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Eine ihrer Königinnen ... Ihr ist also ein beträchtlicher Teil der Zukunft dieser unverbesserlichen Eindringlinge in die Klauen geraten. Sie mag die Ameisen nicht. Sie hat gesehen, wie ihre Mutter von einer Horde roter Wanderameisen gejagt wurde ...

Sie schielt ihr Opfer an, das sich verzweifelt wehrt. Dumme Insekten, nie kapieren sie, daß ihr schlimmster Feind die Panik ist. Mit jedem Versuch, sich loszumachen, verwickelt sich die geflügelte Ameise nur noch mehr in der Seide ... Und verursacht dabei Schäden, die die Spinne ärgert.

Bei Nr. 56 weicht die Wut der Niedergeschlagenheit. Sie kann sich praktisch nicht mehr rühren. Ihr ganzer Körper ist von der Seide umwickelt, und jede Bewegung läßt ihre Verpackung noch dicker werden. Sie kann es nicht fassen, so dumm zu scheitern, nachdem sie so viele Prüfungen überstanden hat.

In einem weißen Kokon wurde sie geboren, in einem weißen Kokon wird sie sterben.

Die Spinne rückt noch näher, schaut sich dabei die beschädigten Fäden an. So kann Nr. 56 aus nächster Nähe ein prächtiges orangeschwarzes Tier sehen, das mit acht grünen Augen ausgestattet ist, die wie eine Krone auf dem Kopf verteilt sind. Solche hat sie schon gegessen. Jeder ist mal an der Reihe, zum Frühstück verzehrt zu werden . Und die da, die hört nicht auf, noch mehr Seide auf sie draufzuspucken!

Man kann seine Beute nie gut genug verschnüren, sagt sich die Spinne ihrerseits. Danach stellt sie zwei beunruhigende Giftzähne zur Schau. Doch in Wirklichkeit töten die Arachniden nicht, jedenfalls nicht sofort. Da sie lieber zuckendes Fleisch verzehren, töten sie ihr Opfer nicht, sondern betäuben es mit einem einschläfernden Gift und wecken es nur, um ein wenig daran zu knabbern. Auf diese Art haben sie ganz nach Belieben frisches, unter der seidenen Verpackung gut geschütztes Fleisch. Ein solches Mahl kann eine Woche dauern.

Nr. 56 hat von dieser Gepflogenheit gehört. Sie erzittert. Das ist schlimmer als der Tod. Nach und nach alle Gliedmaßen amputiert bekommen ... Bei jedem Aufwachen wird einem etwas abgerissen, und dann wird man wieder eingeschläfert. Jedesmal bleibt ein bißchen weniger übrig, bis zur Stunde der letzten Verstümmelung, wenn die lebenswichtigen Organe abgerissen werden und man endlich den befreienden Schlaf findet.

Lieber sich selbst zerstören! Sie meidet den schrecklichen Anblick der allzu nahen Gifthaken und schickt sich an, ihren Herzschlag zu verlangsamen.

In diesem Moment prallt eine Eintagsfliege mit solchem Schwung gegen das Netz, daß die seidenen Kanten sie sogleich umschließen, fest verpacken ... Vor wenigen Minuten erst ist sie zur Welt gekommen, und in wenigen Stunden wäre sie vor Altersschwäche gestorben. Ein Leben von einem Tag, das Leben einer Eintagsfliege. Sie mußte schnell handeln, ohne nur den Bruchteil einer Sekunde zu verschenken. Wie würde man wohl sein Leben ausfüllen, wenn man wüßte, daß man am Morgen geboren wird, um noch am gleichen Abend zu sterben?

Ihrem zweijährigen Larvendasein kaum entronnen, macht sich die Eintagsfliege auf die Suche nach einem Weibchen, um sich fortzupflanzen. Die vergebliche Suche nach Unsterblichkeit durch Nachkommenschaft. Dieser eine Tag, den die Eintagsfliege zu leben hat, wird nur von dieser Suche bestimmt. Sie denkt nicht an Essen, nicht an Ruhe, nicht daran, wählerisch zu sein. Ihr Hauptgegner ist die Zeit. Jede Sekunde ist für sie ein Widersacher. Und neben der Zeit ist selbst die fürchterliche Spinne nur ein retardierendes Moment und kein spezieller Feind.

Sie spürt, daß das Alter mit großen Schritten in ihrem Körper fortschreitet. In einigen Stunden wird sie senil sein. Sie ist erledigt. Sie ist umsonst geboren. Welch unerträgliches Scheitern ...

Die Eintagsfliege wehrt sich. Das ist das Problem mit den Spinnweben: Wenn man sich bewegt, ist man erst recht dran, doch wenn man sich nicht bewegt, kommt man auch nicht davon ...

