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Die Belokanerinnen erfahren im Laufe des Gesprächs, daß die Blutroten vor einigen Wochen das Nest der Schnitterinnen angegriffen haben. Sie haben mit ihren Giftstacheln über hundert Arbeiterinnen und Männchen wie Weibchen getötet, danach haben sie den gesamten Vorrat an Getreidemehl geraubt. Die Armee der Schnitterinnen hat nach ihrer Rückkehr von einem Feldzug in den Süden, wo sie neue Samenkörner gesucht haben, nur die Schäden konstatieren können.

Die beiden räumen ein, daß sie die Blutroten tatsächlich getroffen haben. Sie geben die Richtung an, in welcher jene zu finden sind. Man fragt sie aus, und sie berichten von ihrer eigenen Odyssee.

Ihr seid auf der Suche nach dem Rand der Welt?

Ja.

Die Schnitterinnen brechen in ein schallendes Pheromonenlachen aus. Warum lachen sie? Sollte es den Rand der Welt nicht geben?

Doch, es gibt ihn, und ihr habt ihn erreicht! Abgesehen von der Ernte ist es unser Hauptstreben, den Rand der Welt zu überschreiten.

Die Schnitterinnen bieten an, die beiden »Touristinnen« am nächsten Morgen zu diesem metaphysischen Ort zu führen. Der Abend vergeht mit Gesprächen im Schutz des kleinen Nests, das die Schnitterinnen in der Rinde einer Buche eingerichtet haben.

Und die Wächterinnen des Randes der Welt? fragt Nr. 103 683.

Keine Sorge, die bekommt ihr früh genug zu sehen.

Stimmt es, daß sie eine Waffe haben, die eine ganze Armee auf einen Schlag vernichten kann?

Die Schnitterinnen sind überrascht, daß die beiden Fremden derlei Einzelheiten kennen.

Das ist richtig.

Nr. 103 683 wird also die Lösung des Rätsels der geheimen Waffe erfahren!

In dieser Nacht hat sie einen Traum. Sie sieht die Erde, die rechtwinklig endet, und eine Wand aus Wasser, die bis zum Himmel reicht, und aus dieser Wand kommen blaue Ameisen mit äußerst zerstörerischen Akazienzweigen. Und das Ende eines dieser Zauberzweige braucht etwas nur zu berühren, einerlei was, schon ist es vernichtet.

4

Das Ende des Wegs

Augusta saß den ganzen Tag vor sechs Streichhölzern. Die Mauer war eher psychologisch als real, soviel hatte sie begriffen. Edmonds berühmtes »Man muß anders denken!« ... Ihr Sohn hatte etwas entdeckt, das war gewiß, und er versteckte es mit seiner Intelligenz.

Sie rief sich die Schlupfwinkel seiner Kindheit ins Gedächtnis, seine »Höhlen«. Er hatte versucht - vielleicht weil man sie ihm samt und sonders zerstört hatte -, eine zu bauen, die völlig unzugänglich war, eine Stelle, wo ihn niemand stören würde ... Etwas wie ein innerer Ort, der seinen Frieden nach außen projizierte, seinen Frieden und ... seine Unsichtbarkeit.

Augusta schüttelte die Schlaffheit ab, die sie befiel. Eine Begebenheit aus ihrer eigenen Jugend fiel ihr wieder ein. Das war in einer Winternacht, sie war noch ganz klein, und sie hatte begriffen, daß es Zahlen unter Null geben konnte ... 3, 2, 1, 0 und dann - 1, - 2, - 3 ... Zahlen, die verkehrt herum waren. Als würde man einen Handschuh umkrempeln. Die Null war also nicht das Ende oder der Anfang von allem. Es gab eine andere unendliche Welt auf der anderen Seite. Das war, als hätte man die Mauer der »Null« gesprengt.

Sie mußte damals sieben oder acht Jahre alt gewesen sein, aber ihre Entdeckung hatte sie aufgewühlt, und sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen.

Umgekehrte Zahlen ... Das war eine andere Dimension, die sich da eröffnete. Die dritte Dimension. Der Raum!

Herrgott!

Ihre Hände zittern vor Aufregung, sie weint, aber sie schafft es, die Streichhölzer zu packen. Sie legt drei zu einem Dreieck zusammen, dann hält sie die drei anderen jeweils an eine Ecke und richtet sie auf, so daß sie in einer Spitze zusammentreffen.

Das ergibt eine Pyramide. Eine Pyramide und vier gleichseitige Dreiecke.

Da ist es, das östliche Ende der Erde. Ein verblüffender Ort. Nichts Natürliches, nichts Irdisches. Ganz anders, als ihn sich Nr. 103 683 vorgestellt hat. Der Rand der Welt ist schwarz, nie zuvor hat sie etwas derart Schwarzes gesehen! Das ist hart, glatt, lauwarm und riecht nach Mineralöl.

