WAS BIN ICH DUMM: Was bin ich dumm!
Selbst wenn es Außerirdische gibt, wären wir nicht in der Lage, sie zu verstehen. Unsere Zeichen wären mit Sicherheit nicht identisch. Wir würden auf sie zugehen und ihnen die Hand reichen, was für sie vielleicht eine Drohgebärde wäre.
Wir vermögen nicht einmal die Japaner mit ihrem rituellen Selbstmord zu verstehen oder die Inder mit ihren Kasten. Wir schaffen es nicht einmal, uns unter Menschen zu verständigen ... Wie konnte ich mir nur einbilden, die Ameisen zu verstehen!
Der Hinterleib von Nr. 801 ist nur noch ein Stumpf. Auch wenn es ihr rechtzeitig gelungen ist, den Drogenkäfer zu töten: der Kampf gegen die Kriegerinnen mit dem Felsenduft hat sie verdammt schrumpfen lassen. Was soll’s, um so besser: Ohne Hinterleib ist sie leichter.
Sie biegt in den breiten Gang ein, der sich durch das Granit zieht. Wie haben Mandibeln einen solchen Tunnel schaffen können?
Weiter unten entdeckt sie, was ihr Chli-pu-ni geschildert hat: einen Saal mit Unmengen von Nahrungsmitteln. Kaum hat sie einige Schritte durch diesen Saal getan, findet sie einen anderen Ausgang. Sie geht hindurch und befindet sich auf einmal in einer Stadt, einer ganzen Stadt mit Felsengeruch! Eine Stadt unter der Stadt.
»Er ist also gescheitert?«
»Er hatte in der Tat lange an diesem Fehlschlag zu knabbern. Er dachte, es gebe keinen Ausweg, seine Ethnozentrik habe ihn verblendet. Doch dann haben ihn die Scherereien, die er mit anderen hatte, zur Räson gerufen. Auslöser war sein alter Menschenhaß gewesen.«
»Was ist passiert?«
»Sie erinnern sich, Professor. Sie selbst haben mir einmal gesagt, daß er für eine Gesellschaft gearbeitet hat, die sich > Sweetmilk Corporation< nennt, und daß er dort mit seinen Kollegen aneinandergeraten ist.«
»In der Tat!«
»Einer seiner Vorgesetzten hatte sein Büro durchsucht. Und dieser Vorgesetzte war niemand anders als Marc Leduc, der Bruder von Professor Laurent Leduc!«
»Dem Insektenforscher?«
»Höchstpersönlich.«
»Das ist unglaublich ... Er ist bei mir vorbeigekommen, hat sich als Edmonds Freund ausgegeben und ist in den Keller hinabgestiegen.«
»Er war in dem Keller?«
»Ja, aber mach dir keine Sorgen, er ist nicht weit gekommen. Er hat das Kodewort für die Mauer nicht gefunden, daraufhin ist er umgekehrt.«
»Hm, er hat auch bei Nicolas vorbeigeschaut, um die Enzyklopädie an sich zu bringen. Na schön ... Marc Leduc war nämlich aufgefallen, daß Edmond wie besessen an dem Entwurf einer Maschine arbeitete. Es ist ihm gelungen, Edmonds Büroschrank zu öffnen, und dabei ist ihm ein Aktendeckel, die Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, in die Hände gefallen. Als er den Sinn dieses Apparats erfaßt hat - und es gab genug Anmerkungen, um den Sinn zu begreifen -, hat er seinem Bruder davon erzählt. Der hat sich natürlich sehr dafür interessiert und hat ihn sogleich gebeten, die Dokumente zu stehlen ... Aber Edmond hatte bemerkt, daß man seine Sachen durchwühlt hatte, und um sie vor weiteren Zugriffen zu schützen, hat er vier Schlupfwespen in der Schublade plaziert. Als sich Marc Leduc dann wieder ans Werk gemacht hat, ist er von diesen Insekten gestochen worden, die zudem die unangenehme Eigenschaft haben, ihre gefräßigen Larven in dem Körper zurückzulassen, in den sie ihren Stachel geschlagen haben. Am nächsten Tag hat Edmond die Spuren der Stiche entdeckt und den Schuldigen öffentlich entlarven wollen. Die Fortsetzung kennen Sie, er selbst ist gefeuert worden.«
»Und die Brüder Leduc?«
»Marc Leduc hat seine Strafe bekommen! Die Wespenlarven haben ihn von innen zerfressen. Das hat sehr lange gedauert, mehrere Jahre, wie es scheint. Da die Larven nicht aus diesem riesigen Körper entweichen konnten, um sich in Wespen zu verwandeln, haben sie sich auf der Suche nach einem Ausgang kreuz und quer gegraben. Am Ende waren die Schmerzen so unerträglich, daß er sich vor einen U-Bahn-Zug geworfen hat. Das habe ich zufällig in der Zeitung gelesen.«
