„Das sollen Sie, Sir,“ versetzte der Hausmeister; „sie ist in diesem Zimmer. Barmherziger Himmel, Herr Edwards, welch ein Verlust wäre dieß für den Richter gewesen! der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, wo er eine andere solche Tochter hätte hernehmen wollen — ich meine nämlich eine erwachsene. Ich' sage Ihnen. Sir, dieser Meister Bumppo ist ein Ehrenmann, und scheint trefflich mit Feuerwaffen und Bootshacken umspringen zu können. Ich bin sein Freund, Herr Oliver, und will mich gegen ihn und Sie als einen solchen erweisen.“
„Wir bedürfen vielleicht Eurer Freundschaft, braver Mann,“ rief Edwards, indem er convulsivisch seine Hände drückte. „Wir bedürfen vielleicht Eurer Freundschaft, und in diesem Falle werden wir sicher auf Euch Bedacht nehmen.“
Ohne die aufrichtige Entgegnung, welche Benjamin hervorbringen wollte, abzuwarten, entwand der Jüngling seine Hand dem kräftigen Drucke des Hausmeisters und trat in das Zimmer.
Elisabeth war allein und saß noch immer auf denselben Sopha zurückgelehnt, wo wir sie zuletzt gesehen haben. Eine Hand, welche an Gestalt und Farbe in was immer für einem Kunstgebilde nicht ihres Gleichen hatte, verhüllte ihre Augen, während die Jungfrau selbst in tiefe Betrachtungen versunken schien. Betroffen von der Haltung und Liebenswürdigkeit der Gestalt, die jetzt seinem Auge entgegen trat, zügelte der junge Mann seine Ungeduld, so daß er nur leise und achtungsvoll näher trat.
„Miß Temple — Miß Temple,“ begann er; „ich hoffe, daß ich nicht störe; aber ich muß Sie sprechen, wäre es auch nur auf einen Augenblick.“
Elisabeth erhob ihr Antlitz und ließ ihre schwarzen, in Thränen schwimmenden Augen gewahr werden.
„Ah, sind Sie's, Edwards,“ versetzte sie mit einer Anmuth in ihrer Stimme und einer Weichheit in ihren Mienen, welche sich dem Verkehre mit ihrem Vater oft beimischten, die aber dem jungen Manne gegenüber so neu waren, daß es ihm alle Nerven durchfuhr. „Wie haben Sie unsere arme Luise verlassen?“
„Glücklich und von Dank erfüllt, in den Armen ihres Vaters,“ entgegnete Oliver. „Ich habe nie einen so schönen Gefühlsausdruck gesehen, als den, welchen sie an den Tag legte, während ich es wagte, ihr meine Freude über ihr glückliches Entkommen auszudrücken. Miß Temple, als ich zuerst Ihre schreckliche Lage schildern hörte, waren meine Empfindungen zu gewaltig, um sich auszusprechen zu lassen, und ich fand erst wieder Worte, nachdem mir der Spaziergang zu Herrn Grants Wohnung Zeit gelassen hatte, mich zu sammeln. Ich glaube — ich glaube, ich habe mich dort besser benommen, denn sogar Miß Grant weinte, als ich ihr meine Theilnahme ausdrückte.“
Elisabeth schwieg einen Augenblick, und bedeckte abermals die Augen mit ihrer Hand. Diese Erregung war jedoch nur vorübergehend; sie erhob ihr Antlitz aufs Neue und fuhr lächelnd fort —
„Ihr Freund Lederstrumpf ist nun auch der meinige geworden, Edwards, und ich dachte eben daran, wie ich ihm am besten einen Dienst leisten könnte. Vielleicht sind Sie, der Sie so gut mit seinen Gewohnheiten und Bedürfnissen bekannt sind, im Stande mir zu sagen — —“
„O, gewiß —“ rief der Jüngling mit einem Ungestüm, ob dem die Dame erschrak — „gewiß bin ichs im Stande, und Gott möge Ihren guten Willen belohnen. Natty ist so unklug gewesen, des Gesetzes zu vergessen und heute einen Hirsch zu tödten; und ich glaube sogar, daß ich gleichfalls bei der Strafe betheiligt bin, da ich bei dem ganzen Vorgange sein Mitschuldiger war. Bei Ihrem Vater ist eine Klage vorgebracht worden, und er hat eine Vollmacht zu Durchsuchung — —“
