Выбрать главу

Das Glühwürmchen blinkt erneut, fordert sie auf, ihm durch weitere Gänge zu folgen. Ein merkwürdiger Geruch erfüllt die Luft. Die Soldatin tritt auf etwas Hartes. Sie hat keine Infrarot-Ozellen und kann im Dunkeln nichts erkennen. Das lebende Licht kommt näher und beleuchtet die Beine von Nr. 103 683. Der Kadaver eines Termitensoldaten! Er sieht einer Ameise sehr ähnlich, nur daß er ganz weiß ist und keinen gesonderten Hinterleib hat ...

Hunderte von weißen Kadavern bedecken den Boden. Was für ein Massaker! Und das Seltsamste: Sämtliche Körper sind unversehrt. Es hat kein Kampf stattgefunden! Der Tod muß urplötzlich eingetreten sein. Die Bewohner sind in der Haltung ihrer alltäglichen Arbeit erstarrt. Einige scheinen noch ein Gespräch zu führen oder mit ihren Mandibeln Holz zu schneiden. Was mag eine solche Katastrophe herbeigeführt haben?

Nr. 4000 untersucht diese morbiden Statuen. Sie verströmen einen stechenden Geruch. Ein Schauder überläuft die beiden Ameisen. Giftgas! Das erklärt alles: das Verschwinden der ersten gegen den Termitenstaat ausgesandten Expedition, der letzte Überlebende der zweiten Expedition, der ohne irgendeine Verletzung stirbt.

Und wenn sie selbst nichts merken, dann nur, weil sich das Gas seitdem verflüchtigt hat. Nur, warum haben dann die Puppen überlebt? Die alte Kundschafterin bringt eine Hypothese vor: Sie haben ein spezielles Immunsystem, vielleicht hat sie ihr Kokon gerettet ... Jetzt müßten sie gegen das Gift geimpft sein. Das ist der berühmte Mithridatismus, der es den Insekten ermöglicht, mutierte Generationen zu zeugen und so sämtlichen Insektiziden zu widerstehen.

Aber wer hat dieses tödliche Gas versprüht? Ein einziges Rätsel. Einmal mehr ist Nr. 103 683 auf ihrer Suche nach der geheimen Waffe an »andere«, ebenso unverständliche Dinge geraten.

Nr. 4000 möchte hinaus. Das Glühwürmchen blinkt Zustimmung. Die Ameisen verabreichen den Larven, die gerettet werden können, einige Stücke Zellulose, dann machen sie sich auf die Suche nach dem Ausgang. Das Glühwürmchen folgt ihnen. Je weiter sie vorankommen, um so mehr weichen die Kadaver der Termitensoldaten den Kadavern von Arbeiterinnen, die mit der Pflege der Königin betraut sind. Einige haben noch Eier in ihren Mandibeln!

Die Architektur wird immer komplizierter. In die Gänge von dreieckigem Schnitt sind Zeichen eingeritzt. Das Glühwürmchen wechselt die Farbe und verbreitet nun ein bläuliches Licht. Es muß etwas wahrgenommen haben. Tatsächlich läßt sich am Ende des Gangs ein Keuchen vernehmen.

Das Trio gelangt vor eine Art Sanktuarium, das von fünf riesigen Posten bewacht wird. Alle tot. Und der Eingang ist durch die leblosen Körper gut zwanzig kleiner Arbeiterinnen versperrt. Die Ameisen räumen sie zur Seite, indem sie sie sich von Bein zu Bein reichen.

Auf diese Art legen sie eine beinahe perfekt kugelförmige Höhle frei. Das königliche Gemach der Termiten. Von dort stammt das Geräusch.

Das Glühwürmchen verbreitet ein schönes weißes Licht, das auf eine Art seltsame Nacktschnecke in der Mitte des Raumes fällt. Das ist die Termitenkönigin. Die Karikatur einer Ameisenkönigin. Ihr kleiner Kopf und der kümmerliche Oberkörper münden in einen phantastischen Hinterleib von fast fünfzig Kopf Länge. Dieser übermäßig entwickelte Fortsatz wird regelmäßig von Krämpfen geschüttelt.

Der kleine Kopf zuckt vor Schmerz, er stößt ein akustisches und olfaktorisches Heulen aus. Die Kadaver der Arbeiterinnen haben die Öffnung des Eingangs so gut verstopft, daß das Gas nicht hat eindringen können. Dennoch liegt die Königin im Sterben, da sie nicht verpflegt worden ist.

Schau dir ihren Hinterleib an! Die Jungen drängen von innen, und sie schafft es nicht, sie allein zur Welt zu bringen.

Das Glühwürmchen klettert an die Decke und erzeugt in aller Unschuld ein orangefarbenes Licht, jenem ähnlich, in das die Gemälde von Georges de la Tour getaucht sind.