Die Spinne eilt herbei und verpaßt ihr ein paar Extrafäden. Damit hätte sie also eine doppelt fette Beute, die ihr die nötigen Proteine liefern wird, um gleich morgen ein zweites Netz zu spinnen. Aber als sie sich erneut anschickt, ihr Opfer einzuschläfern, nimmt sie ein ganz anderes Vibrieren wahr. Ein ... intelligentes Vibrieren. Tip tip tiptiptip, tip tip tiptip. Ein Weibchen! Es bewegt sich auf einem Faden, und es klopft darauf, um ein Signal zu geben: Ich bin dein, ich komme nicht, um deine Nahrung zu stehlen.

Das Männchen hat noch nie etwas so Erotisches verspürt wie dieses Vibrieren. Tip tip tiptiptip. Ah, es hält es nicht mehr aus, es läuft auf sein Liebchen zu (ein blutjunges Ding, das sich erst viermal gehäutet hat, während es das Männchen auf zwölfmal bringt). Es ist dreimal so groß wie das Männchen, aber das ist jenem gerade recht, er liebt die Dicken. Er deutet auf die beiden Opfer, mit denen sie später neue Kräfte schöpfen können.

Dann begeben sie sich in Position, um sich zu paaren. Das ist bei der Spinne recht kompliziert. Das Männchen hat keinen Penis, sondern eine Art doppeltes Genitalgeschütz. In aller Eile errichtet es eine Zielscheibe, ein Mininetz, und bespritzt es mit seinen Keimzellen. Es befeuchtet eines seiner Beine daran und steckt es in das Rezeptakulum des Weibchens. Das macht es mehrmals in starker Erregung. Die junge Schönheit hat sich ihrerseits in eine solche Selbstvergessenheit gesteigert, daß sie sich plötzlich nicht mehr beherrschen kann, sie packt den Kopf des Männchens und zerbeißt ihn.

Da wäre es dumm, nicht auch den Rest zu verzehren. Nun gut, kaum fertig, hat sie immer noch Hunger. Sie stürzt sich auf die Eintagsfliege und macht deren Leben noch kürzer. Dann wendet sie sich der Ameisenkönigin zu, die angesichts der nächsten Spritze in Panik gerät und anfängt zu zappeln.

Kein Zweifel. Nr. 56 hat Glück, denn der Auftritt einer weiteren Figur, die geräuschvoll am Horizont her auftaucht, kehrt alles um. Es handelt sich wieder um eines dieser Tiere aus dem Süden, die sich kürzlich nach Norden ausgebreitet haben. Ein recht dickes Tier, ehrlich gesagt, ein einhörniger Maikäfer oder auch Coleopterus rhinoceros. Er rauscht mitten in das Netz, dehnt es, als wäre es Leim ., und zerreißt es. Ein Netz von 95:10, das hält gut, solange man nicht übertreibt. Das schöne Seidendeckchen zerplatzt in wehende Strähnen und Fetzen.

Das Spinnenweibchen hat sich bereits an seinem Faden abgeseilt. Die Ameisenkönigin, von ihrer weißen Zwangsjacke befreit, krabbelt unauffällig über den Boden, unfähig, wieder abzuheben.

Aber die Spinne ist mit den Gedanken woanders. Sie klettert einen Ast hinauf, um dort eine seidene Krippe zu bauen, in der sie ihre Eier legen wird. Wenn ihre Dutzende von Jungen schlüpfen, werden sie nichts Eiligeres zu tun haben, als ihre Mutter aufzufressen. So ist das bei den Spinnen, da kennt man kein Dankeschön.

»Bilsheim!«

Er riß den Hörer zur Seite, als wäre er von einem Tier gestochen worden. Seine Chefin ... Solange Doumeng.

»Ja?«

»Ich hatte Ihnen Anweisungen erteilt, und Sie haben noch nichts getan. Was treiben Sie? Wollen Sie warten, bis die ganze Stadt in diesem Keller verschwunden ist? Ich kenne Sie, Bilsheim, Sie denken nur daran, sich auszuruhen! Ich kann Faulpelze nicht ausstehen! Und ich verlange, daß Sie diese Angelegenheit binnen achtundvierzig Stunden klären!«

»Aber, Madame ...«

»Nichts da, kein >aber Madamec! Ihre Leute haben Anweisung von mir erhalten, Sie brauchen bloß morgen früh mit ihnen da runterzugehen, das nötige Gerät ist an Ort und Stelle. Also, bewegen Sie Ihr faules Hinterteil, verdammt noch mal!«

Er fühlte sich plötzlich gestreßt. Seine Hände zitterten. Er war kein freier Mann. Warum mußte er gehorchen? Um der Arbeitslosigkeit zu entgehen, um nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein. Der einzige Weg, wie er sich jetzt und hier seine Freiheit vorstellen konnte, bestand darin, sich als Clochard zu präsentieren, und dafür fühlte er sich noch nicht bereit. Sein Ordnungssinn und seine Sozialisation gerieten in Fehde mit seinem Wunsch, sich nicht dem Willen anderer zu beugen. Und auf dem Schlachtfeld, das heißt in seinem Magen, bildete sich ein Geschwür. Sein Ordnungssinn siegte über die Lust auf Freiheit. Er gehorchte.