Sie wälzen sich in dem Kompost, biegen ihre Antennenkeulen ruckartig zurück und schlagen einander auf den Schädel. Klack! Klack! Klack! Die Schläge geschehen in der eindeutigen Absicht zu töten. Die Bäuerinnen trennen die beiden.
Was ist denn mit euch los?
Die Gärtnerin flieht. Nr. 56 öffnet ihre Flügel, setzt ihr mit einem wunderbaren Sprung nach und preßt sie auf den Boden. In diesem Augenblick identifiziert sie einen schwachen Felsengeruch. Kein Zweifel, auch sie ist an ein Mitglied dieser unerhörten Mörderbande geraten.
Sie kneift ihr in die Antennen.
Wer bist du? Warum hast du versucht, mich zu töten? Woher kommt dieser Felsenduft?
Schweigen. Sie verdreht ihr die Antennen. Das ist sehr schmerzhaft, die Gärtnerin beginnt zu strampeln, antwortet jedoch nicht. Es ist an sich nicht die Art von Nr. 56, einer Schwesterzelle weh zu tun, dennoch verdreht sie die Antennen weiter.
Die andere rührt sich nicht. Sie ist in die freiwillige Starre eingetreten. Ihr Herz schlägt kaum noch, sie wird bald sterben. Verärgert trennt ihr Nr. 56 beide Antennen ab, aber sie ereifert sich nur noch an einem Kadaver.
Die Bäuerinnen umringen sie erneut.
Was ist los? Was haben Sie mit ihr gemacht?
Nr. 56 denkt, daß dies nicht der Moment ist, sich zu rechtfertigen. Es ist besser, sich aus dem Staub zu machen, was ihr mit einem Flügelschlag auch gelingt. Nr. 327 hat recht. Es spielt sich etwas Unglaubliches ab, Zellen innerhalb des Volkes sind verrückt geworden.
2
Immer tiefer
45. UG: Die 103 683. Geschlechtslose dringt in die Kampfsäle ein. Räume mit niedrigen Decken, in denen die Soldatinnen im Hinblick auf die Frühjahrskriege üben.
Überall duellieren sich Kriegerinnen. Die Kontrahentinnen tasten zunächst einander ab, um ihren Wuchs und die Größe der Beine abzuschätzen. Sie drehen sich, befühlen die Flanken, ziehen sich an den Haaren, scheiden herausfordernde Düfte aus, kitzeln sich mit dem keulenartigen Ende ihrer Antennen.
Schließlich stürmen sie aufeinander ein. Zusammenprall der Panzer. Beide bemühen sich, die Gelenke des Thorax der anderen zu packen. Sobald es einer gelungen ist, versucht die andere, ihr in die Knie zu beißen. Ihre Bewegungen sind ruckartig. Sie richten sich auf den beiden Hinterbeinen auf, stürzen, wälzen sich wütend.
In der Regel verharren sie reglos, wenn sie einmal zugepackt haben, dann plötzlich schlagen sie auf ein anderes Glied. Achtung, das ist nur Training, es wird nichts gebrochen, es fließt kein Blut. Der Kampf ist beendet, wenn eine der beiden Ameisen auf dem Rücken liegt. Dann biegt sie ihre Antennen zum Zeichen der Aufgabe zurück. Trotzdem sind diese Duelle sehr realistisch. Oftmals wird ein Griff in den Augen angesetzt, um Halt zu finden. Die Mandibeln knallen in der Luft zusammen.
In einiger Entfernung sitzen Artilleristinnen auf ihren Hinterleibern und schießen auf Kieselsteine, die fünfhundert Kopf weit weg aufgestellt sind. Nicht selten treffen die Säurestrahlen ihr Ziel.
Eine alte Kriegerin erklärt einer Anfängerin, daß sich alles schon vor dem Zusammenprall entscheidet. Mandibel oder Säurestrahl bestätigen nur eine Überlegenheit, die bereits vorher von den beiden Streitenden anerkannt wird. Schon vor der Auseinandersetzung gibt es unweigerlich einen, der beschlossen hat zu siegen, und einen, der darin einwilligt, besiegt zu werden. Das ist nur eine Frage der Rollenaufteilung. Wenn jeder erst einmal seine Wahl getroffen hat, kann der Sieger einen Säurestrahl abfeuern, ohne zu zielen, er wird ins Schwarze treffen; und der Besiegte kann noch so gut mit den Mandibeln zuschnappen, er wird seinen Gegner nicht einmal verletzen. Ein einziger Ratschlag nur: Man muß den Sieg akzeptieren. Das Ganze ist eine Sache des Kopfes. Man muß den Sieg akzeptieren, und nichts wird einem widerstehen.
