Sie verläßt ihr Gemach, begegnet Soldatinnen und redet zu ihnen. Sie schlägt vor, Arbeitsgruppen zu dem Thema »eine Geheimwaffe gegen die Geheimwaffe der Zwerginnen finden« zu gründen. Das Volk reagiert positiv auf ihren Stimulus. Überall bilden sich kleine Gruppen von drei bis fünf Soldatinnen, aber auch Arbeiterinnen. Indem sie ihre Antennen zu einem Dreieck oder Fünfeck verbinden, führen sie Hunderte von absoluten Kommunikationen durch.
»Achtung, ich bleibe stehen!« sagte Galin, der wenig Lust verspürte, von acht drängelnden Feuerwehrleuten umgerannt zu werden.
»Das ist vielleicht finster hier! Gebt mir mal eine stärkere Lampe.«
Er drehte sich um, und man reichte ihm eine große Stablampe. Die Feuerwehrleute wirkten nicht gerade gelassen. Dabei hatten sie immerhin ihre dicken Lederjacken und ihre Helme. Warum hatte er auch nicht daran gedacht, sich etwas anzuziehen, das für eine solche Expedition geeigneter war als ein Jackett!
Sie stiegen vorsichtig hinab. Der Inspektor, das Auge der Gruppe, achtete darauf, jeden Winkel auszuleuchten, bevor er einen Schritt machte. Das war zwar langwierig, aber sicherer.
Der Strahl der Stablampe strich über eine Inschrift, die in Augenhöhe in das Gewölbe graviert war.
Untersuche dich selbst.
Hast du dich nicht gewissenhaft gereinigt
Werden dir die chemischen Verbindungen Schaden zufügen.
Unglück dem, der dort unten zu lange verweilt.
Möge, wer zu leicht, davon ablassen.
Ars Magna
»Haben Sie gesehen?« fragte einer der Feuerwehrmänner.
»Eine alte Inschrift, mehr nicht ...«, beschwichtigte Inspektor Galin.
»Hört sich an wie ein Hexenspruch.«
»Jedenfalls wirkt das verdammt tief.«
»Der Inhalt des Satzes?«
»Nein, die Treppe. Sieht aus, als ging das kilometerweit runter.«
Sie setzten den Abstieg fort. Sie waren sicher schon fünfhundert Meter unter der Stadt. Und die Wendeltreppe schraubte sich weiter nach unten. Wie eine DNS-Spirale. Sie bekamen fast einen Drehwurm. Tiefer, immer tiefer.
»Das kann noch ewig so weitergehn«, knurrte einer der Männer. »Wir sind nicht dazu da, Höhlenforschung zu betreiben.«
»Ich hab gedacht, wir sollten bloß jemanden aus einem Keller holen«, sagte ein anderer, der die aufblasbare Trage transportierte. »Meine Frau hat mich um acht zum Essen erwartet, jetzt ist es schon zehn!«
Galin spornte seine Truppe an.
»Hört mal, Jungs, wir haben jetzt über die Hälfte geschafft, also gebt euch einen kleinen Ruck. Wir werden doch nicht auf halber Strecke aufgeben.«
Dabei hatten sie noch nicht ein Zehntel des Weges zurückgelegt.
Nach mehreren Stunden Beratschlagung, es herrscht mittlerweile eine Temperatur nahe 15°, entwickelt eine Gruppe gelber Söldnerinnen einen Vorschlag, der von allen anderen Nervenzentren schon bald als bester anerkannt wird.
Zufällig besitzt Bel-o-kan zahlreiche Söldnerinnen einer etwas sonderbaren Art: die »Samenkornbeißerinnen«. Ihr Hauptmerkmal ist ein sehr dicker Kopf mit langen, geschliffenen Mandibeln, die es ihnen ermöglichen, sogar sehr harte Samenkörner zu durchtrennen. Im Kampf sind sie nicht besonders wirksam, da sie zu kurze Beine unter einem zu schweren Körper haben.
Wozu sich also mühsam zum Ort der Auseinandersetzung schleppen, um dort nur wenig Schaden anzurichten? Die roten Ameisen hatten sie schließlich vornehmlich mit Haushaltsaufgaben betraut, so dem Zuschneiden von dicken Zweigen.
Nach Auffassung der gelben Ameisen gibt es jedoch eine Möglichkeit, diese schweren Tolpatsche in Kriegshelden zu verwandeln. Man braucht sie bloß von sechs kleinen und agilen Arbeiterinnen tragen zu lassen!
So könnten sie sich, indem sie ihre »lebenden Beine« mit Duftstoffen lenken, mit großer Geschwindigkeit auf ihre Gegnerinnen stürzen und sie mit ihren langen Mandibeln zerfetzen.