„Ich weiß Alles,“ unterbrach ihn Elisabeth; „ich weiß Alles, Der gesetzlichen Form mußte Genüge geschehen. Die Durchsuchung des Hauses war nothwendig, um den Hirsch auffinden und die Strafe erkennen zu können. Aber ich muß Ihnen eine frühere Frage zurück geben. Haben Sie so lange in unserer Familie gelebt, nur um uns nicht zu kennen? Sehen Sie mich an, Oliver Edwards. Erscheint Ihnen mein Aeußeres, wie das einer Person, welche zugeben würde, daß ein Mann, der ihr eben erst das Leben gerettet hat, für eine so kleine Summe, als diese Strafe ist, in einem Gefängniß schmachte? Nein, nein, Sir; mein Vater ist nicht allein Richter, sondern auch Mensch und Christ. Die Sache ist bereits vorher zwischen uns besprochen worden, und es soll dem alten Manne kein Leides geschehen.“
„Welch eine Last von Besorgnissen wälzen Sie durch diese Erklärung von meiner Brust!“ rief Edwards. „Er soll also nicht wieder beunruhigt werden? Ihr Vater will ihn beschützen? Ich habe Ihre Versicherung, Miß Temple, und muß es daher glauben.“
„Sie sollen seine eigene haben, Herr Edwards.“ entgegnete Elisabeth, „denn da kömmt er eben.“
Aber das Aeußere Marmaduke's, als er in das Zimmer trat, stand ganz im Gegensatz zu den schmeichelhaften Hoffnungen seiner Tochter. Seine Stirne war tief gefurcht und seine Miene verstört. Weder Elisabeth noch der Jüngling sprachen; sie ließen den Richter etliche Male im Zimmer auf und ab gehen, worauf er anfing —
„Unsere Pläne sind vereitelt, Mädchen! Lederstrumpfs Starrsinn hat den ganzen Unwillen des Gesetzes auf sein Haupt herab gerufen, und es steht jetzt außer meiner Macht ihn abzuwenden.“
„Wie so? In welcher Weise?“ rief Elisabeth. „Die Geldstrafe ist für nichts anzuschlagen; gewiß — —“
„Ich erwartete nicht — ich konnte nicht voraussetzen, daß ein alter, freundloser Mann wie er, es wagen würde, den Beamten der Gerechtigkeit Widerstand entgegen zu halten,“ fiel ihr der Richter ins Wort. „Ich hoffte, daß er sich der Strafe unterwerfen würde, und mit Bezahlung der Strafe wäre dem Gesetz Genüge geschehen; jetzt aber hat er seine ganze Strenge zu befahren.“
„Und welche Strafe könnte über ihn erkannt werden, Sir?“ fragte Edwards, der sich bemühte, Festigkeit in den Ton seiner Stimme zu bringen.
Marmaduke wandte sich rasch nach der Stelle um, nach welcher sich der Jüngling zurückgezogen hatte, und rief :
„Ah, Sie hier? Ich habe Ihrer nicht wahrgenommen. Ich weiß nicht, was das Ende seyn wird, Sir; denn ein Richter kann nicht entscheiden, bis er die Zeugen verhört und die Jury ihr Verdict ausgesprochen hat. Jedenfalls können Sie übrigens versichert seyn, Herr Edwards, daß geschehen wird, was das Gesetz heischt, wenn ich auch eine augenblickliche Schwäche an den Tag gelegt haben mag, weil der unglückliche Mann meiner Tochter einen so ausgezeichneten Dienst erwiesen hat.“
„Niemand bezweifelt, meines Wissens, den Gerechtigkeitssinn des Richters Temple.“ entgegnete Edwards bitter; „aber reden wir ruhig von der Sache. Werden nicht die Jahre, die Gewohnheiten und insbesondere die Unwissenheit meines alten Freundes ihm gegen diese Anklage Schutz verleihen?“
„Wie wäre das möglich? Diese Einreden mögen seine Schuld vielleicht mindern, aber können sie dieselbe austilgen? Läßt sich überhaupt ein geselliger Verband denken, junger Mann, wo man den Dienern der Gerechtigkeit mit bewaffneter Faust entgegen tritt? Sollte ich nur deßhalb die Wildniß gezähmt haben?“
„Wenn Sie die Bestien gezähmt haben würden, welche so kürzlich noch Miß Temple's Leben bedrohten, Sir, so möchten Ihre Argumente allenfalls besser am Orte seyn.“
„Edwards!“ rief Elisabeth — —
„Ruhig, mein Kind,“ unterbrach sie der Vater. „Der junge Mann ist ungerecht, ohne daß ich ihm Anlaß dazu gegeben hätte. Ich will Nachsicht mit Deinen Worten haben, Oliver, denn ich weiß, daß Du ein Freund Natty's bist, und deßhalb hat Dich Dein Eifer für ihn zu weit geführt.“
„Ja, er ist mein Freund,“ rief Edwards, „und ich bin stolz auf diesen Titel. Er ist zwar einfach, ungelehrt, sogar unwissend, und man könnte ihm vielleicht Vorurtheile zur Last legen, obgleich ich fühle, daß seine Ansicht von der Welt nur zu richtig ist. Aber er hat ein Herz, Richter Temple, das für tausend Fehler Ersatz leistet; er kennt seine Freunde und verläßt sie nie, und wenn es auch nur seine Hunde wären.“