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Nr. 801 erinnert sich des Ratschlags ihrer Mutter: Achte darauf, wo dein Gegner mit Vorliebe zuschlägt, das ist oft sein eigener schwacher Punkt ... Und in der Tat, kaum bekommt sie die Antennen der Hinkenden zu fassen, windet sich diese wie von Sinnen. Die Ärmste, sie muß hypersensible Antennen haben! Nr. 801 hackt sie ihr jäh ab, und es gelingt ihr, zu fliehen. Aber jetzt hat sie eine Meute von über fünfzig Killerinnen auf den Fersen.

»Ihr wollt wissen, wo sich Doktor Livingstone aufhält? Schaut euch die Leitungen an, die von dem Massenspektrometer ausgehen .«

Tatsächlich erkennen sie eine Art durchsichtige Röhre, die dem Labortisch entlang zur Wand verläuft, von dort zur Decke steigt und schließlich in einer Holzkiste mündet, die in der Mitte der Kirche hängt, hoch über der Orgel. Diese Kiste ist wahrscheinlich mit Erde gefüllt. Die Neuankömmlinge renken sich den Hals aus, um sie genauer in Augenschein zu nehmen.

»Ihr habt doch gesagt, über unseren Köpfen sei ein unzerstörbarer Felsen«, bemerkt Augusta.

»Ja, aber ich habe auch gesagt, daß es einen Luftschacht gibt, den wir nicht mehr benutzen ...«

»Und daß wir ihn nicht mehr benutzen«, ergänzt Inspektor Galin, »liegt nicht daran, daß wir ihn verstopft haben!« »Wenn ihr es nicht wart ...«

». dann, weil sie es waren!«

»Die Ameisen?«

»Richtig! Über dieser Felsenplatte befindet sich ein gegantische Stadt, die von roten Waldameisen errichtet worden ist, ihr wißt schon, das sind diese Insekten, die diese großen Haufen aus kleinen Zweigen in den Wäldern bauen ...«

»Nach Edmonds Schätzungen sind es über zehn Millionen!«

»Zehn Millionen? Die könnten uns ja allesamt umbringen!«

»Nein, keine Bange, wir haben nichts zu befürchten. Zum einen reden sie mit uns und kennen uns. Zum anderen wissen nicht alle Ameisen der Stadt von unserer Existenz.«

Während Jonathan noch spricht, fällt eine Ameise aus der Kiste an der Decke und landet auf Lucies Stirn. Lucie versucht sie aufzulesen, aber Nr. 801 gerät in Panik und irrt durch ihren roten Haarschopf, krabbelt über ihr Ohrläppchen, stürzt den Nacken hinab in ihre Bluse, umkurvt den Bauchnabel, huscht über die weiche Haut der Oberschenkel, fällt auf den Knöchel und springt von dort auf den Boden. Einen Moment lang sucht sie die Orientierung ... dann rennt sie auf einen der seitlichen Luftschächte zu.

»Was hat sie?«

»Wer weiß. Jedenfalls hat sie die frische Luft des Schachts angezogen, sie dürfte keine Probleme haben, hinauszufinden.«

»Aber da findet sie doch ihre Stadt nicht wieder, sie wird weit im Osten der Föderation landen, oder nicht?«

Die Spionin ist entflohen! Wenn das so weitergeht, müssen wir die sogenannte fünfundsechzigste Stadt angreifen ...

Die Soldatinnen mit dem Felsenduft haben mit gesenkten Antennen Bericht erstattet. Nachdem sie sich zurückgezogen haben, sinnt Belo-kiu-kiuni eine Weile über diesen schweren Fehlschlag ihrer Geheimhaltungspolitik nach. Müde, sehr müde, denkt sie zurück, wie alles angefangen hat.

Als sie noch ganz jung war, ist auch sie mit einem dieser grauenhaften Phänomene konfrontiert worden, welche die Existenz riesiger Wesen vermuten lassen. Das war kurz nach ihrer Schwarmzeit; sie hat gesehen, wie eine große schwarze Platte mehrere fruchtbare Königinnen zerquetscht hat, ohne sie überhaupt verspeisen zu wollen. Später, nachdem sie ihre Stadt gegründet hat, war es ihr gelungen, eine Versammlung zu diesem Thema zu organisieren, bei der die meisten Königinnen - Mütter und Töchter - zugegen waren.

Sie erinnert sich. Als erste hat Zubi-zubi-kan geredet. Sie hat erzählt, daß mehrere ihrer Expeditionen einem Regen von rosaroten Kugeln ausgesetzt gewesen seien, der über hundert Todesopfer gefordert habe.

Die anderen Schwestern hatten sie überboten. Jede hatte ihre Liste von Toten und Versehrten aufgestellt, die den rosaroten Kugeln und den schwarzen Platten zum Opfer gefallen waren.