Zwei Duellanten rempeln die 103 683. Soldatin an. Sie stößt sie kräftig zurück und geht weiter. Sie sucht das Quartier der Söldnerinnen, das unterhalb der Kampfarena eingerichtet ist. Da ist der Durchgang.
Der Saal ist noch größer als der Saal der Kriegerinnen. Die Söldnerinnen leben allerdings ständig in ihrem Übungsraum. Sie sind nur für den Krieg da. Sämtliche Volksstämme der Gegend sind dort in enger Berührung, verbündete Stämme und unterworfene Stämme: gelbe Ameisen, rote Ameisen, schwarze Ameisen, Leimspuckerinnen, primitive Ameisen mit Giftstachel und sogar Zwergameisen.
Auch das ging auf die Termiten zurück, die Idee nämlich, fremde Bevölkerungen zu ernähren, um sie dazu zu bringen, sich im Falle einer Invasion auf die Seite der Belokanerinnen zu schlagen.
Was die Ameisenstädte anging, war es durchaus schon vorgekommen, daß sie sich aufgrund diplomatischer Feinheiten mit den Termiten gegen andere Ameisen verbündet hatten.
Das hatte folgende Überlegung ausgelöst: Warum nicht einfach Ameisenlegionen aufstellen, die sich ständig in dem Termitenhügel aufhielten? Die Idee war revolutionär. Und die Überraschung war gewaltig, als sich die Ameisenheere Schwestern von ihrer eigenen Art gegenübersahen, die für die Termiten kämpften. In diesem Fall hatte sich die Ameisenzivilisation, die sich so prompt anzupassen wußte, ein wenig übernommen.
Gerne hätten die Ameisen als Reaktion ihre Feinde kopiert und Termitenlegionen gedungen, die gegen Termiten kämpfen sollten. Das Vorhaben scheiterte jedoch an einem kapitalen Hindernis: Die Termiten sind absolute Royalisten. Ihre Loyalität ist unbedingt, sie sind unfähig, gegen Artgenossen zu kämpfen. Einzig die Ameisen, deren politische Systeme ebenso vielfältig sind wie ihre Physiologie, sind in der Lage, all die perversen Verwicklungen des Söldnertums auf sich zu nehmen.
Dann eben nicht! Die großen Ameisenföderationen hatten sich damit begnügt, ihr Heer mit zahlreichen Legionen fremder Ameisen zu verstärken, die samt und sonders unter dem belokanischen Duftbanner vereint waren.
Nr. 103 683 geht auf die gedungenen Zwergameisen zu. Sie fragt sie, ob sie etwas von der Entwicklung einer Geheimwaffe in Shi-gae-pu gehört hätten, eine Waffe, die fähig sei, eine ganze Expedition von achtundzwanzig roten Ameisen blitzartig zu vernichten. Sie antworten, eine solch wirksame Waffe hätten sie noch nie gesehen noch hätten sie je davon gehört.
Nr. 103 683 befragt andere Söldnerinnen. Eine gelbe Ameise behauptet, solch ein Wunder habe sie selbst erlebt. Das sei allerdings keine Attacke der Zwerginnen gewesen, sondern ... eine verfaulte Birne, die unvermutet von einem Baum gefallen sei. Alle brechen in ein schallendes Pheromonenlachen aus. Das ist der Humor der gelben Ameisen.
Nr. 103 683 steigt in einen Saal, wo ihre nächsten Kolleginnen trainieren. Sie kennt sie allesamt persönlich. Man hört ihr aufmerksam zu, man vertraut ihr. Die Gruppe »Suche nach der Geheimwaffe der Zwerginnen« umfaßt alsbald mehr als dreißig entschlossene Kriegerinnen. Ah, wenn Nr. 327 das sähe!
Achtung, eine organisierte Bande versucht alle zu vernichten, die etwas in Erfahrung bringen wollen. Bestimmt rote Söldnerinnen im Dienst der Zwerginnen. Man kann sie identifizieren, sie riechen alle nach Felsen.
Zur Sicherheit beschließen sie, ihre erste Versammlung ganz unten in der Stadt, in einem der tiefsten Säle der fünfzigsten Etage, abzuhalten. Niemand verirrt sich jemals dorthin. Dort dürften sie ungestört ihre Offensive vorbereiten können.
Aber der Körper von Nr. 103 683 signalisiert eine jähe Beschleunigung der Zeit. Es ist 23°. Sie verabschiedet sich und hastet zu ihrem Treffen mit Nr. 327 und Nr. 56.