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Der Trupp der Jägerinnen hält sich hinter einem Felsen versteckt und beobachtet die Eidechse. Sie mißt gut sechzig Kopf (achtzehn Zentimeter). Ihr steinharter, grüngelb schimmernder und mit schwarzen Flecken übersäter Panzer erzeugt Angst und Abscheu. Nr. 103 683 hat den Eindruck, daß diese Flecken die Blutspritzer all der Opfer dieses Sauriers sind.

Wie vorhergesehen, wird das Tier steif vor Kälte. Es schreitet voran, aber wie in Zeitlupe; man könnte meinen, es zögere, bevor es den Fuß irgendwo aufsetzt.

Kurz bevor die Sonne erscheint, wird ein Pheromon losgelassen.

Angriff!

Die Eidechse sieht sich von einer ganzen Armee kleiner schwarzer Wesen überfallen, die sich über sie ergießen. Sie richtet sich schwerfällig auf, öffnet ein rosiges Maul, in dem eine flinke Zunge tanzt, die die Ameisen peitscht, die sich am weitesten vorgewagt haben. Dann macht sie einen kleinen Rülpser und verschwindet blitzschnell.

Die Jägerinnen, um dreißig der Ihren dezimiert, bleiben verdutzt, wie benommen zurück. Dafür, daß es bereits von der Kälte betäubt war, hatte das Tier noch einiges an Reserven!

Nr. 103 683, die man wahrlich nicht der Feigheit bezichtigen kann, sagt als eine der ersten, daß ein Angriff auf ein solches Tier Selbstmord ist. Die Festung scheint uneinnehmbar. Die Haut der Eidechse ist ein Panzer, dem man weder mit Mandibeln noch mit Säure etwas anhaben kann. Und ihre Größe, ihre Flinkheit selbst bei geringen Temperaturen verleihen ihr eine nur schwer auszugleichende Überlegenheit.

Dennoch geben die Ameisen nicht auf. Wie eine Meute winziger Wölfe stürzen sie sich auf die Fährte des Ungetüms. Sie huschen unter den Farnpflanzen umher und geben drohende, den Geruch des Todes verströmende Pheromone von sich. Das erschreckt im Augenblick nur die Nacktschnecken, hilft den Ameisen jedoch, sich furchterregend und unverwundbar zu fühlen. Ein paar tausend Kopfweiter finden sie die Eidechse wieder, sie klebt an der Rinde einer Fichte, vermutlich damit beschäftigt, ihr Frühstück zu verdauen.

Sie müssen handeln! Je länger sie warten, um so mehr Energie gewinnt sie! Wenn sie schon in der Kälte so schnell ist, wird sie schier übermächtig sein, wenn sie erst einmal mit Sonnenkalorien vollgestopft ist. Antennenberatung. Es gilt, einen Angriff zu improvisieren. Eine Taktik wird ausgearbeitet.

Eine Schar Kriegerinnen läßt sich von einem Ast auf den Kopf des Tieres fallen. Sie versuchen es zu blenden, indem sie in seine Lider beißen, und beginnen, seine Nasenlöcher anzubohren. Aber dieses erste Unternehmen schlägt fehl. Die Eidechse wischt sich mit einem wütenden Bein das Gesicht ab und verschlingt die Nachzügler.

Die zweite Angriffswelle läuft bereits. Fast in Reichweite der Zunge schlagen sie einen weiten und überraschenden Bogen ..., um sich jäh auf den Stumpf des Eidechsenschwanzes zu stürzen. Wie sagt die Königin: Jeder Gegner hat seinen Schwachpunkt. Finde ihn, und dann greife nur diese Schwäche an.

Sie öffnen die Narbe, indem sie sie mit Säure verätzen, und strömen in das Innere des Sauriers, fallen in seine Gedärme ein.

Er rollt sich auf den Rücken, strampelt mit den Hinterbeinen, reibt sich den Bauch mit den Vorderbeinen. Schmerzen wie von tausend Geschwüren martern ihn.

Im nächsten Moment verschafft sich eine andere Gruppe endlich Zugang zu den Nasenlöchern, die sogleich mit brühheißen Strahlen geweitet und ausgehöhlt werden.

Knapp darüber greifen andere die Augen an. Sie bringen diese weichen Kugeln zum Platzen, aber die Höhlen erweisen sich als Sackgassen. Das Loch des Sehnervs ist zu schmal, als daß man auf diesem Weg das Gehirn erreichen könnte. Also schließt man sich den Truppen an, die bereits weit in die Nasenlöcher vorgedrungen sind .