Einige mit Zucker vollgestopfte Soldatinnen machen im Solarium die ersten Versuche. Sechs Ameisen heben eine Kornbeißerin hoch und laufen los, wobei sie versuchen, ihre Schritte aufeinander abzustimmen. Das scheint sehr gut zu funktionieren.
Die Stadt Bel-o-kan hat den Panzer erfunden.
Sie kamen nicht mehr zurück.
Am nächsten Morgen lautete die Schlagzeile der Zeitungen: »Fontainebleau - Acht Feuerwehrleute und ein Polizeiinspektor auf rätselhafte Weise in einem Keller verschwunden.«
In der rotvioletten Morgendämmerung rüsten die Zwergameisen, die die Verbotene Stadt von La-chola-kan umzingeln, zur Schlacht. Die in ihrem Baumstumpf isolierten roten Ameisen sind ausgehungert und erschöpft. Sie werden sich nicht mehr lange halten können.
Die Kämpfe setzen wieder ein. Nach langen Artillerieduellen erobern die Zwerginnen zwei weitere Kreuzungen. Das von den Strahlen zerfressene Holz speit die Kadaver der belagerten Soldatinnen aus.
Die letzten roten Überlebenden sind am Ende. Die Zwergameisen dringen in die Verbotene Stadt ein. Die in den Rissen der Decke versteckten Schützen halten sie kaum auf.
Das königliche Gemach kann nicht mehr weit sein. Drinnen beginnt die Königin La-chola-kiuni, ihren Herzschlag zu verlangsamen. Jetzt ist alles vorbei.
Aber die am weitesten vorgerückten Truppen der Zwerginnen nehmen plötzlich einen Alarmduft wahr. Draußen geht etwas vor. Sie machen kehrt.
Oben auf dem Hügel mit den Klatschmohnblüten, der die Stadt überragt, sind inmitten der roten Blumen Tausende von schwarzen Punkten zu sehen.
Die Belokanerinnen haben sich also endlich zum Angriff entschlossen. Wenn sie unbedingt wollen. Die Zwerginnen schicken winzige Söldnerinnen los, um die Hauptstadt zu benachrichtigen.
Sämtliche Abgesandte tragen das gleiche Pheromon:
Sie greifen an. Schickt Verstärkung von Osten her, um sie in die Zange zu nehmen. Bereitet die Geheimwaffe vor.
Die Hitze des ersten Sonnenstrahls, der durch die Wolken drang, hat den Entschluß beschleunigt, zum Angriff überzugehen. Es ist 8.03 Uhr. Die belokanischen Einheiten stürmen den Hang hinunter, umkurven Gräser, hüpfen über Steinchen. Es sind Millionen von Soldatinnen, die da mit aufgerissenen Mandibeln losgerannt sind. Das ist ziemlich beeindruckend.
Aber die Zwerginnen haben keine Angst. Sie hatten diese Taktik vorhergesehen. Am Tag zuvor haben sie versetzt Löcher in den Boden gegraben. Sie zwängen sich hinein, lassen nur ihre Mandibeln hinausragen, so daß ihre Körper von dem Sand geschützt sind.
Diese Linie bricht auf Anhieb den Ansturm der roten Ameisen. Die Föderierten fechten vergebens gegen diese Gegnerinnen, die ihnen nur ihre starken Punkte zeigen. Keine Möglichkeit, ihnen die Beine abzutrennen oder den Hinterleib auszureißen.
Im gleichen Augenblick startet das Gros der shigaepuanischen Infanterie, das in der Nähe unter dem Dach eines Rings von Satanspilzen zusammengezogen ist, eine Gegenoffensive, so daß die Roten in die Zange genommen werden.
Wenn die Belokanerinnen Millionen sind, so zählen die Shigaepuanerinnen Dutzende von Millionen. Auf jede rote Soldatin kommen mindestens fünf Zwergameisen, die Kriegerinnen in ihren Löchern, die alles zerkleinern, was in die Reichweite ihrer Mandibeln kommt, nicht mitgerechnet.
Der Kampf entwickelt sich schnell zum Nachteil der zahlenmäßig Unterlegenen. Gelichtet von den Zwerginnen, die von überall her auftauchen, lösen sich die Reihen der Roten auf.
Um 9.36 Uhr treten sie entschieden den Rückzug an. Die Zwerginnen stoßen bereits Siegesdüfte aus. Ihre Kriegslist hat bestens funktioniert. Es ist nicht einmal nötig, die Geheimwaffe einzusetzen! Sie verfolgen diese Armee von Flüchtlingen, betrachten die Eroberung von La-chola-kan als erledigt.