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»Bravo, mein Sohn, das hast du gut gemacht.«

Jonathan war zunächst perplex ob dieser Kunde, dann wurde er stutzig. Er durchwühlte das ganze Untergeschoß. Vergeblich. Danach blieb er eine ganze Weile in der Küche und untersuchte die Kellertür, das große Schloß und den breiten Spalt. Welches Geheimnis verbarg sich dahinter?

Sie müssen in diesen Busch hinein.

Eine der alten Kundschafterinnen äußert einen Vorschlag. Sich zu einer »Schlange mit dickem Kopf« formieren, der beste Weg, auf ungastlichem Terrain vorzurücken. Sofortige Zustimmung, sie hatten alle die gleiche Idee.

Fünf in einem umgedrehten Dreieck angeordnete Aufklärerinnen bilden die Augen der Truppe. Mit kleinen, gemessenen Schritten tasten sie den Boden ab, beschnuppern den Himmel, inspizieren das Moos. Wenn alles in Ordnung ist, sondern sie eine olfaktorische Botschaft ab mit dem Inhalt: »Vorne nichts!«. Dann reihen sie sich am Ende des Zugs ein, um von »neuen« Individuen ersetzt zu werden. Dieses Rotationssystem verwandelt die Gruppe in eine Art langes Tier, dessen »Nase« stets hypersensibel bleibt.

Zwanzigmal kommt das »Vorne nichts!« klar und deutlich. Beim einundzwanzigsten Mal wird es von einem widerlichen falschen »Ton« unterbrochen. Eine der Aufklärerinnen hat sich unbesonnen einer fleischfressenden Pflanze genähert. Eine Dionaea. Ihr betörender Duft hat sie angelockt, ihr Leim hat die Beine der Ameise umschlossen.

Von da an ist alles verloren. Der Kontakt mit den Härchen löst den Mechanismus des organischen Scharniers aus. Die beiden breiten Blätter, durch Gelenke miteinander verbunden, schließen sich unerbittlich. Die langen »Fransen« dienen als Zähne. Sie verschränken sich und werden zu festen Stäben. Wenn das Opfer gänzlich platt gedrückt ist, sondert das pflanzliche Raubtier seine gefräßigsten Enzyme ab, die imstande sind, die härtesten Panzer zu verdauen.

Und so schmilzt die Ameise. Ihr ganzer Körper verwandelt sich in einen schäumenden Saft. Sie stößt einen Duft von Verzweiflung aus.

Aber man kann nichts mehr für sie tun. Das gehört zu den Unwägbarkeiten sämtlicher Expeditionen, die über weite Strecken führen. Es bleibt nur noch, die Umgebung der natürlichen Falle mit »Achtung, Gefahr« zu markieren.

Sie vergessen den Zwischenfall und machen sich wieder auf den von Duftstoffen gekennzeichneten Weg. Die Pistenpheromone zeigen die Richtung an. Nachdem sie das Gestrüpp durchquert haben, ziehen sie gen Westen weiter. Immer noch in einem Winkel von 23° zur Mittagssonne. Sie ruhen sich kaum aus, wenn es zu kalt oder zu warm wird. Sie müssen sich beeilen, wenn sie nicht mitten in einen Krieg zurückkehren wollen.

Es ist bereits vorgekommen, daß Kundschafterinnen bei ihrer Rückkehr feststellen müssen, daß ihre Stadt von feindlichen Truppen eingeschlossen ist. Und eine solche Blockade zu durchbrechen ist kein Kinderspiel.

Da ist es, sie haben das Pistenpheromon gefunden, das den Eingang der Höhle anzeigt. Wärme steigt aus dem Boden auf. Sie dringen in die Tiefen der steinigen Erde ein.

Je tiefer sie kommen, um so deutlicher nehmen sie das leise Plätschern einer Abflußrinne wahr. Das ist die warme Quelle. Sie dampft und verströmt einen starken Schwefelgeruch.

Die Ameisen löschen ihren Durst.

Kurz darauf entdecken sie ein komisches Tier: eine Kugel mit Beinen, könnte man glauben. In Wirklichkeit ist das ein Skarabäus, ein Pillendreher, der eine Kugel aus Kuhmist und Sand, in der seine Eier luftdicht gelagert sind, vor sich herschiebt. Wie der legendäre Atlas trägt er seine »Welt«. Wenn die Neigung des Geländes günstig ist, rollt die Kugel von allein, und er braucht ihr nur zu folgen. Wenn nicht, muß er sich abrackern, er rutscht aus und muß sie oft unten wieder holen. Erstaunlich, einen Skarabäus hier anzutreffen. Normalerweise hält der sich eher in wärmeren Zonen auf ...

Die Belokanerinnen lassen ihn ziehen. Sein Fleisch ist ohnehin nicht besonders schmackhaft, und sein Panzer ist zum Transport viel zu schwer.