Die Eidechse krümmt sich, schiebt ein Bein in ihr Maul, um die Ameisen zu zerquetschen, die ihren Schlund durchbohren. Zu spät.

In einem Winkel der Lunge trifft Nr. 4000 ihre junge Kollegin Nr. 103 683 wieder. Es ist finster darin, und sie sehen nichts, denn die Geschlechtslosen haben keine Infrarot-Ozellen. Sie führen die Spitzen ihrer Antennen zusammen.

Komm, brechen wir zu dem Termitenhügel im Osten auf, solange unsere Schwestern beschäftigt sind. Sie werden glauben, wir seien im Kampf gefallen.

Sie nehmen den gleichen Weg, auf dem sie gekommen sind, durch den mittlerweile stark blutenden Schwanzstumpf.

Morgen wird der Saurier in Tausende von schmackhaften Happen zerlegt. Einige werden mit Sand bedeckt und nach Zubi-zubi-kan transportiert werden, andere werden sogar nach Bel-o-kan gelangen, und man wird einen Bericht von epischer Breite erfinden, um diese Jagd zu schildern. Die Zivilisation der Ameisen ist darauf angewiesen, sich in ihrer Stärke zu bestätigen. Eine Eidechse zu besiegen ist eine Errungenschaft, die sie ganz besonders beruhigt.

Kreuzung: Es wäre ein Fehler, zu glauben, die Nester seien für Fremde unzugänglich. Sicher, jedes Insekt trägt den Geruchsstempel seiner Stadt, ist jedoch nicht in dem Sinne »xenophob«, was man bei den Menschen darunter versteht.

Wenn man zum Beispiel in einem mit Erde gefüllten Aquarium hundert Ameisen formica rufa mit hundert Ameisen lazius niger zusammenbringt - unter denen jeweils eine fruchtbare Königin ist -, stellt man fest, daß die beiden Arten nach einigem Geplänkel ohne Tote und langen Antennendiskussionen dazu übergehen, gemeinsam ihren Ameisenhaufen zu bauen.

Einige Gänge sind der Größe der roten, andere der Größe der schwarzen Ameisen angeglichen, aber sie kreuzen einander und verschlingen sich, so daß als bewiesen gelten darf: Es gibt keine dominierende Art, die versuchen würde, die andere in ein bestimmtes Viertel der Stadt, in ein Ghetto zu sperren.

Edmond Wells

Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens

Der Weg, der in die Gebiete des Ostens führt, ist noch nicht gesäubert. Die Kriege mit den Termiten verhindern jeden Ansatz von Befriedung in der Region.

Nr. 4000 und Nr. 103 683 laufen über einen Pfad, auf dem etliche Scharmützel stattgefunden haben. Prächtige Giftschmetterlinge kreisen über ihren Antennen, was nicht dazu angetan ist, sie zu beruhigen.

Ein Stück weiter spürt Nr. 103 683 etwas, was sie unter ihrem rechten Bein kitzelt. Sie identifiziert dieses Etwas als Milben, winzigste Lebewesen, die mit Stacheln und Fühlern, mit Haaren und Haken ausgestattet sind und in Herden wandern, ständig auf der Suche nach schön staubigen Nischen. Nr. 103 683 erheitert dieser Anblick. Daß es auf ein und demselben Planeten so kleine Lebewesen gibt wie die Milben und so große wie die Ameisen.

Nr. 4000 bleibt vor einer Blume stehen. Sie hat plötzlich große Schmerzen. In ihrem alten Körper, der heute schon allerlei durchgemacht hat, sind die jungen Ichneumonlarven wach geworden. Wahrscheinlich sitzen sie gerade zu Tisch, fuhrwerken mit Messer und Gabel in den inneren Organen der armen Ameise herum.

Um ihr zu helfen, entnimmt Nr. 103 683 ihrem Sozialkropf einige Koleopter-Honigtaumoleküle. Im Verlauf des harten Kampfs in den Tiefen von Bel-o-kan hat sie eine winzige Menge davon zur Schmerzbetäubung gesammelt. Sie ist äußerst vorsichtig damit umgegangen und hat sich nicht von diesem wohlschmeckenden Gift abhängig gemacht.

Die Schmerzen von Nr. 4000 lassen unmittelbar nach der Einnahme des Likörs nach. Dennoch verlangt sie nach mehr. Nr. 103 683 will ihr gut zureden, aber Nr. 4000 besteht darauf, sie ist zum Kampf bereit, um den Eingeweiden ihrer Gefährtin den letzten Rest der köstlichen Droge zu entziehen. Als sie gerade losspringen und zuschlagen will, gleitet sie in eine Art sandigen Krater. Die Falle eines Ameisenlöwen!