»Und Laurent Leduc?«
»Er hat alles versucht, um an den Apparat zu gelangen.«
»Sie sagten, Edmond habe darüber wieder Lust bekommen, seine Arbeit fortzusetzen. Welcher Zusammenhang besteht zwischen diesen alten Geschichten und seinen Forschungen?«
»In der Folge hat sich Laurent Leduc direkt an Edmond gewandt. Er hat ihm gestanden, daß er über seine >Maschine, die mit den Ameisen redet< im Bilde sei. Er gab vor, er sei daran interessiert, mit ihm zusammenzuarbeiten. Edmond stand einem solchen Vorschlag nicht unbedingt ablehnend gegenüber, er selbst kam ja nicht so recht vom Fleck, und so überlegte er, ob ihm fremde Hilfe nicht willkommen war. >Es kommt die Zeit, da kann man allein nicht weiter<, heißt es in der Bibel. Edmond war bereit, Leduc in seinen Schlupfwinkel zu führen, aber erst wollte er ihn besser kennenlernen. Als Laurent dann anfing, die Ordnung und die Disziplin der Ameisen zu rühmen, und hervorhob, daß ein Dialog mit ihnen es dem Menschen bestimmt ermöglichen würde, sie zu imitieren, hat Edmond rot gesehen. Er hat einen Anfall bekommen und Leduc aufgefordert, sich nie wieder bei ihm blicken zu lassen.«
»Puuuh, das wundert mich nicht«, seufzt Daniel. »Leduc gehört zu einer Sippe von Insektenforschern, einer der schlimmsten innerhalb der deutschen Schule, die die Menschheit dadurch ändern will, daß man in gewisser Hinsicht die Lebensweise der Tiere imitiert. Der Sinn für das eigene Territorium, die Disziplin der Ameisen ... da gerät man schnell ins Schwärmen.«
»Und so hatte Edmond einen Vorwand, um sich wieder ans Werk zu machen. Er würde den Dialog mit den Ameisen aus einer ... politischen Sicht aufnehmen. Er glaubte, daß sie einem anarchistischen System gemäß lebten, und wollte sich dies von ihnen bestätigen lassen.«
»Natürlich!« murmelte Bilsheim.
»Das war eine große Herausforderung. Mein Onkel hat lange nachgedacht, dann kam er zu dem Schluß, das beste Mittel, mit ihnen in Verbindung zu treten, sei, einen >Ameisenroboter< zu konstruieren.«
Jonathan schwenkte einen Stoß von Blättern voller Zeichnungen.
»Das sind die Pläne dazu. Edmond hat ihn >Doktor Livingstonec getauft. Er ist aus Plastik. Ich brauche nicht zu betonen, welche Uhrmacherkunst die Anfertigung dieses kleinen Meisterwerks erforderte! Nicht nur, daß sämtliche Gelenke originalgetreu nachgebaut sind und von mikroskopisch kleinen Elektromotoren bewegt werden, die an eine Batterie im Hinterleib angeschlossen sind, auch die Antenne besteht tatsächlich aus elf Segmenten, die in der Lage sind, gleichzeitig elf verschiedene Pheromone auszustoßen .! Der einzige Unterschied zwischen Doktor Livingstone und einer echten Ameise: er ist mit elf feinen Schläuchen von der Größe eines Haares verbunden, die wiederum in einer Art Nabelschnur von der Größe eines Bindfadens zusammenlaufen.«
»Großartig! Einfach großartig!« ruft Jason hingerissen.
»Aber wo ist dieser Doktor Livingstone?« fragt Augusta.
Eine Horde von Kriegerinnen mit dem Felsenduft verfolgt sie. Nr. 801 nimmt Reißaus. Plötzlich entdeckt sie einen sehr breiten Gang und stürzt darauf zu. Sie kommt in einen riesigen Saal, in dem eine merkwürdige Ameise von weit überdurchschnittlicher Größe zu sehen ist.
Nr. 801 nähert sich ihr vorsichtig. Die Düfte dieser sonderbaren Ameise stimmen nur zur Hälfte. Ihre Augen leuchten nicht, ihre Haut wirkt wie mit einer schwarzen Tinktur gefärbt ... Die junge Chlipukanerin würde gern wissen, was das bedeutet. Wie kann man so wenig Ameise sein?
Aber schon haben die Soldatinnen sie aufgestöbert. Die Hinkende tritt allein vor, um sie zum Duell zu fordern. Sie springt ihr an die Antennen und verbeißt sich darin. Die beiden wälzen sich über den Boden.