Cholb-gahi-ni, eine alte Mutter, hat bemerkt, daß Zeugenaussagen zufolge die rosaroten Kugeln sich anscheinend nur in Fünfertrupps bewegten.

Eine andere Schwester, Rubg-fayli-ni, hatte eine reglose rosarote Kugel ungefähr dreihundert Kopf unter der Erde gefunden. Die Kugel sei von einer weichen Substanz mit einem sehr starken Geruch umschlossen gewesen. Man habe sie mit den Mandibeln angebohrt und sei schließlich auf harte weiße Stengel gestoßen ... So als hätten diese Tiere ihre Panzer nicht außen, sondern in ihrem Innern.

Am Ende der Versammlung waren die Königinnen übereingekommen, daß derlei Erscheinungen jegliches Verständnis überstiegen, und sie hatten beschlossen, absolutes Stillschweigen zu bewahren, um keine Panik in den Ameisenstädten aufkommen zu lassen.

Sie selbst. Belo-kiu-kiuni, hat schon bald ihre eigene »Geheimpolizei« aufgestellt, eine Arbeitsgruppe, die damals fünfzigtausend Soldatinnen umfaßte. Ihre Aufgabe: sämtliche Zeugen der beiden Phänomene der rosaroten Kugeln und der schwarzen Platten eliminieren, um keine Panik in der Stadt aufkommen zu lassen.

Eines Tages jedoch hatte sich etwas Unglaubliches ereignet.

Eine Arbeiterin aus einer unbekannten Stadt war von den Kriegerinnen mit dem Felsenduft festgenommen worden. Belo-kiu-kiuni hatte sie schonend behandelt, denn was diese Arbeiterin erzählte, war noch ungewöhnlicher als alles, was man jemals gehört hatte.

Sie behauptete, von den rosaroten Kugeln entführt worden zu sein! Diese hätten sie, zusammen mit ein paar hundert anderen Ameisen, in ein durchsichtiges Gefängnis geworfen. Dort habe man alle möglichen Experimente mit ihnen vorgenommen. Am häufigsten habe man sie unter eine Glocke gesteckt, wo sie sehr konzentrierten Düften ausgesetzt waren. Anfangs sei das sehr schmerzhaft gewesen, dann seien die Düfte nach und nach schwächer geworden, und am Ende hätten sie sich in Worte verwandelt!

Zu guter Letzt hätten die rosaroten Kugeln durch die Vermittlung dieser Gerüche und Glocken mit ihnen geredet und sich als riesige Tiere vorgestellt, die sich selbst »Menschen« nannten. Sie hätten erklärt, daß es in dem Granit unterhalb der Stadt einen Durchbruch gebe und daß sie mit der Königin reden wollten. Sie könne sicher sein, daß ihr nichts zustoßen werde.

Danach war alles sehr schnell gegangen. Belo-kiu-kiuni hatte die »Ameisenbotschafterin« getroffen, Dok-tor Li-ving-stone, eine seltsame Ameise mit einem durchsichtigen Darmfortsatz. Aber man konnte mit ihr reden.

Sie hatten sich lange unterhalten. Am Anfang hatten sie einander überhaupt nicht verstanden. Aber beide waren von der gleichen Begeisterung erfüllt. Und hatten sich offenbar so vieles zu sagen ...

In der Folge hatten die Menschen die mit Erde gefüllte Kiste am Ausgang des Schachts angebracht. Und Belo-kiu-kiuni hatte diese neue Stadt mit Eiern versehen. Insgeheim, ohne daß ihre anderen Kinder davon erfahren hatten.

Aber Bel-o-kan 2 war mehr als die Stadt der Kriegerinnen mit dem Felsenduft. Sie war die Verbindung zwischen der Welt der Ameisen und der Welt der Menschen. Sie war der ständige Aufenthaltsort von Dok-tor Li-ving-stone (ein ziemlich lächerlicher Name, wenn man es sich überlegt).

Gespräch (Auszüge): Auszüge aus dem achtzehnten Gespräch mit der Königin Belo-kiu-kiuni:

Ameise: Das Rad? Unglaublich, daß wir nicht auf den Gedanken gekommen sind, das Rad zu verwenden. Wenn ich bedenke, daß wir alle sehen konnten, wie diese Mistkäfer ihre Kugeln rollen ... Daß niemand von uns daraus das Rad hergeleitet hat.

Mensch: Wie gedenkst du diese Information zu verwerten?

Ameise: Das weiß ich im Moment noch nicht.

Auszug aus dem sechsundfünfzigsten Gespräch mit der Königin Belo-kiu-kiuni:

Ameise: Du wirkst traurig.