Links von ihnen huscht eine schwarze Gestalt davon, um sich in einem Felsspalt zu verstecken. Ein Ohrwurm. Der allerdings, der ist lecker. Die älteste Kundschafterin reagiert am schnellsten. Sie klemmt ihren Hinterleib unter ihren Hals, begibt sich in Schußposition, indem sie sich auf die Hinterbeine stützt, zielt mit untrüglichem Gespür und feuert aus weiter Entfernung einen Tropfen Ameisensäure ab. Der ätzende, zu über vierzig Prozent konzentrierte Saft schießt durch den Raum.

Treffer.

Der Ohrwurm bricht in vollem Lauf, wie vom Blitz erschlagen, zusammen. Vierzigprozentige Säure, das ist kein Fruchtsaft. Die beißt schon bei vierzig Promille, bei vierzig Prozent verätzt sie alles! Das Insekt bleibt tot liegen, und alle stürzen herbei, um sein verbranntes Fleisch zu verschlingen. Die Herbstkundschafterinnen haben gute Pheromone hinterlassen. Die Ecke scheint reich an Wild. Die Jagd wird gut ausfallen.

Sie steigen in einen artesischen Brunnen hinab und terrorisieren alle möglichen Arten von bislang unbekannten unterirdischen Bewohnern. Eine Fledermaus versucht zwar, ihrer Visite ein Ende zu machen, aber sie vertreiben sie, indem sie sie in eine Wolke von Ameisensäure hüllen.

In den folgenden Tagen lassen sie nicht davon ab, die warme Höhle zu durchkämmen. Sie stapeln die Kadaver kleiner weißer Tiere und die Überreste hellgrüner Pilze. Mit ihrer analen Drüse streuen sie weitere Pheromone aus, die es ihren Schwestern ermöglichen werden, hier ungehindert zu jagen.

Die Mission ist gelungen. Das Territorium hat einen Arm bis hierher, über das Dickicht im Westen hinaus, ausgestreckt. Schwerbeladen mit Nahrungsmitteln, setzen sie, kurz bevor sie sich auf den Rückweg machen, die chemische Flagge der Föderation. Ihr Duft schwingt durch die Lüfte: »Bel-o-Kan!«

»Wie war der Name?«

»Wells, ich bin der Neffe von Edmond Wells.«

Die Tür geht auf, und es erscheint ein großer Kerl von fast zwei Metern. »Monsieur Jason Bragel ...? Entschuldigen Sie die Störung, aber ich würde gern mit Ihnen über meinen Onkel reden. Ich habe ihn nicht gekannt, und meine Großmutter hat mir erzählt. Sie seien sein bester Freund gewesen.«

»Treten Sie ein ... Was möchten Sie über Edmond wissen?«

»Alles. Ich habe ihn nicht gekannt, und ich bedaure es ...«

»Hm. Verstehe. Auf jeden Fall gehörte Edmond zu den Leuten, die ein lebendiges Geheimnis darstellen.«

»Kannten Sie ihn gut?«

»Wer kann schon behaupten, jemanden zu kennen? Sagen wir, daß unsere Körper oft Seite an Seite gingen und daß keiner von uns etwas dagegen hatte.«

»Wo sind Sie einander begegnet?«

»An der Universität, am Institut für Biologie. Ich habe mich mit Pflanzen herumgeplagt, er mit Bakterien.«

»Immerhin zwei ähnlich gelagerte Welten.«

»Ja, nur daß meine trotz allem wilder ist«, korrigierte ihn Jason Bragel und deutete auf das Wirrwarr von Pflanzen, das sich über das ganze Eßzimmer erstreckte. »Sehen Sie die? Die sind allesamt Kontrahenten, bereit, sich gegenseitig für einen Lichtstrahl oder einen Tropfen Wasser umzubringen. Kaum ist ein Blatt im Schatten, stößt die Pflanze es ab, und die benachbarten Blätter wachsen breiter. Die Pflanzen, das ist wirklich eine Welt ohne Erbarmen ...«

»Und Edmonds Bakterien?«

»Er selbst hat erklärt, daß er nur seine Vorfahren studiere. Sagen wir, daß er seinen Stammbaum etwas weiter zurückverfolgte als andere ...«

»Und weshalb Bakterien? Warum nicht Affen oder Fische?«

»Er wollte die Zelle in ihrem Urzustand verstehen. Da der Mensch nur ein Konglomerat von Zellen ist, meinte er die >Psychologie< einer Zelle von Grund auf verstehen zu müssen, um daraus das Funktionieren des Ganzen abzuleiten. >Ein großes, komplexes Problem ist in Wirklichkeit nur die Summe kleiner, einfacher Probleme.< Er hat diese Weisheit wörtlich genommen.«

»Hat er nur über Bakterien gearbeitet?«

»Nein, nein. Er war eine Art Mystiker, ein wahrer Generalist, am liebsten hätte er alles gewußt. Er hatte auch seine Schrullen ... Zum Beispiel wollte er seinen eigenen Herzschlag kontrollieren.«