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Die Kornbeißerinnen verdanken ihre Beweglichkeit den sechs Ameisen, die sie tragen. Man braucht bloß diese »lebenden Beine« abzutrennen.

Eine andere Idee steigt auf:

Der Schwachpunkt dieser Maschinen ist, daß sie Schwierigkeiten haben, schnell zu wenden. Dieses Handicap kann man ausnutzen. Wir brauchen uns bloß zu kompakten Blöcken zu formieren. Wenn die Maschinen angreifen, treten wir zur Seite und lassen sie widerstandslos durch. Dann, wenn sie noch in vollem Schwung sind, greifen wir sie von hinten an. Sie werden keine Zeit haben, sich umzudrehen.

Und ein dritter Gedanke:

Die Beinbewegungen sind durch Antennenkontakt aufeinander abgestimmt, wie wir gesehen haben. Wir brauchen bloß hochzuspringen und den Kornbeißerinnen die Antennen abzuschneiden, dann können sie ihre Trägerinnen nicht mehr dirigieren.

Alle drei Ideen werden festgehalten. Die Zwerginnen machen sich daran, einen Schlachtplan aufzustellen.

leiden: Sind Ameisen fähig zu leiden? Auf den ersten Blick nicht. Sie haben kein Nervensystem, das auf diesen Zweck zugeschnitten wäre. Und wo kein Nerv ist, kann es auch keine Schmerzbotschaft geben. Das mag erklären, daß »Ameisenstücke« mitunter noch recht lange, unabhängig vom Rest des Körpers, »leben« können.

Das Fehlen des Schmerzes erschließt eine neue Welt der Sciencefiction. Kein Schmerz, das heißt: keine Angst, vielleicht nicht mal ein Bewußtsein seiner selbst. Lange haben die Insektenforscher folgender Theorie gehuldigt: Die Ameisen leiden nicht, von daher leitet sich der Zusammenhalt ihrer Gesellschaft ab. Das erklärt alles und nichts. Diese Vorstellung hat noch einen weiteren Vorteiclass="underline" Sie enthebt uns jeglicher Skrupel, sie zu töten.

Ein Tier, das nicht leidet ... Nein, mir würde das große Angst machen.

Aber diese Auffassung ist falsch. Denn die enthauptete Ameise sondert einen speziellen Duft ab. Den Duft des Schmerzes. Es passiert also etwas. Die Ameise hat keine elektrische Nervenleitung, aber sie hat eine chemische Leitung. Sie weiß, daß ihr ein Teil fehlt, und sie leidet. Sie leidet auf ihre Art, die sicher ganz anders ist als unsere, aber sie leidet.

Edmond Wells

Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens

Die Kampfhandlungen setzen um 11.47 Uhr wieder ein. Eine lange, dichte Linie von Zwergameisenkriegerinnen rückt langsam zum Sturm auf den Klatschmohnhügel heran.

Die Panzer erscheinen zwischen den Blumen. Auf ein Signal hin stürmen sie den Hang hinab. Die Legionen der roten Ameisen und ihrer Söldnerinnen tänzeln an den Flanken, bereit, das Werk der Kolosse zu vollenden.

Die beiden Armeen sind nur hundert Kopf voneinander entfernt ... Fünfzig ... Zwanzig ... Zehn! Kaum kommt die erste Kornbeißerin mit den Zwerginnen in Berührung, geschieht etwas Unerwartetes. Die dichte Reihe der Shigaepuanerinnen wandelt sich plötzlich in eine punktierte Linie. Die Soldatinnen schließen sich zu Karrees zusammen.

Die Panzer sehen, wie sich der Feind in Luft auflöst, und haben nur noch einen leeren Gang vor sich. Niemand kommt auf die Idee, im Zickzack zu laufen, um mit den Zwergameisen zusammenzuprallen. Die Mandibeln knallen ins Leere, die sechsunddreißig Beine rennen dümmlich weiter.

Ein herber Duft breitet sich aus:

Schneidet ihnen die Beine ab!

Sogleich springen Zwergameisen unter die Panzer und töten die Trägerinnen. Sie ziehen sich schleunigst wieder zurück, um nicht von der niedersinkenden Masse der Kornbeißerinnen zerquetscht zu werden.

Andere werfen sich tollkühn zwischen die Doppelreihe der Trägerinnen und schlitzen mit einer Mandibel den schutzlosen Bauch auf. Eine Flüssigkeit fließt heraus, der Lebenssaft der Kornbeißerinnen ergießt sich auf den Boden.

