Wir übergehen die Höflichkeiten, welche bei dieser Gelegenheit gegenseitig ausgetauscht wurden, und erlauben uns auch nicht, zu wiederholen, wie oft der entzückte Franzose seinen Schmerz ansdrückte, daß er in Zukunft einer so angenehmen Gesellschaft, wie der von Miß Temple, entbehren müsse. Elisabeth benützte während des Gesprächs eine Gelegenheit, um sich von dem Knaben, welcher Jonathan hieß, das Pulver auswiegen zu lassen. Ehe sie sich jedoch trennten, erbat sich Monsieur Le Quoi's, welcher noch nicht genug gesagt zu haben vermeinen mochte, die Ehre einer Privatunterredung mit der Erbin, was er mit einer Feierlichkeit in seiner Miene that, welche bekundete, daß er etwas höchst Wichtiges auf dem Herzen hatte. Nachdem ihn Elisabeth zu diesem Ende auf eine günstigere Gelegenheit verwiesen hatte, verließ sie den Laden, in dem jetzt, wie gewöhnlich, die Landleute einzusprechen begannen und auch mit der gleichen Aufmerksamkeit und bienséance wie früher empfangen wurden.
Elisabeth und Luise setzten ihren Spaziergang bis an die Brücke in tiefem Schweigen fort; als sie aber an derselben anlangten, machte die Letztere Halt und schien etwas sagen zu wollen, ohne jedoch den Muth dazu gewinnen zu können.
„Sind Sie unwohl, Luise?“ fragte Miß Temple. „Wir werden dann wohl besser thun, wenn wir umkehren und eine andere Gelegenheit suchen, um den Wünschen des alten Mannes zu entsprechen.“
„Ich bin nicht unwohl, aber ich fürchte mich. Ach, ich kann nie, nie wieder auf diesen Berg gehen, wenn wir nicht noch eine weitere Begleitung haben., Ich fühle mich nicht stark genug dazu nein, ich kann unmöglich weiter.“
Dieß war eine unerwartete Erklärung für Elisabeth, welche, obgleich die eitle Besorgniß vor einer Gefahr, welche nicht mehr existirte, ihr fremd war, dennoch das etwas Unweibliche in ihrem Vorhaben recht wohl fühlte. Sie blieb eine Weile in tiefem Nachdenken stehen; in dem Bewußtseyn aber, daß es jetzt Zeit zum Handeln und nicht zum Ueberlegen sey, mühte sie sich, ihre Unschlüssigkeit abzuwerfen, und erwiederte mit Festigkeit —
„Wohlan denn, so muß ich es allein unternehmen. Ich kann mich Niemand als Ihnen anvertrauen, da sonst der alte Lederstrumpf entdeckt würde. Warten Sie am Saume dieser Wälder auf mich, damit man mich wenigstens nicht allein in die Berge gehen sieht. Ich möchte Bemerkungen vermeiden. Luise, wenn — wenn — Wollen Sie auf mich warten, mein Liebe?“
„Im Angesichte des Dorfes ein ganzes Jahr, miß Temple,“ entgegnete die geängstigte Luise; „aber ich bitte, verlangen Sie nicht von mir, daß ich mit auf den Berg gehen soll.“
Elisabeth fand, daß ihre Gefährtin in der That außer Stand war, weiter zu gehen, weßhalb sie dieselbe an einer Stelle in der Nähe der Straße, wo man das Dorf im Gesicht hatte, ohne dß die Harrende von den Vorbeigehenden bemerkt werden konnte — verließ und nun ihren Weg allein fortsetzte. — Sie stieg den in unserer Erzählung mehr berührten Pfad mit elastischen und festen Tritten hinan, besorgend, daß die Zögerung in Herrn Le Quoi's Laden und die zum Erreichen des Gipfels erforderliche Zeit sie verhindern möchte, zur bestimmten Stunde einzutreffen. Gelegentlich, wenn sie an einer Oeffnung des Gebüsches vorbeikam, machte sie Halt, um Athem zu holen, oder vielleicht auf einen Augenblick die Reize der Landschaft zu betrachten. Die lange Dürre hatte jedoch das grüne Gewand des Thales in ein düsteres Braun verwandelt, und obgleich die Oertlichkeiten die gleichen waren, so fehlte ihnen doch jetzt der liebliche und erfreuliche Anblick des Frühsommes. Selbst der Himmel schien die Trockenheit der Erde zu theilen, denn die Sonne war durch einen Dunst in der Atmosphäre verhüllt, welcher wie dünner Rauch, ohne eine Spur von Feuchtigkeit, aussah, wenn anders ein solcher denkbar ist. Das blaue Firmament war kaum sichtbar und blickte nur stellenweise durch den Nebel, so daß man von dort aus Massen wogender Dünste an dem Horizont sich sammeln sah, als mühe sich die Natur, ihre Wasser zu vereinen, um dem Menschen Hilfe zu bringen. Selbst die Luft, welche Elisabeth einathmete, war heiß und trocken, und als sie die Stelle erreichte, wo sie die Straße verlassen mußte, fühlte sie sich fast zum Ersticken beengt. Sie eilte jedoch, ohne sich daran zu kehren, um nur ihren Auftrag auszurichten, indem ihr nichts als die Täuschung und Hilflosigkeit des alten Jägers vor Augen schwebten, wenn sie ihm nicht ihren Beistand leistete. Auf dem Gipfel des — von Richter sogenannten — Visionsberges befand sich eine kleine Lichtung, von welcher aus man das ganze Dorf und das Thal übersehen konnte. Hier mußte sie, ihrer Ansicht nach, den Jäger treffen, und dahin lenkte sie auch ihre Schritte so hastig, als es die steile Ansteigung und die Hindernisse eines Forstes im Zustande der Natur nur gestatten mochten. Unzählige Felsenbruchstücke, gefallene Baumstämme und Zweige legten sich ihr in den Weg; aber ihre Entschlossenheit überwand alle Hindernisse, und ihrer Uhr zu Folge war sie sogar um einige Minuten früher, als bestimmt worden — an Ort und Stelle.