Dank der gemeinsamen Anstrengungen der Ameisen beginnen die Eier aus dem riesigen Zeugungssack zu strömen. Das ist ein wahrer Lebenshahn. Die Königin scheint erleichtert, sie hat aufgehört zu schreien.

Sie fragt in der schlichten universellen Duftsprache, wer sie gerettet hat.    Sie ist überrascht, Düfte von Ameisen

wahrzunehmen. Sind sie maskierte Ameisen?

Die maskierten Ameisen, schwarze Insekten von großer Statur, die im Nordosten leben, sind eine in organischer Chemie äußerst begabte Art. Sie vermögen künstlich jedwedes Pheromon (Kennwort, Piste, Kommunikation ...) zu erzeugen, indem sie kundig Säfte, Pollen und Speichel mischen.

Haben sie diese Tarnung erst einmal ausgeschieden, gelingt es ihnen beispielsweise, in eine Termitenstadt einzudringen, ohne entdeckt zu werden. Sie plündern und töten, ohne daß irgendeines ihrer Opfer sie identifizieren könnte!

Nein, wir sind keine maskierten Ameisen.

Die Termitenkönigin fragt, ob es Überlebende in ihrer Stadt gebe. Nein, antworten die Ameisen. Sie äußert den Wunsch, daß man sie töte, daß man ihre Leiden abkürze. Aber vorher möchte sie ihnen noch etwas verraten.

Ja, sie weiß, warum ihr Staat zerstört worden ist. Die Termiten haben vor kurzem das östliche Ende der Welt entdeckt. Das Ende des Planeten. Ein glattes, schwarzes Land, in dem alles Leben vernichtet ist.

Dort leben seltsame, sehr schnelle und sehr wilde Tiere. Das sind die Wächter des Endes der Welt. Sie sind mit schwarzen Platten bewaffnet, die alles zerquetschen. Und jetzt verwenden sie auch noch Giftgas!

Das erinnert an den alten Traum der Königin Bi-stin-ga. Das Ende der Welt zu erreichen. Sollte das wirklich möglich sein? Die beiden Ameisen sind völlig verdutzt.

Sie hatten bislang geglaubt, die Erde sei so groß, daß es nicht möglich ist, ihren Rand zu erreichen. Und nun gibt diese Termitenkönigin zu verstehen, das Ende der Welt sei ganz in der Nähe! Und von Ungetümen bewacht ... Sollte der Traum der Königin Bi-stin-ga erfüllbar sein?

Die ganze Sache kommt ihnen so ungeheuerlich vor, daß sie nicht wissen, mit welcher Frage sie beginnen sollen.

Aber warum sind diese »Wächter des Endes der Welt« bis hierher vorgedrungen? Wollen sie die Städte des Westens überfallen?

Die große Königin weiß es auch nicht. Sie will jetzt sterben. Sie besteht darauf. Sie hat es nicht gelernt, ihr Herz anzuhalten. Man muß sie töten.

Also enthaupten die Ameisen die Termitenkönigin, nachdem sie ihnen den Weg zum Ausgang beschrieben hat. Danach verzehren sie einige kleine Eier und verlassen das imposante Gebäude, das nur noch eine Phantomstadt ist. Am Eingang hinterlassen sie ein Pheromon, das die Schilderung des Dramas dieses Ortes enthält. Denn als Kundschafterinnen der Föderation müssen sie all ihren Verpflichtungen nachkommen.

Das Glühwürmchen verabschiedet sich. Wahrscheinlich hat es sich auf der Flucht vor dem Regen auch in den Termitenhügel verirrt. Jetzt, wo es wieder schön ist, wird es seinen gewohnten Trott wiederaufnehmen: Essen, Licht ausstrahlen, um Weibchen anzulocken, sich fortpflanzen, essen, Licht ausstrahlen, um Weibchen anzulocken, sich fortpflanzen ... Das Leben eines Glühwürmchens eben.

Sie richten ihren Blick und ihre Antennen nach Osten. Von hier erkennen sie nicht viel, trotzdem, sie wissen: Das Ende der Welt ist nicht fern. Es liegt dort in der Gegend.

zivilisationsschock: Der Kontakt zweier Zivilisationen ist stets ein heikler Augenblick. Zu den dunkelsten Augenblicken, die die Menschheit erlebt hat, zählt die Versklavung der afrikanischen Schwarzen im 18. Jahrhundert.

Die meisten Völker, die als Sklaven verschleppt wurden, lebten im Landesinneren, im Flachland und in den Wäldern. Sie hatten noch nie das Meer gesehen. Plötzlich erklärte ihnen ohne erkennbaren Grund ein benachbarter König den Krieg, und statt sie zu töten, nahm er sie gefangen, fesselte sie und ließ sie in Richtung Meer marschieren.