Statt eines vertikalen Ozeans finden sie Luftströmungen von unglaublicher Heftigkeit vor.

Lange versuchen sie zu verstehen, was hier vorgeht. Von Zeit zu Zeit ist ein Vibrieren zu spüren. Seine Intensität nimmt exponentiell zu. Dann plötzlich erzittert der ganze Boden, ein starker Wind hebt ihre Antennen an, ein Höllenlärm läßt die Trommelfelle ihrer Schienen klappern. Ein heftiges Gewitter, möchte man meinen, aber kaum tritt das Phänomen deutlich zutage, da hat es bereits aufgehört. Lediglich einige Staubspiralen sinken noch auf die Erde.

Nicht wenige Kundschafter der Schnitterinnen haben diese Grenze überschreiten wollen, aber die Wächter passen auf. Denn dieser Lärm, dieser Wind, dieses Vibrieren, das sind sie, die Wächter des Randes der Welt, die alles erschlagen, was auf die schwarze Erde vorzudringen versucht.

Ob sie diese Wächter bereits gesehen haben? Noch bevor die Roten eine Antwort erhalten, ertönt erneut ein lautes Getöse, das sich nach einer Weile wieder legt. Eine der sechs Schnitterinnen, die sie begleiten, behauptet, daß es bislang noch niemand geschafft habe, über dieses »verwunschene Stück Erde« zu gehen und lebend zurückzukommen. Die Wächter vernichten alles.

Die Wächter ... Niemand anders als sie können La-chola-kan und die Expedition mit dem Männchen Nr. 327 angegriffen haben. Aber weshalb haben sie das Ende der Welt verlassen und sind nach Westen gezogen? Wollen sie die Welt überfallen?

Die Schnitterinnen wissen auch nicht mehr als die Roten. Können sie sie wenigstens beschreiben? Nein, sie wissen nur, daß alle, die sich den Wächtern genähert haben, vernichtet worden sind. Sie wissen nicht einmal, welcher Kategorie von Lebewesen jene zuzuordnen sind: Sind das riesige Insekten? Vögel? Pflanzen? Die Schnitterinnen wissen nur, daß sie immens schnell, immens stark sind. Eine Kraft, die schier unbegreiflich ist, die alles übersteigt, was man kennt ...

In diesem Augenblick ergreift Nr. 4000 ebenso plötzlich wie unvorhergesehen die Initiative. Sie verläßt die Gruppe und wagt sich auf das verbotene Terrain vor. Wenn sie schon sterben muß, dann will sie wenigstens versuchen, den Rand der Welt zu überschreiten, einfach so, dreist und frech. Die anderen schauen ihr bestürzt nach.

Sie rückt langsam vor, lauert auf das geringste Vibrieren, auf den geringsten todesverheißenden Duft in den empfindlichen Enden ihrer Beine. Nun ... Fünfzig Kopf hat sie hinter sich, hundert, zweihundert, vierhundert, sechshundert, achthundert. Nichts. Unverletzt, heil.

Hinten jubelt man ihr zu. Von ihrem Platz aus sieht sie unregelmäßige weiße Streifen, die nach rechts und links verlaufen. Auf der schwarzen Erde ist alles tot; nicht das geringste Insekt, keine einzige Pflanze. Und der Boden ist dermaßen schwarz ... Das ist gar keine richtige Erde.

Sie erkennt Pflanzen, weit vorn. Könnte es sein, daß es eine Welt hinter dem Ende der Welt gibt? Sie sendet einige Pheromone in Richtung ihrer am sicheren Ufer gebliebenen Kolleginnen, um ihnen von all dem zu erzählen, aber auf eine solch große Entfernung ist es schwierig. Dialoge zu führen.

Sie macht kehrt, doch im gleichen Augenblick brechen erneut das Beben und dieser ungeheure Lärm los. Die Wächter kehren zurück! Sie rennt mit aller Kraft, um ihre Gefährtinnen zu erreichen.

Die sind wie versteinert für den Bruchteil einer Sekunde, in dem mit einem enormen Dröhnen eine bestürzende Masse am Himmel vorbeifliegt. Die Wächter sind vorübergezogen, der Geruch nach Mineralöl hat sich verstärkt. Und Nr. 4000 ist verschwunden.

Die Ameisen rücken näher an den Rand und sehen, was passiert ist. Nr. 4000 ist zermalmt worden, und zwar derart, daß ihr Körper nur noch einen Zehntelkopf dick ist, als wäre er in den schwarzen Boden eingedrückt!