Nachdem Miß Temple eine Weile auf einem Holzstamme ausgeruht hatte, warf sie ihre Blicke umher, um ihren alten Freund zu suchen; aber er war augenscheinlich nicht in der Lichtung. Sie stand daher auf, ging am Saume des Waldes herum und untersuchte jedes Plätzchen, wo sich Natty möglicher Weise um seiner Sicherheit willen verborgen haben konnte. Ihr Spähen war jedoch vergeblich, und nachdem sie nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Vermuthungen erschöpft hatte, um sich den Grund von der Säumniß des Jägers zu erklären, wagte sie es, an diesem einsamen Orte ihre Stimme laut werden zu lassen. „Natty! Lederstrumpf! alter Mann!“ rief sie nach allen Richtungen, aber ohne eine andere Antwort zu erhalten, als das Echo ihrer eigenen hellen Töne, welches der ausgetrocknete Wald zurückwarf.
Elisabeth näherte sich jetzt einer Kante des Gipfels, wo sich als Antwort auf ihren Ruf ein leichter Laut, ähnlich dem Geräusch, wenn man bei starkem Ausathmen die Hand vor den Mund hält, vernehmen ließ. Sie zweifelte keinen Augenblick, daß Natty hier ihrer warte und ihr durch dieses Zeichen den Ort andeuten wolle, wo er zu finden wäre, weshalb sie um ungefähr hundert Fuß hinunter stieg, bis sie eine kleine natürliche Terrasse erreichte, wo auf dem spärlichen Boden einige Bäume in den Spalten des Felsens Wurzel gefaßt hatten. Sie trat bis an den Rand der Plateform vor und blickte über den senkrechten Absturz an der Vorderseite, als ganz in ihrer Nähe ein Rauschen des dürren Laubes ihren Augen eine ganz andere Richtung gab. Unsere Heldin erschrack, ob dem Gegenstande, der sich jetzt ihren Blicken darbot; aber ein Moment reichte zu, sie ihre Fassung wieder gewinnen zu lassen, und sie trat festen Blickes, nicht ganz ohne Neugierde, der Stelle näher.
Mohegan saß auf dem Stamme einer gefallenen Eiche, das lohfarbene Gcsicht der Jungfrau zugekehrt und die Augen mit einer wilden Glut auf ihr Antlitz geheftet, die ein weniger entschlossenes Frauenzimmer entsetzt haben müßte. Die Decke war von seiner Schulter gefallen und lag in Falten um ihn her, so daß Brust, Arme und sein ganzer Oberkörper bloß waren. Washingtons Medaille hing an seinem Halse — ein Merkmal der Auszeichnung, das er, wie Elisabeth wohl wußte, nur bei besonders wichtigen und feierlichen Anlässen zur Schau trug. Das ganze Aeußere des betagten Häuptlings war jedoch studirter, als gewöhnlich, und theilweise wirklich schrecklich. Das lange schwarze Haar war geflochten und zurückgeschlagen, so daß sich die hohe Stirne frei über den durchbohrenden Augen entfaltete. In den ungeheuren Schlitzen seiner Ohren stacken, der indianischen Sitte gemäß, rohe Verzierungen von Silber, Perlen und Igelstacheln. Ein großes Büschel aus ähnlichem Material hing von seinem Nasenknorpel auf die Lippen herab und ruhte auf seinem Kinne. Rothe Striche liefen quer über seine runzliche Stirne, während eine ähnliche Malerei mit Abänderungen, wie sie die Laune oder das Herkommen eingeben mochte, seine Wangen bedeckte. Ein Gleiches war auch mit seinem Körper der Fall, und das Ganze zeigte einen indianischen Krieger, der sich zu einem Ereigniß von mehr als gewöhnlicher Wichtigkeit vorbereitet hat.