Andere klettern auf die Kolosse, schneiden ihnen die Antennen ab und springen wieder in voller Fahrt herunter.

Einer nach dem andern brechen die Panzer zusammen. Die trägerlosen Kornbeißerinnen schleppen sich dahin wie Bettlägerige, so daß ihnen die Zwergameisen mühelos den Rest geben können.

Horror! Einige Kadaver aufgeschlitzter Kornbeißerinnen werden von ihren sechs Trägerinnen, die nichts bemerkt haben, lächerlicherweise weitertransportiert ... Jene Kornbeißerinnen, die ihrer Antennen beraubt sind, müssen erleben, daß ihre »Räder« in verschiedene Richtungen rollen und auseinanderbrechen ...

Dieses Debakel läutet das Ende der technologischen Neuerung der Panzer sein. Wie viele große Erfindungen sind auf diese Art aus der Geschichte der Ameise verschwunden, weil die Parade zu schnell gefunden wurde!

Die Einheiten der Roten und ihrer Söldnerinnen, die die Panzerfront flankierten, stehen plötzlich ganz allein da. Sie waren dort aufgestellt, um die Überbleibsel zu erledigen, und nun sind sie zu einem Verzweiflungsangriff verurteilt. Aber die Karrees der Zwergameisen haben sich bereits wieder geschlossen, so hervorragend ist das Massaker an den Kornbeißerinnen abgewickelt worden. Kaum berühren die Belokanerinnen den Rand eines dieser Blöcke, werden sie »angesaugt« und von Tausenden gefräßiger Mandibeln zerlegt.

Die Roten und ihre Söldnerinnen können nur noch zum Rückzug blasen. Sie schließen sich auf dem Kamm wieder zusammen und beobachten die Zwerginnen, die langsam, immer noch in kompakten Blöcken, zum Sturm ansetzen. Ein beängstigender Anblick!

In der Hoffnung, Zeit zu gewinnen, tragen die kräftigsten Soldatinnen Kieselsteine herbei und lassen sie den Hügel hinabrollen. Doch diese Lawine behindert den Vormarsch der Zwerginnen nur unwesentlich. Aufmerksam springen sie zur Seite, wenn die Blöcke heranrauschen, und nehmen sogleich ihren Platz wieder ein. Nur wenige werden zermalmt.

Die belokanischen Legionen suchen verzweifelt nach einer Lösung, aus diesem Schlamassel zu kommen. Einige Kriegerinnen schlagen vor, auf die alten Kampftechniken zurückzugreifen. Warum nicht ganz einfach die Artillerie einsetzen? Sicher, seit Beginn der Kampfeshandlungen haben sie die Säure, die in einem Handgemenge ebenso viele Freunde wie Feinde tötet, kaum verwendet, aber gegen die dichten Blöcke der Zwerginnen dürfte man damit großen Erfolg haben.

Die Artilleristinnen gehen schnell in Gefechtsposition: fest verankert auf den vier Hinterbeinen, den Hinterleib nach vorn geknickt. So können sie nach rechts und links und nach oben und unten schwenken und den besten Schußwinkel auswählen.

Die Zwergameisen, im Augenblick unmittelbar unter ihnen, sehen Tausende von Hinterleibern, die sich über den Kamm schieben, aber sie ziehen nicht sofort den richtigen Schluß. Sie haben gerade Anlauf genommen, haben beschleunigt, um die letzten Zentimeter des Hangs zu bewältigen.

Angriff! In geschlossenen Reihen!

Ein einziger Befehl, ein einziges Wort schallt durch das gegnerische Lager:

Feuer!

Die nach vorn gerichteten Bäuche spritzen ihr ätzendes Gift auf die Blöcke der Zwerginnen. Pfff, pfff, pfff. Die gelben Strahlen zischen durch die Luft, peitschen der ersten Reihe von Angreiferinnen voll entgegen.

Als erstes schmelzen die Antennen. Sie tröpfeln auf die Schädel. Dann verteilt sich das Gift auf den Panzern, löst sie auf, als wären sie aus Plastik.

Die gemarterten Körper sinken zusammen und bilden eine schmale Sperre, die die Zwerginnen ins Straucheln bringt. Wütend fassen sie sich, stürmen erneut auf den Kamm zu.

Oben hat eine Reihe roter Artilleristinnen den Platz ihrer Vorgängerinnen eingenommen.

Feuer!

Die Blöcke brechen auseinander, aber die Zwerginnen rücken weiter vor, trampeln über die weichen Toten hinweg.

Eine dritte Artillerie-Reihe. Die Leimspuckerinnen gesellen sich zu ihnen.

Feuer!