich für die Schlosserei und für Ameisen. Das ist mein gutes Recht.«
»Nein, das ist nicht dein Recht. Nicht, wenn du einen Sohn und eine Frau zu ernähren hast. Wenn du das ganze Arbeitslosengeld für Bücher über Ameisen ausgibst, werde ich mich noch .«
»Scheiden lassen? Wolltest du das sagen?«
Niedergeschlagen ließ sie seinen Arm los.
»Nein.«
Er faßte sie an den Schultern. Zuckender Mundwinkel.
»Du mußt mir vertrauen. Ich darf nicht auf halbem Weg stehenbleiben. Ich bin nicht verrückt.«
»Ach nein? Schau dich doch an! Du bist leichenblaß, man könnte meinen, du hast ständig Fieber!«
»Mein Körper altert, mein Kopf wird jünger.«
»Jonathan, sag mir, was da unten vorgeht!«
»Aufregende Dinge. Man muß tiefer gehen, immer tiefer, wenn man eines Tages wieder hinaufkommen will ... Weißt du, das ist wie ein Schwimmbad, erst auf dem Grund findet man Halt, um nach oben zu gelangen.«
Und er brach in ein irres Lachen aus, das noch dreißig Sekunden später unheimlich die Wendeltreppe heraufschallte.
35. OG. Die feine Schicht aus dünnen Zweigen hat die Wirkung eines Kirchenfensters. Die Sonnenstrahlen dringen gleißend durch diesen Filter, um wie ein Sternenregen auf den Boden zu fallen. Wir sind im Solarium der Stadt, der »Fabrik«, in der die belokanischen Bürger erzeugt werden.
Es herrscht eine fürchterliche Hitze. 38°. Das ist normal, das Solarium liegt nach Süden, damit es so lange wie möglich der Glut des weißen Gestirns ausgesetzt ist. Manchmal steigen die Temperaturen durch den Katalysatoreffekt der Zweige auf bis zu 50° an.
Hunderte von Beinen sind in emsiger Bewegung. Am zahlreichsten ist die Kaste der Ammen vertreten. Sie schichten die Eier auf, die Belo-kiu-kiuni gelegt hat. Vierundzwanzig Stapel bilden einen Haufen, vierzig Haufen eine Reihe. Die Reihen verlieren sich in der Ferne. Wenn eine Wolke für Schatten sorgt, verschieben die Ammen die Stapel. Die jüngsten müssen stets gut gewärmt sein. »Feuchte Hitze für die Eier, trockene Hitze für die Kokons«, so ein altes Ameisenrezept, um schöne Junge zu erzeugen.
Links sieht man Arbeiterinnen, die damit beschäftigt sind, schwarze Holzbröckchen zu stapeln, in denen sich die Hitze speichert, und kompostierte Humusstückchen, die Hitze erzeugen. Dank dieser beiden »Radiatoren« weist das Solarium ständig eine Temperatur zwischen 25° und 40° auf, selbst wenn die Außentemperatur nur 15° beträgt.
Artilleristinnen gehen auf und ab. Für den Fall, daß sich ein Grünspecht blicken läßt ...
Rechts erkennt man ältere Eier. Eine lange Metamorphose: Durch das dauernde Lecken der Ammen und der Zeit werden die kleinen Eier größer und gelb. Nach ein bis sieben Wochen verwandeln sie sich in Larven mit goldfarbenen Härchen. Auch das hängt von der Witterung ab.
Die Ammen sind äußerst konzentriert. Sie sparen weder mit ihrem antibiotischem Speichel, noch lassen sie in ihrer Aufmerksamkeit nach. Nicht der geringste Dreck darf die Eier besudeln. Sie sind so zerbrechlich. Selbst die Dialogpheromonen werden auf das Allernötigste beschränkt.
Hilf mir, sie in diese Ecke zu tragen ... Achtung, dein Stapel droht einzustürzen ...
Eine Amme transportiert eine Larve, die doppelt so groß ist wie sie selbst. Bestimmt eine Artilleristin. Sie setzt die »Waffe« in einer Ecke ab und beleckt sie.
In der Mitte dieses weitläufigen Brutkastens schreien Haufen von Larven, deren zehn Körpersegmente sich allmählich abzeichnen, nach ihrem Futter. Sie schütteln den Kopf hin und her, recken den Hals und lamentieren so lange, bis sich die Ammen dazu bequemen, ihnen ein wenig Honigtau oder ein Stück Insektenfleisch zu übergeben.
Nach drei Wochen, wenn sie genügend »gereift« sind, hören die Larven auf zu fressen und sich zu bewegen. Es folgt eine Pause der Lethargie, in der sie sich auf die große Anstrengung vorbereiten. Sie sammeln ihre Energien, um den Kokon auszuscheiden, der sie in Puppen verwandeln wird.
Die Ammen schleppen diese dicken gelben Pakete in einen benachbarten Saal, der mit Sand gefüllt ist, um die Luftfeuchtigkeit zu absorbieren. »Feuchte Hitze für die Eier, trockene Hitze für die Kokons«, man kann es nicht oft genug wiederholen.
In diesem Brutofen wird der weiße Kokon mit dem bläulichen Schimmer gelb, dann grau, schließlich braun. Der Stein der Weisen in umgekehrter Richtung. Unter der Schale vollzieht sich das Wunder der Natur. Alles ändert sich. Nervensystem, Atmungs- und Verdauungsapparat, Sinnesorgane, Panzer .
Die in diesem Brutkasten untergebrachte Puppe wird in wenigen Tagen anschwellen. Das Ei kocht, der große Augenblick naht. Die Puppe, die kurz davor ist, auszuschlüpfen, wird zur Seite gezogen, zu den anderen, die im gleichen Zustand sind. Die Ammen schlitzen behutsam den Schleier des Kokons auf, legen eine Antenne frei, ein Bein, bis eine Art weiße Ameise erscheint, die zittert und wankt. Ihr noch weiches und helles Chitin wird in einigen Tagen so rot sein wie das der anderen Belokanerinnen.